Mettmann KHG: Sitzblockade vorm Lehrerzimmer

Mettmann · Vor 50 Jahren brachen am Konrad-Heresbach-Gymnasium revolutionäre Zeiten an. Ein Lehrer und zwei ehemalige Schüler erinnern sich.

 Manfred Schweder kam 1966 als Lehrer für Kunst und Deutsch

Manfred Schweder kam 1966 als Lehrer für Kunst und Deutsch

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Drinnen saß der Verteidigungsminister. Draußen saßen die Schüler und verteidigten ihre Welt. Es war einer dieser Tage in den 1960er Jahren, an denen KHG-Geschichte geschrieben wurde. Minister Gerhard Schröder (CDU) wollte als Abgeordneter des Wahlkreises Mettmann über die Schülerzeitung sprechen. Die Schüler sorgten mit ihrer Sitzblockade vor dem Lehrerzimmer dafür, dass die Geschichte am nächsten Tag in der Zeitung stand. "Von unten rief der Hausmeister nach der Polizei", erinnert sich Manfred Schweder an den Tag im Mai 1968, der in die Annalen eingehen sollte. Der mittlerweile pensionierte Kunst- und Deutschlehrer war erst zwei Jahre zuvor als frisch ernannter Studienassessor ans KHG gekommen. Die Polizei kam an diesem Tag nicht mehr - dafür sorgte ein unaufgeregter Rektor für Entspannung. Mit einem lapidaren "Da steigen wir doch einfach mal drüber weg. Kommen Sie, meine Herren!", soll Schulleiter Wilhelm Olmesdahl die Prominenz über die Schüler hinweg nach draußen gelotst haben.

Olmesdahl galt als besonnen, seinen Schülern zugewandt. In der Schulchronik ist einiges über ihn zu lesen: Eine Autorität, zutiefst unautoritär in Zeiten, in denen die Schüler gegen den "Muff aus 1000 Jahren unter den Talaren" rebellierten. Zu seinen Ritualen gehörte es, morgens als erster im Lehrerzimmer zu sein, um jeden Kollegen mit Handschlag begrüßen zu können. Für das KHG schien Olmesdahl ein Glücksfall gewesen zu sein in einer Zeit radikaler pädagogischer und politischer Verunsicherung.

 Wilhelm Olmesdahl wurde Ostern 1966 Schuleiter

Wilhelm Olmesdahl wurde Ostern 1966 Schuleiter

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Begonnen hatte all das schon Mitte der 1960 Jahre. Das KHG platzte aus allen Nähten, ein Anbau wurde geplant. "Zuerst lernte man damals Dompteur, wegen der Klassenstärke", erinnert sich Manfred Schweder an seine 7 B mit 51 Schülern. Alle Namen fein säuberlich aufgelistet im Klassenbuch. Die Jungen zuerst, dann die Mädchen. Von Gleichberechtigung der Geschlechter konnte noch keine Rede sein.

Alles hatte seine Ordnung - bis immer mehr Schüler genug von all dem hatten. Einer davon war Uwe Kersken. Im Religionsunterricht spielte er Skat. Im Chemieunterricht hatte er so oft gefehlt, dass die Lehrerin mit seinem Namen nichts anzufangen wusste. Er war beim Sitzstreik vor dem Lehrerzimmer dabei. "Wir haben den Daimler des Verteidigungsministers mit Aufklebern beklebt", erinnert sich Kersken. Kreativ ist der mittlerweile 66-Jährige noch immer - als international renommierter Filmemacher, ausgezeichnet mit diversen Preisen.

 Schüler Conrad Timm organisierte damals die Sitzblockade.

Schüler Conrad Timm organisierte damals die Sitzblockade.

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Auch Conrad Thimm war einer derjenigen, die inmitten der Schülerproteste von sich Reden machten. Vor allem der "Fall Willkommen" ist ihm in Erinnerung geblieben. Das politische Engagement des Hubertus Willkommen gegen die Notstandsgesetze war zum Unterrichtsthema geworden, der Geschichtslehrer sollte deswegen versetzt werden. Als Strippenzieher galt der damals einflussreiche Flick-Manager und Politikberater Eberhard von Brauschitsch, der sich als Schülervater mit einem Leserbrief an die Presse gewandt hatte. "Man hat für die linken Umtriebe am KHG einen schuldigen Indoktrinator gesucht und ihn in Herrn Willkommen gefunden", glaubt Conrad Thimm, der damals gerade sein Abiturzeugnis in der Tasche hatte.

Ist das heute der Zeitpunkt, an dem man in Sachen Schule möglichst schnell das Weite sucht, kehrte Thimm damals dorthin zurück, um den Protest anzukurbeln. "Nach den Ferien wollten die Schüler streiken. Die Versetzung wurde rückgängig gemacht", berichtet Thimm von den Ereignissen. Als Unternehmensberater für Biolandbau ist er seinen politischen Überzeugungen treu geblieben, wenn auch mittlerweile etwas systemkonformer als damals.

Am KHG kehrte auch danach noch längst keine Ruhe ein. Als Kunstlehrer Manfred Schweder am Morgen des 15. Januar 1969 auf den Schulhof einbog, war er plötzlich zum Lehrer des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums geworden.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatten Schüler anlässlich des 50. Jahrestages der Ermordung der Widerstandskämpferin ihre Schule einfach umbenannt. "Sachen machen. Sachen machen. Theorie - nie!" hallte es durch die Klassenräume. Im Lehrerzimmer hing eine Pappe mit der Aufschrift "Warum eigentlich nicht? Aufbruch!", an der auch Manfred Schweder mitgeschrieben hatte.

Als Schüler auf dem Schulhof dem "Prager Frühling" huldigten, lief er einfach mit. War das richtig? Oder nicht? Musste ich - als Beamter? Oder eben nicht? Fragen über Fragen, die der inzwischen pensionierte Pädagoge heute so beantwortet: "Mir war nicht ganz wohl dabei und gar nicht revolutionär zumute. Glücklicherweise wurde es schnell dunkel."

(magu)
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