Kolumne: An(ge-)dacht Und das Gute nicht vergessen

Mettmann · Die Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf: Menschen liegen nachts in Lumpen auf der Straße und haben noch nicht einmal eine Zeitung, um sich zuzudecken.

Morgens um 7 Uhr begegnen mir Hunderte Männer und Frauen in den Bergen des Himalaya, bewaffnet mit Spitzhacken und Schüppen, um die Wege frei zu machen von den Erdrutschen in der Nacht. Sie kommen aus der ärmsten Region des Landes und arbeiten für einen Hungerlohn von morgens bis abends, jeden Tag der Woche.

Ich bin in Indien unterwegs mit einer Gruppe Motorradfahrer und genieße einerseits die höchsten Motorradpässe der Welt, eine atemberaubende Kulisse und dann diese Bilder der grenzenlosen Armut und Hoffnungslosigkeit, die mir jeden Tag begegnet. Ich fühle mich hilflos, angesichts der immensen Not in diesem Land und mir wird in dieser Zeit wieder neu bewusst, wie privilegiert ich lebe als Europäer - in einem Land, was mich versorgt, absichert und sozial großzügig behandelt.

Nach 16 Tagen fliege ich dorthin zurück, in meine Heimat, lebe wieder in meinem Haus, kehre zurück an meinen Arbeitsplatz - sicher, hier gibt es eine Menge, worüber man tagaus, tagein stöhnen könnte. Aber die indischen Erfahrungen in diesem Sommer verbieten es mir jetzt einfach. Es ist ein Stöhnen auf einem sehr hohen Niveau. Stattdessen rufe ich mir immer wieder ein altes Gebet aus dem Psalmbuch der Bibel in Erinnerung: Mit allem, was in mir ist, will ich Gott danken und das Gute nicht vergessen, was er für mich tut. (Psalm103,2).

Ich will mich an all das Gute nicht mehr gewöhnen, es nicht als selbstverständlich ansehen, sondern es immer wieder neu dankbar annehmen. Und ich entdecke, wie viel ich davon jeden Tag habe.

(RP)
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