Serie 100 Jahre Erster Weltkrieg (16) 1. August 1914: Der große Ansturm auf die Fahne

Mönchengladbach · Heute vor 100 Jahren lagen sich die Bürger der Stadt freudetrunken in den Armen - sie ahnten nicht, welches Leid der Krieg bringen würde.

 Die Bekanntgabe der Mobilmachung am 1. August 1914 in Rheydt glich einem großen Volksfest.

Die Bekanntgabe der Mobilmachung am 1. August 1914 in Rheydt glich einem großen Volksfest.

Foto: Stadtarchiv

Heute vor genau 100 Jahren wurde die Kriegsmobilisierung bekanntgegeben. Ein herrlicher Sommertag, wie er in jenem Jahr so üblich war. Die Tage vor und die Tage der eigentlichen Mobilisierungsphase trugen eher den Charakter einer allgemeinen Hysterie denn einer disziplinierten Vorbereitungsaktivität. Der Rheydter Oberbürgermeister hatte am 27. Juli davor gewarnt, die Konten bei der Sparkasse aufzulösen. Trotzdem hatte die Sparkasse einen wahren Ansturm aufgeregter Leute auszuhalten, die ihre Konten abheben wollten.

Die Rheydter Zeitung meinte in jenen Tagen "Erregung und vaterländisches Hochgefühl" verbreitet zu finden; sogar ein Bekenntnis der Kriegsfreudigkeit sei abgelegt worden. In der Nacht vor der kaiserlichen Proklamation zur Kriegserklärung zogen hauptsächlich Schüler durch die Stadt und sangen vaterländische Lieder. Als diese Umzüge in Radau umzuschlagen drohten, schritt ein Oberlehrer des Gymnasiums ein und schickte die Schüler nach Hause.

Bereits am Tage der Kriegserklärung Österreichs an Serbien, dem 28. Juli, wurden in Rheydt alle Eisenbahnübergänge und Unterführungen rund um die Uhr durch Polizeiposten besetzt. Auf dem Rathausturm richtete man einen Beobachtungsposten für feindliche Flieger ein. Die Stimmung sei dahingehend, so die Rheydter Zeitung am 30. Juli, "...dass der Krieg doch kommen wird, besser heute als in einigen Jahren, wenn die Verhältnisse für Deutschland ungünstiger liegen".

Die erregten Massen hielten überall Ausschau nach Spionen und Saboteuren. Bei der Verfolgung eines vermeintlichen "Russen" erlitt am 3. August ein Landwehrmann auf dem Rheydter Bahnhof einen tötlichen Kopfschuss. Vermessungsarbeiter auf der Dahlener Straße wurden im Umfeld der allgemeinen "Spionenriecherei" von Passanten als Minenleger festgehalten. Die Polizei musste einschreiten. Ein in Rheydt ansässiger Kaufmann wurde von der Polizei als "französischer Spion" irrtümlich verhaftet. Erst die Aussage von Freunden verhalf dem Mann wieder zur Freiheit.

In M.Gladbach war es am 28. Juli erstmals zu einer spontanen Kundgebung von Schülern der Gymnasien auf dem Kaiserplatz (heute Adenauerplatz) gekommen. Man sang dort patriotische Lieder und stimmte ein Hoch auf den Kaiser an. Die liberale Gladbacher Lokalpresse berichtete am 4. August, dass sich "allgemeine Nervösität" geltend gemacht hätte. Am Tag davor sprach sie noch von einem "unendlichen Druck", der von den Gemütern gewichen sei: "Endlich!" In einem Presseaufruf der Gladbacher Handelskammer wurden Arbeitgeber am 3. August aufgefordert, keine Entlassungen vorzunehmen.

Weiter wurde gemeldet, dass ein aus Neuwerk auswiesener Russe wiedergekehrt sei und daraufhin wegen "Bannbruchs" festgenommen wurde. Er hätte sich dann im Gladbacher Gefängnis erhängt. Der Rheydter Oberbürgermeister riet in der Gladbacher Zeitung allen Angehörigen von Einberufenen (gemeint waren Frauen und Kinder) davon ab, die Männer zum Bezirkskommando nach Rheydt zu begleiten. Es sei dort zu einer "gefahrbringenden Massenansammlung von Menschen" gekommen. 2000 Männer aus Mönchengladbach melden sich in diesen Tagen sofort freiwillig zur Fahne - wie in vielen anderen deutschen Städten auch.

Der Mobilisierungsbefehl traf am 1. August - einem Samstag - gegen 18.30 Uhr in Rheydt ein. Die Presse berichtete, dass Oberbürgermeister Lehwald an ein Rathausfenster schritt und "Mobil!" rief. Dann schwenkte er dreimal mit der Hand und die Menge rief jedesmal: "Hurra!" Anschließend sang man gemeinsam "Deutschland, Deutschland über alles". Die Reichskriegsflagge wurde auf dem Gebäude des Bezirkskommandos gehisst, Kirchenglocken läuteten. Die Menschen strömten in diesen Tagen scharenweise in die Bittgottesdienste beider Konfessionen. 1400 Männer meldeten sich in Rheydt sofort freiwillig an die Front. Realitätsferne Vorstellungen vom modernen Krieg führten bei den jungen Männern dazu, dass dieses Ereignis als Freiheit vom Elternhaus und als "große Fahrt" wahrgenommen werden konnte. Es existierten Vorstellungen vom "lustigen Krieg" mit Kameradschaft, Abenteuer und Heldentum, die in den nächsten vier Jahren bitter zurechtgerückt werden sollten.

(RP)
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