Mönchengladbach 1988: Das Rheydter Schloss droht einzustürzen

Mönchengladbach · Archäologen entdeckten zufällig Risse in der Decke. Sanierung kostete rund 25 Millionen Mark. Eine Bürgerinitiative rettete das Schloss.

Das ist das Schloss Rheydt in Mönchengladbach
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Der 2. Februar 1988 war ein fieser Dienstag. Temperaturen unter zehn Grad, regnerisch, kein Tag für einen Winter-Spaziergang. Punkt 10 Uhr saß damals das Gladbacher Redaktionsteam der Rheinischen Post zusammen und sprach über die Ausgabe für den folgenden Tag. Der Landschaftsverband kauft das Gebäude der Körperbehindertenschule, erste Anmeldungen für den Hochzeitstag am 8.8.88, Gladbachs Prinzenwagen bauen die Briten - das waren die Themen des Tages.

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Jedenfalls so lange, bis sich der Kollege Dirk Richerdt meldete, der gerade von einer Pressekonferenz im Schloss Rheydt zurückgekehrt war. "Das Schloss ist einsturzgefährdet. Das Herrenhaus wird ab sofort komplett gesperrt", verkündete er. Fortan war alles anders. Die erste Seite der Lokalausgabe beschäftigte sich danach vornehmlich mit dem Schloss - mit den Schäden in Millionenhöhe, mit den Folgen für Museum und Veranstaltungen, mit den Möglichkeiten der Stadt, die Sanierung zu bezahlen.

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Was damals an jenem 2. Februar 1988 niemand ahnte: Die Bürger aus Gladbach, Rheydt und Wickrath, die sich auch 13 Jahre nach der Vereinigung zur Großstadt nicht immer grün waren, fanden zu einer Bürgerinitiative zusammen. Ihr ist es zu verdanken, dass das marode Wasserschloss, damals und heute ein Markenzeichen der Stadt, überhaupt gerettet werden konnte. Vor einigen Tagen am 30. Juli wiederholte sich zum 20. Mal die Wiedereröffnung des Schlosses: 1994 feierten 40 000 Menschen mit einem großen Schlossfest den Abschluss der aufwendigen Sanierungsarbeiten.

Es war eher Zufall, dass die schlimmen Schäden in diesem Ausmaß entdeckt wurden. Es tagten im Januar 1988 Archäologen im Rittersaal des Schlosses. Ihrem geschulten Auge entgingen die Risse an der Decke nicht. Sie wiesen darauf hin, die Stadt legte einen Deckenbalken frei - und stand vor einer mittelschweren Katastrophe. Nicht nur dieser Träger war morsch. "Riesige morsche Eichenbalken, überwiegend aus dem 16. Jahrhundert, drohen von oben. Das tragende Lagerholz auf der Stirnseite des Raumes ist an mehreren Stellen erkennbar verfault. Querbalken ragen ins Leere" - dies schrieb der Kollege Richerdt am nächsten Tag in der Rheinischen Post. Und das Foto dazu zeigt konsternierte Mitarbeiter des städtischen Bauamtes und eine ratlose Museumschefin Dr. Eva Brues.

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Schlimmer noch. Nachdem Experten alle Schäden begutachtet hatten, kamen sie zu dem Schluss: Die Stadt braucht rund 25 Millionen D-Mark, um das Schloss zu retten. Doch woher das Geld nehmen? Finanziell war die Stadt schon damals nicht auf Rosen gebettet, sie hätte dies aus eigener Kraft kaum stemmen können. Und Finanzhilfen von Land und Bund? Schon vor 26 Jahren war es so wie heute: Geld gibt es nur dann, wenn das Vorhaben in irgendeiner Form dem Zweck eines Fördertopfes entsprechen würde. So richtig einen passenden Fördertopf fand damals niemand. Das Land sprach in einer ersten Bewertung von "Pfusch am Bau vor mehr als 400 Jahren, altersbedingten Schäden und nutzungsbedingtem Verschleiß" und reichte den Schwarzen Peter weiter - an die Stadt, die angeblich Renovierungsarbeiten unterlassen hätte.

Und dann bekam die ganze Geschichte eine Eigendynamik, die heute noch alle verblüfft, die damals die Rettung des Schlosses angestoßen, mit umgesetzt und am Ende auch gefeiert haben. Dass sich der Förderverein "Rettet Schloss Rheydt" bildete, ist aus heutiger Sicht nicht gerade ungewöhnlich. Dass er mit Oberbürgermeister Heinz Feldhege, Karnevalsboss Bernd Gothe, dem heutigen Schützenchef Horst Thoren, NLK-Chef Detlef Baatz, Sparkassenchef Manfred Verleysdonk und dem städtischen Rechtsdezernenten Dr. Antonius Gathen über sechs Herren verfügte, die genügend Ideen und Einfluss hatten, war förderlich. Dass sich aber nach und nach und schließlich immer schneller Tausende Mönchengladbacher einreihten, für die Sanierung des Schlosses ehrenamtlich arbeiteten, verkauften, sammelten und spendeten, das war etwas, was Gladbach in dieser Form als "junge, neue" Großstadt nicht erlebt hatte. Kleinkariertes Stadtbezirksdenken? Wenn's ums Schloss ging, hielten alle zusammen und bildeten eine Einheit.

Noch heute erzählen damalige Protagonisten begeistert, wie sie das Schloss mitgerettet haben. "Wir waren auf allen möglichen Märkten in der Umgebung und haben das Altbiergelee verkauft, das meine Frau Marlies gekocht hat", erinnert sich Rudi Neikes, Karnevalsprinz von 1977. Rund 600 Gläser hat seine Prinzessin Marlies gemacht, und Hannen-Werbeleiter Theo Drouven stellte dem Paar entsprechend viele Altbiergläser zur Verfügung, in die der Gelee kam. "Mit dieser Aktion haben wir 1200 Euro erlöst", sagt Neikes heute. Die Ersparnisse auf dem Fördervereinskonto wuchsen und wuchsen - und dann merkte das Land, dass es nicht mehr abseits stehen konnte. Wie hätte das ausgesehen, wenn die Gladbacher Bürger in einer beispielhaften Aktion für ihr Schloss kämpfen und die Landesregierung ihnen die kalte Schulter gezeigt hätte. Schließlich waren 1990 ja wieder Landtagswahlen . . .

Das gute Ende nach der bitteren Nachricht vom 2. Februar 1988: Der Förderverein sparte dank der Bürgerhilfe die Summe von 1,77 Millionen D-Mark und brachte sie in die Sanierung ein. Das Land gewährte Zuschüsse in Höhe von 16,1 Millionen D-Mark. Und die Stadt legte einen Eigenanteil von zehn Millionen D-Mark zur Rettung der barocken Schlossanlage dazu. Mit der Wiedereröffnung am 30. Juli 1994 präsentierte sich das Museum nicht nur frisch saniert, sondern auch mit einem neuen Konzept: Es umfasste jetzt das gesamte Areal des Herrenhauses, die Vorburg, die Torburg, die Wallanlagen und Bastionen.

Aber beeindruckend war vor allem, wie die Mönchengladbacher zusammengerückt sind, wie sie gemeinsame Sache für die Stadt gemacht haben. "Das erste Schlossfest 1988 war zwar zunächst nur eine verrückte Idee, war aber eine Initialzündung. Der überwältigende Erfolg hat uns bestätigt und war möglich, weil aus der Initiative eine gesamtstädtische Bürgerbewegung wurde. Plötzlich hatten Gladbacher und Rheydter ein gemeinsames Ziel: Die Rettung von Schloss Rheydt", erinnert sich Schützenchef Horst Thoren. "Mönchengladbach hat sich und dem Stadtteil Rheydt das Schloss zurückgeschenkt", sagte OB Heinz Feldhege 1994 beim großen Schlossfest.

Auch Karnevalschef Bernd Gothe, der die Rettung des Schlosses zu seiner Mission gemacht hatte, erinnert sich noch gerne an diese Gladbacher Bürgerinitiative. Weniger gerne aber an den Tag nach dem Fest: Denn in der Nacht danach brannte es im Restaurant. Doch das ist wieder eine neue Geschichte.

(RP)
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