Mönchengladbach 1989: Igor Belanow - Absturz nach Diebstahl

Mönchengladbach · Borussia feierte ihn anfangs. Seine Ehefrau gestand später einen Ladendiebstahl. Belanow beteuerte seine Unschuld, zahlte eine Strafe.

Neben meinem Bett hängt ein Bild, das mir mein Sohn gemalt und zum Geburtstag Anfang 1990 geschenkt hat. Es zeigt ein Stadion, kickende Fußballer, viele Zuschauer und eine Anzeigetafel. Sie ist das wichtigste Requisit auf der Zeichnung und riesengroß. Borussia führt 5:0 - ein Traumergebnis. Torschützen: 1:0 Belanow; 2:0 Criens; 3:0 Belanow; 4:0 Belanow; 5:0 Criens. Mein damals zehnjähriger Sohn war Teil eines, wie man heute sagt, Hype um einen Fußballstar, der Ende der 1980er Jahre Borussia wieder zu Glanz und Gloria führen sollte.

Igor Belanow, 1986 Europas Fußballer des Jahres, 1988 Vize-Europameister mit der sowjetischen Nationalmannschaft, zu besten Zeiten ein Wirbelwind auf dem Platz, bei Borussia aber eher ein Flop: 24 Einsätze, vier Tore, drei Vorlagen, 1524 Minuten Einsatzzeit. 1,8 Millionen Mark überwies Borussia beim ersten Transfer eines sowjetischen Spielers in die 1. Bundesliga an Dynamo Kiew. Und Borussia war stolz, sehr stolz über den Coup. Dass der Ukrainer aber oft verletzt war, blieb nicht so sehr haften. Eher die Tatsache, dass er eine Nacht im Düsseldorfer Polizei-Gefängnis saß.

"Der Igor war ein bescheidener, introvertierter Mensch" - so erinnert sich der ehemalige Borussia-Trainer Gerd vom Bruch an seinen früheren Spieler. Aber auch der Ex-Coach sagt heute: "Als er zu uns kam, hatte er seine beste Zeit schon hinter sich." Und er kam mit der persönlichen Hypothek, im EM-Finale 1988 einen Elfmeter verschossen zu haben. Später behaupteten viele: Das war der eigentliche Knacks in Belanows Karriere.

Doch das wollte Borussia damals alles nicht wahrhaben. Der ruhmreiche Klub war nach seinen Meistertiteln ins Mittelfeld abgerutscht, wollte wieder mit Macht nach oben. Und da kam dieser Deal gerade recht. Als Borussia Belanow, seine Ehefrau Irina und deren Töchterlein Christina vorstelle, herrschte im Klubhaus am Bökelberg ein Andrang, wie man ihn dort noch nie wegen eines Mannes erlebt hatte. Borussias legendärer Manager Helmut Grashoff erzählte, wie er über "Freunde in Israel" den Kontakt hergestellt habe, wie man etliche Wodkas mit den Verhandlungspartnern aus Kiew getrunken habe, warum er Belanows Frau Irina "reizend" finde und für deren Tochter Christina lieber Onkel als Opa sein wolle. Und dass der schnelle Russe nicht gleich in Mannheim ("Denen machen wir das Stadion doch nicht voll"), sondern erst beim Heimspiel gegen den HSV spielen solle. Da aber war Belanow verletzt - Muskelfaserriss. Und er war oft, wie man heute so schön sagt, wegen "muskulärer Probleme" außer Gefecht. Seine Muskulatur sei nicht richtig ausgebildet worden, sagt der frühere Trainer Gerd vom Bruch heute.

Grashoff erzählte damals nicht, dass Belanow in US-Dollar bezahlt werden wollte, weil er der D-Mark nicht traute. Dann machte die Geschichte die Runde, dass Igor Belanow Frau Irina schnell zu einer ortsansässigen Metzgerei geschickt habe, um 15 Kilo Fleisch zu kaufen: Er befürchtete einen Engpass und Fleisch-Knappheit - wie er es aus Kiew kannte. Und während er mal spielte und oft nicht - Nik Ebert veranlasste das sogar zu einer Karikatur für die RP - verblasste der bei Borussia nie hell leuchtende Stern.

Und dann kam das Ende. Ein trauriges. In einem Düsseldorfer Kaufhaus nahm die Polizei Ende Januar 1990 vier Sowjetbürger fest. Ihnen wurde Ladendiebstahl vorgeworfen. Irina und Igor Belanow gehörten zu der Gruppe. Irina und ihre beiden Begleiter beteuerten, dass Igor Belanow nichts damit zu tun habe. Es ging um Bekleidungsstücke im Wert von rund 2000 Mark. Die Belanows blieben eine Nacht in Polizeigewahrsam, da sie sich nicht ausweisen konnten. Ihre damals fünfjährige Tochter musste für diese Zeit in ein Kinderheim. Die Polizei sprach von "Flucht- und Verdunkelungsgefahr". Sogar die Wohnung der Belanows an der Memelstraße wurde durchsucht. Borussia schaltete einen Anwalt ein. Manager Grashoff war während des Vorfalls in Luzern, wo Borussia ein Hallenturnier spielte; Belanow nicht im Kader, weil er gerade eine Muskelverletzung überwunden hatte.

Obwohl er weiter seine Unschuld beteuerte, wurde Belanow verurteilt. Er musste 24 000 Mark Geldstrafe zahlen. Nach dem verschossenen Elfer gegen Holland der zweite Knacks in seiner Karriere. Und das schrittweise Aus bei Borussia. Im Dezember 1990 spielte er letztmals für Borussia (er wurde eingewechselt), ging dann nach Braunschweig in die 2. Liga und später zurück nach Odessa. Später war er Trainer in der Schweiz. Heute soll er eine Fußballschule betreiben und auch als Buchmacher arbeiten.

(RP)
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