Mönchengladbach 1996: Als Gladbach seine Mülltonne wählte

Mönchengladbach · Vor 18 Jahren gab es den ersten Bürgerentscheid der Stadtgeschichte. Die Gegner der großen Tonne setzten sich durch.

Um kurz nach halb sieben knallten die Korken, Jubel brandete auf. Gladbach hatte entschieden, und die Gäste im Rheydter Rathaus reagierten spontan: Sie klatschten. 150 Besucher hatten sich versammelt. Sie wollten ganz nah dran sein, wenn das Ergebnis bekannt gegeben würde. Und als es amtlich war, gab es kein Halten mehr. 92 986 Gladbacher hatten beim Bürgerentscheid mit "Ja" gestimmt - für die kleine Tonne. Die FDP ließ eine Flasche Prinzensekt herumgehen.

Es war ein denkwürdiger Sonntagabend im Rathaus am Rheydter Markt. 92 986 Stimmen für, 3741 Stimmen gegen den Bürgerentscheid "Stoppt die großen Tonnen". Es war die erste Bürgerabstimmung in der Mönchengladbacher Stadtgeschichte und eine der ersten in Nordrhein-Westfalen. Erst 1994 räumte das Land seinen Bürgern das Recht ein, in kommunalen Fragen selbst zu entscheiden, wenn nötig wider dem Beschluss der gewählten Vertreter. Zwei Jahre später, am 15. Dezember 1996, machten die Gladbacher von diesem neuen Recht Gebrauch. Und wie! "Wenn die Erfinder der rollenden Großtonne sagen, die Bürger hätten ihnen gestern eine Abfuhr erteilt, dann ist das schlicht untertrieben. Das war ein K. o. in der ersten Runde", kommentierte die Rheinische Post am morgen darauf.

Seit Anfang des Jahres schwelte in Mönchengladbach der Konflikt um die Tonne. Am Montagabend des 12. Februars hatte sich die Ratsmehrheit aus CDU und USD für die Umstellung des bisherigen Systems entschieden: Der Müll sollte nur noch alle 14 Tage statt zweimal pro Woche abgeholt, die Tonnen dafür größer werden. Die 25, 35 und 50 Liter großen Ringtonnen sollten schon zum 1. Oktober Rolltonnen ab 80 Liter weichen, erklärten die Fraktionen um CDU-Fraktionschef und GEM-Aufsichtsratsvorsitzenden Alfred Bohnen. So sollte verhindert werden, dass die Gebühren für die Müllabfuhr weiter steigen.

Die neuen Tonnen stellten die Parteien schon am nächsten Tag öffentlichkeitswirksam im Ratssaal der Abtei vor. Es gibt ein Foto von diesem Vorstoß: Bohnen, USD-Mann Hans-Günther Steins und der umweltpolitische Sprecher der CDU, Rolf Besten, die Hände in den Taschen hinter den großen Tonnen.

"Eine Unverschämtheit", sagt Erich Oberem noch heute. Er besitzt einen Aktenordner zu den Vorgängen im Jahr 1996: Fotos, Flugblätter, Zeitungsausschnitte. Der Ordner ist prall gefüllt.

Oberem ist einer der Kronzeugen jener Tage zwischen Februar und Dezember. Er war seinerzeit Umweltdezernent der Stadt Mönchengladbach, gewählt durch seine Parteifreunde in der CDU. 28 Jahre war Oberem Mitglied der Partei. Am 14. Februar 1996 erklärte er schriftlich seinen Austritt. Das Schreiben warf er im Parteibüro an der Regentenstraße ein. "Die Entscheidung fiel über Nacht", sagt er. Oberem fühlte sich übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Er war für die kleinen Tonnen.

Damals gab es gute Gründe für und gegen den Tonnenwechsel. Die Gegner argumentierten, die Gladbacher wüssten schlicht nicht wohin mit den großen Tonnen, viele Wohnhäuser hätten dafür keinen Platz vorgesehen. Und die geplante, seltene Abfuhr berge gesundheitliche Risiken. Zumal die großen Restmüll-Tonnen kaum gefüllt werden könnten. Wenn man den Müll richtig trenne, sagt Oberem.

Die Befürworter hielten dagegen: Die rollenden Tonnen würden die Müllwerker entlasten. Und den Geldbeutel der Bürger. "Die CDU versuchte deutlich zu machen, dass die großen Gefäße Kosteneinsparungen möglich machten", sagt Rolf Besten. Doch die Botschaft kam nicht an.

Kurz nachdem CDU und USD ihr Ansinnen publik gemacht hatten, formierte sich Widerstand. Die Bürgerinitiative "Stoppt die großen Tonnen" gewann schnell an Zulauf, bis Mitte Juni 1996 sammelten die Aktivisten 60 000 Unterschriften dafür, dass die Tonne bleibt, wie sie ist. Drei Kartons mit Unterschriftenlisten übergab die Initiative der Stadt. Unter wohlwollender Beobachtung des nunmehr parteilosen Umweltdezernenten.

Weil der Rat dem Bürgerbegehren nicht folgte, kam es im Dezember zum Bürgerentscheid.

"Dass so viele Leute für eine Mülltonne zur Wahl gehen, damit habe ich nicht gerechnet", sagte ein sichtlich erstaunter Alfred Bohnen, als er am Wahlabend im Rathaus auftrat. "Das Ergebnis hat mich zugegebenermaßen überrascht", sagt Rolf Besten heute.

Hatte sich die politische Mehrheit verzockt, weil sie die Entscheidung im Februar getroffen hatte, ohne die Bürgerschaft einzubeziehen? War das falsch? Rolf Besten überlegt nur kurz. "Über den Weg der Kommunikation kann man heute sicher diskutieren." Dennoch: In der Sache hätten CDU und USD richtig gelegen.

Lothar Beine, der damals der SPD vorstand, sagt, die große Lehre jenes Abends sei gewesen, die Bürger in Zukunft an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Es ging nicht bloß um die Tonne, glaubt Beine, sondern darum, dass sich die Bürger bevormundet fühlten. "Die Menschen hatten das Gefühl, nicht gefragt worden zu sein", sagt der Sozialdemokrat. Denn aus betriebswirtschaftlicher Sicht hätte man über den Wechsel nachdenken können, sagt Beine. "Es gab ein Für und Wider." Nur diskutiert wurde nie.

Erich Oberem blieb bis 1998 Umweltdezernent. Die CDU stellte ihn nicht wieder auf.

(RP)
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