Interview mit Renè Hartmann vom DRK "Aggressive Grundstimmung hat zugenommen"

Mönchengladbach · René Hartmann, Kreisbereitschaftsleiter beim DRK Mönchengladbach spricht mit der Rheinischen Post über Großveranstaltungen und zukünftigen Helfer-Mangel.

 René Hartmann hat unter anderem den DRK-Einsatz beim Santander-Marathon geleitet.

René Hartmann hat unter anderem den DRK-Einsatz beim Santander-Marathon geleitet.

Foto: Detlef Ilgner

Herr Hartmann, Tour de France, Big Air, Konzerte im Sparkassenpark, Sturm im Sommer - das Deutsche Rote Kreuz Mönchengladbach war im vergangenen Jahr bei vielen Ereignissen im Einsatz. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

René Hartmann Für mich war der Santander-Marathon ein Highlight. Nachdem er im vorletzten Jahr ausgefallen ist, war es diesmal für uns die Feuertaufe. Für jede Veranstaltung muss man ein Konzept erarbeiten, in dem festgelegt wird, wo welche Einsatzkräfte stehen, welche Wagen man wo braucht und vieles mehr. Ich habe den Einsatz geleitet und war natürlich gespannt, wie es klappt. Alles lief super, das Konzept hat funktioniert.

Einen Monat später kam dann schon die Tour de France. Auch da hatten wir einen sehr hohen Planungsaufwand, weil es sich um ein für uns neues großes Event handelte, bei dem wir aber nicht allein im Einsatz waren, sondern mit der Berufsfeuerwehr und vielen Organisationen gemeinsam. Als besonders schön habe ich aber eine kleinere Veranstaltung im Gedächtnis. Es war ein Judo-Turnier in der Jahnhalle, bei dem plötzlich der Sanitätsdienst ausgefallen war. Es gelang uns tatsächlich, innerhalb von einer halben Stunde genügend Leute zu mobilisieren, damit das Turnier stattfinden konnte. Und wir wurden von den Zuschauern und Aktiven mit Applaus empfangen. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen war hier allen klar, dass wir das ehrenamtlich machen.

Wie viele ehrenamtliche Helfer sind denn bei den verschiedenen Veranstaltungen im Einsatz?

Hartmann Das ist sehr unterschiedlich. Bei dem Judo-Turnier waren insgesamt vier Leute in zwei Schichten im Einsatz. Beim Marathon waren 77 Einsatzkräfte dabei, beim VDZ sind es rund 250 von Hilfsorganisationen und Feuerwehr. Bei der Tour de France haben wir 60 Kräfte gestellt.

Gibt es Veranstaltungen, auf die Sie oder Ihre Kollegen sich besonders freuen?

Hartmann Ich mag die Dienste im Stadion am meisten. Wir unterstützen regelmäßig die Malteser im Borussiapark. Ich bin bei diesen Einsätzen zum Borussenfan geworden. Es gibt aber auch Spiele, bei denen ich praktisch nicht im Stadion bin, weil so viel los ist. Auch die Konzerte im Sparkassenpark sind natürlich sehr beliebt.

Ist das DRK zu Weihnachten oder Silvester besonders gefordert?

Hartmann Ja, ich bin selbst im Rettungsdienst zu Silvester gefahren. Natürlich passiert zu Silvester und Weihnachten einiges, Brände zum Beispiel. Wir haben ständig Bereitschaft, sind rund um die Uhr mit Piepser unterwegs.

Also keine feucht-fröhliche Partys für Sie?

Hartmann Ich habe ja eine Leitungsfunktion inne, da geht das natürlich nicht. Aber man gewöhnt sich daran, ohne Alkohol zu feiern. Oder mein Vertreter übernimmt.

Wie viele Stunden ehrenamtliche Hilfe leistet das DRK denn jährlich?

Hartmann Im vergangenen Jahr haben wir mit knapp zweihundert Leuten 21.100 Stunden geleistet. Wir haben insgesamt 252 Veranstaltungen betreut, allein am Karnevalswochenende zwischen 25 und 30. Diejenigen in Leitungsfunktion sind meist besonders gefordert. Ich komme beispielsweise auf 1200 Stunden im Jahr. Das liegt vor allem an der Planungsarbeit.

Für Ihren ehrenamtlichen Einsatz werden Sie auch vom Arbeitsplatz weggerufen. Machen das alle Arbeitgeber klaglos mit?

Hartmann Bei kleineren Arbeitgebern ist es sicherlich schwieriger, aber wir haben einen großen Pool an Helfern und es bisher immer geschafft, auch kurzfristig genügend Leute bereitzustellen. Viele Arbeitgeber sind auch sehr großzügig. Als beispielsweise die vielen Flüchtlinge kamen, waren wir jede Nacht im Einsatz. Ich konnte dann immer später anfangen. Bei mir kann das drei bis fünf Mal im Monat passieren, dass ich vom Arbeitsplatz weggerufen werde. Bei Santander ist das nie ein Problem.

Bei welchen Aufgaben wird das DRK angefordert?

Hartmann Über die Großveranstaltungen in Gladbach haben wir ja schon gesprochen. Wir werden natürlich auch aus benachbarten Städten angefordert. Wir waren zum Beispiel auch bei der Loveparade in Duisburg im Einsatz. Oder bei Evakuierungen wegen der Entschärfung von Weltkriegsbomben. Es gibt ein Landeskonzept, nach dem Hilfe angefordert wird, die in Module gegliedert ist: dann stellen wir Gladbacher beispielsweise einen Patiententransportzug. Der besteht aus vier Rettungswagen, vier Krankenwagen und zwei Notärzten. Oder einen Behandlungsplatz, wo innerhalb einer Stunde nach Aufbau fünfzig Patienten versorgt werden können.

Wie viele Helfer können Sie aktivieren?

Hartmann Wir haben 299 Leute, davon rund 150 im Katastrophenschutz und können zwei Einheiten bereitstellen. Eine Einheit besteht immer aus 33 Leuten, die in verschiedenen Fachgruppen arbeiten. Es gehören Sanitäter dazu, aber auch Helfer, die die Technik übernehmen oder Betreuer, die sich um traumatisierte Menschen kümmern. Wir sind oft auch für die Versorgung anderer Einsatzkräfte wie der Feuerwehr zuständig.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus? Haben Sie genug junge Leute?

Hartmann Wir haben das Jugendrotkreuz mit zur Zeit 153 Mitgliedern, das sind mehr als noch 2010. Viele bekommen über den Schulsanitätsdienst Kontakt zu uns. Andere werden durch Freunde, die schon dabei sind, mitgebracht.

Warum engagieren sich Menschen beim DRK?

Hartmann Eine Umfrage, die das DRK gemacht hat, zeigte, dass die meisten gern helfen und etwas Gutes und Sinnvolles tun wollen. Dazu kommen noch bestimmte Interessen, zum Beispiel Spaß an Technik. Das DRK tut aber auch einiges für die Ehrenamtler. Die Weiterbildungsangebote sind oft auch im Beruf sehr nützlich. Da geht es unter anderem auch um Führungskompetenzen oder Personalentwicklung.

Welche Handgriffe muss ein DRKler als erstes können?

Hartmann Am wichtigsten sind natürlich die lebensrettenden Sofortmaßnahmen. Und ein Erste-Hilfe-Kurs. Danach durchläuft man die Grundausbildung. Auch Fortbildungen werden ständig angeboten: da geht es um Reanimation oder Gefahrenstoffe. Wer wie ich die Ausbildung zum Rettungsassistenten gemacht hat, muss jährlich 30 Stunden Fortbildung nachweisen, zum Beispiel acht Stunden Traumatraining.

Welche neuen Herausforderungen gibt es für Sie?

Hartmann Ein großes Problem kommt infolge einer Gesetzesänderung auf uns zu. Der Notfallsanitäter ist ein neuer Ausbildungsberuf und ersetzt den Rettungsassistenten. Die jetzigen Rettungsassistenten, die ehrenamtlich arbeiten und berufsbegleitend ausgebildet wurden, können sich zwar weiterqualifizieren, aber es kommen keine neuen mehr nach.

Und der Notfallsanitäter erfordert eine dreijährige Vollzeitausbildung. Zur Zeit werden bundesweit tausende von Rettungswagen durch ehrenamtliche Rettungsassistenten besetzt. Das wird wegfallen, wenn keine Ausnahmen für den Katastrophenschutz geschaffen werden. Der Katastrophenschutz ist so organisiert, dass er nicht ohne Freiwillige funktioniert. Insgesamt droht die Zahl der Ehrenamtlichen durch die demografische Entwicklung zu schrumpfen, obwohl es in den Zeiten von Terror und Klimawandel verstärkt zu schwierigen Situationen kommen kann, in denen der Staat auf ehrenamtliche Helfer angewiesen ist.

Die Gewalt gegen Rettungskräfte nimmt zu. Auch Ihre Kollegen wurden schon geschlagen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Hartmann Die aggressive Grundstimmung hat zugenommen, das ist wahr. Ich habe auch schon nach einer Schlägerei einen Kontrahenten versorgt und sah plötzlich einen Biertisch auf mich zufliegen. Oder als ich eingreifen wollte, weil Fußballfans einen anderen verprügelten und traten, ist einer auch auf mich losgegangen. Die Rotkreuzjacke hat jedenfalls nicht für eine Hemmschwelle gesorgt. Bei einem Fall von häuslicher Gewalt stand plötzlich jemand mit einem Messer vor mir.

Müssen Sie demnächst stichsichere Westen tragen?

Hartmann Davon halte ich eigentlich nichts. Zum einen gibt es ja auch noch andere Waffen als Messer und außerdem trotzdem nicht geschützte Körperteile. Eine Weste vermittelt nur Scheinsicherheit. Wir sind auch keine Ordnungshüter. Deshalb sollen sich unsere Helfer nicht der direkten Gefahr aussetzen, sondern sich zurückziehen und auf die Polizei warten. Man muss stets mit allem rechnen, darf nicht nachlässig werden und muss Distanz wahren.

Werden Sie in Deeskalation geschult?

Hartmann Wir haben im vergangenen Jahr erstmals einen Profi-Trainer eingesetzt: es wurden verbale Deeskalation trainiert, aber auch Handgriffe zur Befreiung. Das wurde sehr positiv aufgenommen und wir werden es in diesem Jahr wiederholen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN GABI PETERS, INGE SCHNETTLER UND ANGELA RIETDORF

(RP)
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