Mönchengladbach Autistische Jugendliche backen im Café Ö

Mönchengladbach · Justin will Pyrotechniker werden, Alexander Röhrenfernseher reparieren, Inigo will vielleicht ins All fliegen, Jens weiß es noch nicht. Vorläufig nehmen die Jungs an einem Pilotprojekt des Autismus-Therapie-Zentrums teil. Mit großem Erfolg.

Das klappt ja hervorragend. Justin hat zwei geformte Teigkugeln auf das hölzerne Backbrett gelegt und mit Schmackes in den heißen Ofen befördert. Klappe zu ... und warten. 40 Minuten müssen Justin und die anderen sich gedulden, bis sie das fertige Brot in die Hand nehmen können. Die anderen - das sind Alexander, Inigo und ein weiterer junger Mann, der absolut seinen Namen nicht sagen möchte. Wir sollen ihm einen schönen aussuchen. Wie wär's mit Jens? Okay, der klingt gut. Die vier leiden an einer Wahrnehmungsstörung. Autismus nennt man die Krankheit. Im Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ) an der Regentenstraße haben sie sich kennengelernt. Und gemeinsam mit dem Leiter der Einrichtung, Rainer Wassong, und dem Therapeuten Peter Haberland, arbeiten sie in der Backstube von Hans Oehmen, der die Bio-Bäckerei und das "Café Ö" am Marktsieg, in unmittelbarer Nähe zum Alten Markt, betreibt.

Bis die Teiglinge im Ofen vor sich hinbacken dürfen, müssen die Bäckerburschen eine ganze Mange Arbeit leisten. In der heißen Backstube mischen sie zunächst gewissenhaft die Zutaten zusammen. "Für ein 500-Gramm-Brot brauchen wir 580 Gramm Teig", erläutert Inigo, während er mit dem Teigschaber den Teig proportioniert und auf die Waage bringt. Auf's Gramm genau kriegt er das hin. Justin knetet den Teig. Er kann das sogar beidhändig. Echt professionell. In den Teig werden Rosinen gemischt. Ab geht's in die Maschine. Jens betont, dass der Teig für den Rosinenstuten mit dem Hubkneter bearbeitet wird. "Es gibt auch Rührkneter, aber die kommen mit diesem Teig nicht klar", sagt er.

Zehn Wochen lang haben die vier jeden Freitag drei bis vier Stunden in der Backstube gestanden und gearbeitet. "Schon beim ersten Mal haben die Jungs gezeigt, wie viel Können in ihnen steckt", schwärmt Rainer Wassong. Jetzt, am Ende des Pilotprojekts, kann er sagen: Es ist gelungen. "Die Enge der Backstube, die Hitze, die der Ofen abgibt - das sind Faktoren, die Autisten nicht gut aushalten können", sagt er. Aber die vier Jungs hätten sich total gut eingefügt, die Arbeitsabläufe schnell verstanden, nützliche Absprachen getroffen, hochkonzentriert gearbeitet, "und sie haben in das ganz normale Berufsleben reingeschnuppert - mit all seinen Anforderungen."

Weiter geht's mit Sauerteig. Gleiche Prozedur: Die Aufgaben werden verteilt. Als einer der Jungs diskutieren will, pariert Peter Haberland sehr sachlich: "Wir sind hier nicht zum Reden, sondern zum Arbeiten." Schon ist Ruhe. Es wird abgewogen, geknetet, geformt. 40 bis 50 Brote haben die vier jeden Freitag gebacken. So auch diesmal.

Ob einer von ihnen Spaß am Bäckerberuf gefunden hat? Und das Handwerk zu seiner Profession machen möchte? Inigo sagt: "Ich will nicht Bäcker werden, sondern bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA arbeiten - vielleicht später mal zum Mond fliegen. Aber nur vielleicht." Alexander interessiert sich für Modelleisenbahnen, alte Videoabspielgeräte und Röhrenfernseher. "Solche Dinge repariere ich gern. Bäcker? Nein, das ist nichts für mich." Justins Berufswunsch ist klar definiert: "Ich will Pyrotechniker werden." Jens sagt nichts, er schrubbt die Teig-Knetmaschine. Blitzeblank ist sie am Ende.

(RP)
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