Interview mit Wolfgang Wappenschmidt Bauern-Chef: Kein Landwirt ist Tierquäler

Mönchengladbach · Für den Vorsitzenden der Kreisbauernschaft, Wolfgang Wappenschmidt, ist Landwirtschaft eine Zukunftsbranche, die sich modern präsentiert. Beim Tierschutz spricht er von einem Vertrauensverlust.

 Kreisbauern-Vorsitzender Wolfgang Wappenschmidt will Schweine- und Geflügelzüchter im Rhein-Kreis Neuss überzeugen, sich freiwillig an einer "Tierwohl-Initiative" zu beteiligen.

Kreisbauern-Vorsitzender Wolfgang Wappenschmidt will Schweine- und Geflügelzüchter im Rhein-Kreis Neuss überzeugen, sich freiwillig an einer "Tierwohl-Initiative" zu beteiligen.

Foto: Isabella Raupold

Wie wirkt sich der milde Winter auf die Landwirtschaft aus?

Wolfgang Wappenschmidt Eine alte Bauernregel besagt: "Ist der Winter mild und warm, macht er den Bauern arm." Das stimmt heute zum Glück so nicht mehr. Denn wir haben, anders als damals, ganz andere Möglichkeiten, auf wetterbedingte Probleme zu reagieren.

Welche Aufgaben kommen derzeit auf die Landwirte zu?

Wappenschmidt Die Zuckerrübenkampagne ist kurz vor dem Abschluss. Die Rüben aus dem Raum Mönchengladbach sind schon in der Zuckerfabrik. Und in den Fabriken wird die Kampagne in den nächsten Tagen auch beendet sein.

Sind Sie zufrieden mit dem Ernteergebnis?

Wappenschmidt Es war merklich besser als erwartet. Wir hatten 2013 ein sehr langes, dunkles und kaltes Frühjahr. Das hat insgesamt zu Verzögerungen geführt. Die Rübensamen kamen erst spät in den Boden, und die Proberodungen haben keine gute Ernte vorausgesagt. Durch das wachstumsfördernde September- und Oktoberwetter konnten wir aber im Ertrag und Zuckergehalt erheblich nachlegen.

Sind die Zuckerpreise denn stabil?

Wappenschmidt Der Anbau von Rüben ist momentan noch interessant. Aber die Preise für den Zucker auf dem Weltmarkt sind im letzten Jahr stark gesunken. Die Auswirkungen werden sich jedoch wahrscheinlich erst bei der nächsten Kampagne zeigen.

Das müssen Sie erklären.

Wappenschmidt Obwohl wir in der EU derzeit noch eine Marktordnung für Zucker haben und wir keine Überschüsse produzieren, wirkt sich der Weltmarktpreis auch hier aus. Die Europäische Union hat den Entwicklungsländern den freien Zugang zum europäischen Zuckermarkt garantiert. Bei niedrigem Weltmarktpreis machen diese Länder davon Gebrauch und liefern in die EU. Dadurch gerät der Preis auf einem Teil des Marktes unter Druck. Hinzu kommt Ende 2016 ein weiteres Problem.

Welches?

Wappenschmidt Die Zuckermarktordnung läuft mit der Kampagne 2016 endgültig aus. Dann ist der Markt vollkommen frei, und wir sind noch abhängiger vom sehr stark schwankenden Weltmarkt. Das bringt nicht nur Unsicherheiten für uns Rübenanbauer, sondern auch für die Verbraucher.

Es soll auch weniger Mittel aus der EU für Direktzahlungen an die Landwirte geben.

Wappenschmidt Die Debatte über die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union für den Zeitraum 2014 bis 2020 ist noch nicht beendet. Sicher ist, dass es geringere Zahlungen an die Betriebe geben wird. Kleinere Betriebe sollen mit einer etwas höheren Flächenprämie versehen werden. Und da wir in NRW relativ kleine Strukturen haben, werden hier viele Betriebe von dieser Regelung profitieren. Dadurch halten sich die finanziellen Einbußen auf den ersten Blick im Rahmen. Aber wir erwarten zusätzliche Auflagen, die Geld kosten und mehr Bürokratie bedeuten.

Inwiefern?

Wappenschmidt Die EU-Agrarpolitik soll nach dem Willen der Politiker grüner werden. Das Stichwort heißt "Greening". Ein Teil der Flächenprämien wird an bestimmte zusätzliche Umweltauflagen gebunden. Derzeit wird noch darüber diskutiert, was genau unter Greening zu verstehen ist. So gibt es Vorschläge, auf einem Teil unserer Flächen die Produktion einzuschränken und etwa Düngungen und Pflanzenschutz zu verbieten.

Wenn man das so hört, gibt es dann nicht Nachwuchsprobleme?

Wappenschmidt Wirtschaftlich sind wir mit dem Jahr 2013 sehr zufrieden. Aus politischer Sicht eher nicht, denn wir wissen nicht was auf uns zukommt. Trotzdem ist die Stimmung recht positiv. Es gibt durchaus Nachwuchs, auch junge Leute, die nicht aus der Landwirtschaft, sondern aus anderen Berufen zu uns kommen.

Gibt es Zahlen zur Nachfolge?

Wappenschmidt Im Jahr 2012 haben in Mönchengladbach 22 Prozent der Betriebe ihre Nachfolge gesichert. Im Rhein-Kreis Neuss waren es 25 Prozent. Es gibt zwar keinen Ansturm auf die Landwirtschaft, aber die Stimmung ist gut. Landwirtschaft ist nach wie vor eine Zukunftsbranche vor allem im Hinblick auf die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel, nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien. Wir sind keine veraltete Branche, auch wenn wir oft so dargestellt werden. Der technische Fortschritt findet auch in der Landwirtschaft statt. Auch wenn uns das in der öffentlichen Wahrnehmung auch Nachteile bringt.

Zum Beispiel?

Wappenschmidt Die Kenntnisse in der Bevölkerung über landwirtschaftliches Arbeiten sind geringer geworden und Skandale, die durch die Medien gehen, auch wenn es nur Einzelfälle sind, verursachen Sorge und Misstrauen. Zum Beispiel, dass Landwirte durch die Art und Weise wie sie heute arbeiten, die Bodenfruchtbarkeit in Gefahr bringen. Dem ist nicht so. Wir wirtschaften zwar intensiv, aber nachhaltig. Die Fruchtbarkeit unserer Böden ist hervorragend. Daher müssen wir viel Aufklärungsarbeit leisten.

Wie gehen Sie auf die Bürger zu, um Verständnis für die Arbeit der Landwirte aufzubringen?

Wappenschmidt Wir wollen die Leute auf unsere Höfe holen und moderne Landwirtschaft für sie erlebbar machen. Das haben wir im vergangenen Jahr bereits sehr erfolgreich mit der Höfe-Tour in Rheindahlen umgesetzt. Die Resonanz dabei war großartig, so dass wir für den 20. Juni eine weitere Höfe-Tour geplant haben. Diesmal führt sie rund um Korschenbroich-Glehn. Da werden auch Betriebe mit Viehhaltung dabei sein. Denn artgerechte Tierhaltung wird momentan in der Öffentlichkeit sehr stark thematisiert und nimmt erheblichen Einfluss auf das Bild der Landwirtschaft in der Bevölkerung. Wir wollen uns der Diskussion stellen.

Keine leichte Aufgabe.

Wappenschmidt In der öffentlichen Debatte über landwirtschaftliche Tierhaltung werden derzeit Dinge diskutiert und in Frage gestellt, die bisher gute fachliche Praxis waren. Die Landwirte haben immer Interesse daran, ihre Tiere vernünftig zu halten. Kein Landwirt ist ein Tierquäler. Aber er muss das Wohl seiner Tiere mit der Wirtschaftlichkeit seines Betriebs in Einklang bringen. Es muss praktikabel und sozialverträglich sein. Diese Aspekte gehen in den Diskussionen schnell verloren.

Trotzdem musste erst ein Gesetz erlassen werden, das die Tötung männlicher Küken verbietet.

Wappenschmidt Wenn man liest, dass die männlichen Küken bei lebendigem Leib geschreddert werden, dann ist das auch nicht akzeptabel. Gegen bestimmte Bilder in den Medien kann man nicht argumentieren, aber sie sind auch nicht repräsentativ für landwirtschaftliche Tierhaltung. Trotzdem ist das Vertrauen verloren gegangen. Wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen, um dieses zurückzugewinnen.

Gibt es denn Ansätze, den Ruf der Vieh- und Geflügelbauern zu verbessern?

Wappenschmidt Es gibt ein bundesweites Projekt namens "Tierwohl- Initiative", an der die gesamte Lebensmittelkette beteiligt ist — vom Vieh haltenden landwirtschaftlichen Betrieb bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel. Landwirtschaftliche Betriebe, die Schweine, Ferkel und Geflügel züchten, sollen sich daran freiwillig beteiligen. Denn bei ordnungspolitischen Maßnahmen des Staates wandert die Produktion ins Ausland ab, wie wir das im Geflügelbereich schon erlebt haben. Mit dem Ergebnis, dass Produkte aus den Nachbarländern mit schlechteren Tierschutzstandards wieder zu uns kommen. Damit haben wir weder etwas für die Tiere noch für die Betriebe erreicht.

Kann da jeder Betrieb mitmachen?

Wappenschmidt Die Landwirte müssen zunächst die Grundvoraussetzungen des Qualitätssicherungssystems (QS System) erfüllen und können sich zusätzlich mit unterschiedlichen Bausteinen zu mehr Tierwohl bekennen. Zum Beispiel mehr Platz pro Schwein oder Huhn bereitstellen.

Das geht aber nicht, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen.

Wappenschmidt Genau. Die zusätzlichen Bausteine für mehr Tierwohl haben Kosten und wirtschaftliche Nachteile zur Folge, die der Markt nicht honoriert. Deshalb soll ein Fonds geschaffen werden, der vom Lebensmitteleinzelhandel und von der Schlachtindustrie gefüllt wird. Je nach Baustein bekommen die Landwirte bestimmte Beträge gezahlt. Ob das funktioniert, ist noch nicht sicher, aber wir hoffen, noch in diesem Jahr mit dem Projekt beginnen zu können.

Werden diese Produkte dann für den Verbraucher kenntlich gemacht?

Wappenschmidt Nein. Wir wollen kein neues Qualitätsfleisch-Programm ins Leben rufen. Die gibt es bereits und jeder Verbraucher kann diese Erzeugnisse kaufen. Unser Ziel ist es, etwas zu schaffen, das den Tierschutz insgesamt nach vorne bringt, die Betriebe wirtschaftlich nicht in den Ruin führt und von der Bevölkerung akzeptiert wird.

GABI PETERS, RUTH WIEDNER, SILVANA BRANGENBERG UND JULIAN ZUNFT FÜHRTEN DAS INTERVIEW

(RP)
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