Mönchengladbach Bewegung ernährt auch den Kopf

Mönchengladbach · Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering sprach gestern im Borussiapark über die wachsende Pflegebedürftigkeit.

 Franz Müntefering - hier bei einer Veranstaltung in Düsseldorf Ende Oktober - sprach gestern im Borussiapark.

Franz Müntefering - hier bei einer Veranstaltung in Düsseldorf Ende Oktober - sprach gestern im Borussiapark.

Foto: Anne Orthen

"Es ist mal ganz angenehm, Vorsitzender einer Vereinigung zu sein, die 13 bis 14 Millionen Mitglieder hat und ganz ohne Werbung in den nächsten 20 Jahren weiter wachsen wird", sagt Franz Müntefering, ehemals SPD-Chef und heute Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Was für die Bedeutung der kurz BAGSO genannten Vereinigung gut ist, stellt die gesamte Gesellschaft vor ein Problem, oder besser: vor eine Herausforderung. Eine demografische nämlich. Weil wir alle immer älter werden.

Müntefering sprach gestern bei einem Tagesseminar zum Thema Krankenhauspolitik, zu dem das gemeinnützige Institut für patientenorientierte Versorgungsforschung in den Borussiapark eingeladen hatte. Aber er begann nicht mit den alten Menschen, sondern mit den jungen. "Wir machen nicht genügend deutlich, welchen Einfluss man auf die eigene Gesundheit hat", sagte der frühere Vizekanzler. "Schon die Kinder müssen lernen, was der Körper braucht." Heute, stellte er fest, gebe es eine Kluft im Land, und zwar zwischen denen, die zu Hause lernen, auf ihre Gesundheit zu achten, und denen, die das nicht tun. "Wir müssen die Idee der Prävention vermitteln", sagte Müntefering. Schlüsselbegriffe seien Ernährung und Bewegung. "Wir leben in einer Bewegungsverhinderungsgesellschaft", meinte er. "Aber Bewegung ernährt auch den Kopf."

Dann kam der ehemalige SPD-Vorsitzende auf sein eigentliches Thema zu sprechen: die in den nächsten Jahren kontinuierlich wachsende Zahl der Pflegebedürftigen. Man geht davon aus, dass sie in den kommenden Jahren von heute 2,5 auf mindestens 3,5 Millionen wachsen wird. Schließlich sind in spätestens 20 Jahren auch die letzten Babyboomer in Rente gegangen. Es wird also mehr Pflegebedürftige geben, gleichzeitig aber weniger Pflegekräfte, weil der Nachwuchs fehlt. Müntefering fordert, die Pflegeberufe mehr wertzuschätzen und vor allem besser zu bezahlen. "Wenn in diesen Berufen mehr Männer arbeiten würden, hätte sich schon längst etwas geändert. Etwas stimmt nicht, wenn Menschen zu pflegen nicht ebenso wichtig ist wie Schrauben in Autos zu drehen."

Heute wird noch die Hälfte der pflegebedürftigen Menschen in der Familie gepflegt. Das werde sich ändern, meinte Müntefering: "Die Zahl der Kinderlosen wächst, 30 Prozent der heute 46-Jährigen haben keine Kinder." Darauf müsse die Gesellschaft reagieren, nicht nur in der Pflege. Vereinsamung sei die größte Krankheit in Deutschland, sagte der BAGSO-Vorsitzende. Man müsse Wege finden, gegenzusteuern, andere Strukturen aufzubauen.

Auch auf das Tabu-Thema Sterben kam Müntefering zu sprechen: "Man kann eine Gesellschaft daran messen, wie sie mit dem Sterben umgeht." Es gebe viel Angstmacherei in der Öffentlichkeit. "Man kann heute viel tun, um Schmerzen zu ersparen, aber die Palliativangebote sind nicht so flächendecken, wie es gut wäre", meint er. Im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Menschen mit Demenz warb er dafür, Allianzen für Demenzkranke in den Städten zu schaffen. "Jede Stadt ist ein Unikat. Vor Ort muss überlegt werden, welche Strukturen es gibt, was vernetzt werden kann und was neu geschaffen werden muss", erklärte er. Das alles sei eine Riesenherausforderung, meinte er, aber über all dem solle man nicht vergessen, sich über die hohe Lebenserwartung zu freuen und etwas aus den zusätzlichen Jahren zu machen. "Lebensfreude ist eine große Hilfe", sagte Franz Müntefering.

(RP)
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