Serie Was Macht Eigentlich? Bökelberg-Mord und Sechs-Tage-Läufe

Mönchengladbach · Jürgen Schmicker ist rastlos und dennoch ausgeglichen. Neben seinem Beruf als Bauleiter ist er immer noch Tischtennis-Spieler und -Trainer. Außerdem ist er mit fast 60 Jahren Ultra-Langläufer. Und er hat sechs Romane geschrieben, in vieren spielt Borussia mit.

Morgens früh so gegen sechs läuft er meist los, vom Weiersweg zu Myllendonker Niers-Brücke und dann über die Felder zwischen Lürrip und Korschenbroich. Sechs, sieben Kilometer, praktisch jeden Tag, dazu in der Woche abends noch zwei oder drei längere Einheiten. Immer mit offenen Augen und Ohren in der Natur. "Ich habe diese Woche den Eisvogel am Gladbach gesehen, warte auf den ersten Kiebitz dieses Jahres", sagt Jürgen Schmicker. Am 19. März wird er 60, seit 47 Jahren läuft er. Die sechs, sieben Kilometer, die sind ein echter Klacks für ihn. Der Einstieg in seinen Zehn- bis Elf-Stunden-Tag als Bauleiter einer großen Berliner Wohnungs-Gesellschaft, für die er vom Kölner Büro aus den Raum Rhein-Ruhr betreut. "Nach dem Morgenlauf ist der Kopf frei, der Kreislauf im Schwung, bin ich richtig fit für die Arbeit", sagt Schmicker.

Sechs, sieben Kilometer, Jürgen Schmicker kennt da ganz, ganz andere Strecken: Er ist seit 30 Jahren Ultra-Langläufer. Je älter, desto länger. Er hat zwischen 2010 und 2013 fünf Sechs-Tage-Läufe gemacht. Sein Rekord: 538 Kilometer und genau 439 Meter, gelaufen und für die internationalen Bestenlisten vermessen 2011 beim "Balaton" am Plattensee in Ungarn auf einer Rundstrecke. Mehr als 1346 Mal ist er sie dabei gelaufen. Die ersten 36 Stunden ohne Pause, danach hat er nachts jeweils etwa vier Stunden geschlafen.

Laufen ist seine Leidenschaft, ein Genuss, auch wenn eine Einheit in der monatelangen Vorbereitung auf einen Sechs-Tage-Lauf oder andere Ultra-Strecken schon mal 22 Stunden dauert. "Ich habe noch nie einen Kopfhörer aufgehabt, um Musik zu hören und mich abzulenken. Das brauche ich nicht", sagt er. "Ich muss den Wind hören und die Schreie der Vögel über mir. Ich muss mit meinen Mitläufern reden können. Meine Schritte muss ich hören und die der anderen. Spätestens nach zwei Tagen erkennst du jeden an seinem Schritt, ohne hinzusehen."

Jürgen Schmickers Spaß fängt da an, wo normale Langstreckenläufer längst an ihre Grenze gestoßen sind. "Ich bin in meinem ganzen Leben erst vier Marathon-Rennen gelaufen. Meine Bestzeit über diese Strecke stammt aus einem 100-Kilometer-Rennen, das waren drei Stunden und 13 Minuten. Über die 100 Kilometer bin ich dann 8:44 Stunden gelaufen." Der Marathon, 42,195 Kilometer, der ist ihm "zu hektisch, zu stressig", mittlerweile sind dies auch die 100-Kilometer- und Zwölf-Stunden-Läufe. Die schlimmste Strecke aber sind, wenn wirklich ernsthaft gelaufen, für ihn die scheinbar läppischen 1000 Meter, mit denen er als 13-Jähriger mit einigen Schulfreunden das sportliche Laufen begonnen hat: "1000 Meter, die sind mörderisch."

Womit ein Wort angesprochen ist, mit dem er außerhalb seiner Läuferkreise und seiner vielen Tischtennis-Mitstreiter hierzulande am bekanntesten geworden ist - als Romanautor. "Mord am Bökelberg" hieß der erste seiner fünf Krimis. Erschienen 2002, im Eigenverlag - um Kosten zu sparen und unabhängig von Verleger-Vorgaben zu sein. Dreimal wurde das Buch nachgedruckt. Schmicker hatte mit der Kombination von Borussia und mörderischer Spannung im Umfeld des Fußball-Platzes in die Herzen vor allem vieler Fohlen-Fans getroffen. Auch seine beiden nächsten Kriminalromane sind nach diesem Rezept gemacht: "Engels und die Rheinische Lösung" (2003) und "Die Raute im Herzen" (2004). Mit "Die Sieben Brücken von Köln" verließ Schmicker 2005 Gladbach - um zwei Jahre später an den Bökelberg zurückzukehren, allerdings nicht mit einem Krimi, sondern mit einer Geschichte um einen damals noch über die Stadt hinaus bekannten Fan aus der Nordkurve: "Borussen-Leo kehrt zurück." 2014 folgte ein weiterer Gladbach-Krimi, ohne Borussia: "Gladbach 4.0 oder Kommissar Artis und der Hindenburg-Kristall".

All das hat Jürgen Schmicker so nebenbei geschrieben: neben Beruf, Laufen und auch noch Tischtennis. "Man muss sich die Zeit halt einteilen, strukturiert arbeiten und Sport treiben. Ich habe mir ganz einfach das Ziel gesetzt, jeden Tag eine Buchseite zu schreiben. Das hat geklappt." Ist das nächste Buch in Vorbereitung? "Im Moment nicht", sagt Schmicker. Aber dann auch gleich: "Man soll niemals nie sagen."

Und wie wird einer, der einen schon ausfüllenden Beruf hat, Tischtennis auf recht hoher Ebene spielt und fast täglich läuft, zum Romanautor? Die Antwort: über Tischtennis. Es war 1989, als der Vorstand des hiesigen Kreises einen Nachfolger für Schriftführer Karl-Gerd Beeck suchte, der auch die Presse über das Spielgeschehen informierte. Beeck sprach Schmicker an, der war interessiert und ein ganz klein wenig "vorbelastet": "Ich hatte mit 17 mal angefangen, zwei Kurzgeschichten zu schreiben, sie aber nicht vollendet." Er sagte zu - und schrieb und fotografierte dann zehn Jahre lang für die RP, zuletzt auch über Fußball.

1999 hörte er auf, wurde noch einmal Trainer des Tischtennis-Bundesligisten Bayer Uerdingen - und konnte das Schreiben nicht lassen: "Das Große Buch vom Tischtennis", 462 Seiten dick, erschien 2000, liefert Einblicke, Erklärungen, Anleitungen und Tipps für den Sport mit den kleinen weißen Bällen.

(RP)
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