Serie Gladbacher Lesebuch (2) Das gestohlene zweite Lebensjahrzehnt

Mönchengladbach · Heinz Habrich erinnert sich noch lebhaft daran, wie er und seine Klassenkameraden im Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer eingesetzt waren.

Heinz Habrich erinnert sich an seine Zeit bei der Wehrmacht.

Heinz Habrich erinnert sich an seine Zeit bei der Wehrmacht.

Foto: Ilgner

Rheydt Es gibt Erinnerungen, auf die würde man gerne verzichten. Eine dieser Art will ich hier erzählen. Es war die Aktion Luftwaffenhelfer, die im Herbst 1942 begann und die als "Beispiel des unbändigen Siegeswillens des deutschen Volkes" im Jargon dieser Zeit gepriesen wurde. Der Flugabwehrschutz der Städte sollte ausgeweitet werden und dafür wurden Schüler der Jahrgänge 1926/27 herangezogen.

 Mit seinen Klassenkameraden wurde Heinz Habrich im Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer zum Flugabwehrschutz eingezogen.

Mit seinen Klassenkameraden wurde Heinz Habrich im Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer zum Flugabwehrschutz eingezogen.

Foto: Detlef Ilgner

Nach einer Grundausbildung für den Dienst an den Flugabwehrkanonen (Flak) und an den Funkmessgeräten (Malsi) in Krefeld-Fichtenhain wurde unsere Klasse im Stadtgebiet Mönchengladbach eingesetzt, und ich hatte das Glück, in die Stellung "An den zwölf Morgen" zwischen Bungt und Schloss Rheydt, fast vor unsere Wohnungstür, zu kommen. Etwa zwölf Soldaten, Leutnant, ein Hauptfeldwebel als Spieß, der Koch, der Furier, einige Unteroffiziere als Geschützführer und Ausbilder waren verblieben, alle anderen waren zum Fronteinsatz bereits weg, und diese Lücke sollten wir schließen.

Wir waren keine Soldaten, sondern "Hitlerjungen als Luftwaffenhelfer" und trugen eine der Luftwaffe ähnelnde Uniform. Täglich und auch bei Übungen in der Nacht wurden wir an unserem Einsatzplatz geschult und sollten dazu 18 Stunden Unterricht in der Woche haben, für die ein Betreuungslehrer in Stellung kam.

Zwischen ihm und dem Leutnant kam es darüber immer wieder zu Kontroversen, zumal nach einem nächtlichen Einsatz der Unterricht nicht um 8.30 Uhr, sondern immer erst um 10 Uhr beginnen durfte. Zweimal in der Woche gab es Ausgang zwischen 17 und 21 Uhr und alle drei Wochen war das Wochenende frei. Wir kamen bis auf Ausnahmen mit den verbliebenen Soldaten gut aus, wenn auch der Umgang mit den Älteren nicht ganz unproblematisch war. Einige von ihnen hatten das wohl nie zu stillende Bedürfnis, in unserer Gegenwart mehrdeutige Witze und Zoten zu erzählen und damit hatte ich damals dann schon so meine Schwierigkeiten. Wie schizophren diese Zeit war, zeigt wohl diese Episode: Beim Appell ranzte mich der Spieß wegen meines leicht sprossenden Bartes an und er wollte wissen, warum ich nicht rasiert sei. Ich erklärte, dass mir auf meiner Kinderseifenkarte keine Rasierseife zustände, schließlich sei ich noch keine 18. Er bestellte mich zur Matrialausgabe und ich bekam ein Stück. Von da an prüfte er bei jedem Appell meine Rasur. Das führte dazu, dass ich mich fortan zweimal in der Woche rasierte.

Im Februar 1943 endete dieser Einsatz, aber damit war der Spuk nicht zu Ende. Es folgte ein mehrmonatiger Einsatz im Arbeitsdienst und der nahtlose Übergang zur Wehrmacht. Im August 1945 kam ich aus einem englischen Internierungslager wieder nach Hause, gerade neunzehn geworden. Vater war 1944 in einem Lazarett verstorben, ich war das einzige Kind meiner Eltern. Froh, sehr froh, dieser irrsinnigen Misere entkommen zu sein. Noch heute, als Hochbetagter, trauere ich dem mir gestohlenen zweiten Lebensjahrzehnt nach.

(RP)
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