Serie Denkanstoss Das Gleichnis von den Dienern

Mönchengladbach · Regionaldekan und Pfarrer Ulrich Clancett sagt, Leben kann nur in Vertrauen und Kontrolle gelingen. Das eine geht ohne das andere nicht, doch beides muss im Gleichgewicht zueinander stehen.

 Eddi hat den Menschen grenzenlos vertraut - auch wenn er manchmal enttäuscht wurde, schreibt Ulrich Clancett.

Eddi hat den Menschen grenzenlos vertraut - auch wenn er manchmal enttäuscht wurde, schreibt Ulrich Clancett.

Foto: Isabella Raupold

Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser. Wie oft ist mir dieser Satz in diesem Jahr durch den Kopf gegangen. VW und seine Abgaswerte, die FIFA mit ihrer nicht enden wollenden Skandal- und Korruptionsgeschichte, das seltsame Versteckspiel einiger Politiker und die entsprechenden Enthüllungen, Wirtschaftsbosse, die sich nur noch darin gefielen, sich auf Kosten anderer die eigenen Taschen vollzustopfen, Investment-Banker, die weiterzocken - ohne Rücksicht auf Verluste, ein Pilot, der einen Airbus abstürzen lässt, weil er mit sich und der Welt nicht mehr zurechtkommt...

Ich habe mir in all' diesen Situationen immer wieder gedacht: Konnte man das nicht kontrollieren, wer hat da versagt? Wie kann man so etwas verhindern? Haben da Menschen in den unterschiedlichsten Situationen nicht zu viel vertraut? Ist Vertrauen nicht oft auch Dummheit? - Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser...

In der Bibel lese ich eine Geschichte, die mir in diesem Zusammenhang Mut macht: Es ist das Gleichnis von den Dienern, die das Vermögen ihres Herrn bei seiner Abwesenheit verwalten. Ein Diener hat das Geld zwar gehütet, aber nichts damit gemacht, während der andere es auf die Bank brachte, wo es Zinsen trug. Der Diener, der das Geld nur aufbewahrt aber sonst nichts damit gemacht hatte, wird vom Herrn bestraft. Er hatte aus Furcht vor seinem Herrn das Geld nur aufbewahrt - er hat die Sache seines Herrn nicht zu seiner Sache gemacht und nicht darauf vertraut, dass er es richtig macht, wenn er es zur Bank bringt. Damit verliert er letztlich auch das Vertrauen seines Herrn. Der Herr im Gleichnis ist Gott: Es genügt also nicht, Gott zu gehorchen, nur weil er der Mächtigere ist; das wäre ein toter Gehorsam. Es gibt kein Leben ohne Vertrauen, letztlich ohne Liebe. Es geht am Ende eben darum, das eine zu tun ohne das andere zu lassen.

Nur immer alles unter Kontrolle halten zu wollen, wird, das zeigt meine Lebenserfahrung, nicht funktionieren. Und konkret ist das in unserer komplexen Welt auch gar nicht anders möglich: Wie viele Apps habe ich auf dem Smartphone, die mir alle möglichen Mess- und Kontrollwerte liefern - rund um die Uhr, gefragt oder nicht gefragt. Und trotzdem: Sich alleine auf diese Kontrollwerte zu verlassen bringt letztlich eine Versklavung mit sich, in die ich nicht geraten möchte. Und so wage ich hier und da immer wieder etwas, indem ich einfach darauf vertraue, dass es schon irgendwie gut gehen werde. Mich auf mein Gefühl verlasse, mir selbst und meinen Sinnen vertraue. Ohne wirkliche Kontrolle.

Genauso wichtig ist es aber auch, die Kontrolle nicht vollständig aufzugeben, gerade, wenn es um mich selbst geht. Das tut auch gut, entschleunigt den Alltag und bringt letztlich wieder neue Energie.

Ich glaube, dass den Menschen, von denen ich eingangs sprach, den Managern bei VW, der FIFA, den Wirtschaftsbossen, den Bankern und auch dem Airbus-Piloten dieses Gleichgewicht aus Vertrauen und Kontrolle entglitten ist. Und ich glaube, dass in der aktuellen Diskussion um die Flüchtlingsproblematik das Gleichgewicht zwischen Vertrauen und Kontrolle entscheidend ist. Das kann sehr anstrengend und belastend werden. Das Vertrauen der Kanzlerin bewundere ich deshalb, weil sie Kontrolle nicht einfach an die Seite schiebt, an die ständigen Warnrufe aus dem Süden der Republik es gebe einen "Kontrollverlust", mache ich meine Fragezeichen und würde mir da etwas mehr Vertrauen wünschen. Auch wenn das anstrengend und belastend ist. Wie wäre es, wenn wir den Verantwortlichen dort jenseits allen politischen Kalküls etwas Mut machen würden und ihnen signalisierten, dass sie dort an den Grenzen unseres Landes nicht alleine stehen, dass sie auf uns vertrauen können? Auch darauf vertrauen, dass wir gemeinsam alles unternehmen, auch die Kontrolle nicht gänzlich zu verlieren?

Das eine geht ohne das andere nicht - Leben kann nur in Vertrauen und Kontrolle gelingen.

Während diese Zeilen entstehen, bricht die Nachricht vom Tod Eddi Erlemanns herein. Ja - da ist es, das Zeugnis des Vertrauens zu den Menschen. Eddi hat ihnen grenzenlos vertraut - auch wenn er manchmal enttäuscht wurde. Auch wenn er manchmal verlacht, oft sogar dafür beschimpft wurde. Aber er hat ihnen vertraut, weil er wusste, dass am Ende alles gut werden würde, weil er in jedem Menschen, der ihm vom Rand der Gesellschaft aus begegnete, das Angesicht Gottes, auch seines Schöpfers erkannte. Das hat ihm bis zum Schluss die Kraft zu diesem Vertrauen in die Menschen geschenkt.

Ich wünsche ihnen heute einen Tag voller Vertrauen!

DER AUTOR DES HEUTIGEN DENKANSTOSSES IST REGIONALDEKAN UND PFARRER IN JÜCHEN.

(RP)
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