Serie Gladbacher Lesebuch (5) Der Bettrather Kaplan Blum trickste die Nazis aus

Mönchengladbach · Weil nur die Hitlerjugend Ausflüge machen durfte, erklärte der Geistliche das Sommerlager zum Erholungsurlaub für schwache Kinder.

 Im Sommer 1939 verbrachten die Bettrather Jungen ihren Urlaub im Krefelder Kloster "Marienhöhe". Kaplan Blum machte es möglich.

Im Sommer 1939 verbrachten die Bettrather Jungen ihren Urlaub im Krefelder Kloster "Marienhöhe". Kaplan Blum machte es möglich.

Foto: Randerath

Bettrath Als ich 1934 in die Schule kam, waren die Nazis schon in allen Bereichen des täglichen Lebens aktiv. Die Stimmung der neuen Regierung gegenüber war positiv eingestellt, obwohl das katholisch geprägte M.Gladbach bisher eine Hochburg der christlichen Partei "Zentrum" war. Am Anfang gaben die Nazis sich den Kirchen gegenüber noch neutral und vermieden Reibungspunkte. Die Ermächtigungsgesetze vom 24. März 1933 brachten dann große Veränderungen. Das Gesetz hatte den Namen "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich". Wer sich dem widersetzte, war ein Staatsfeind. Es wurde also alles verboten, was nicht in dessen Rahmen passte. Parteien, Gewerkschaften, kirchliche Verbände und Jugendverbände. Durch das Gesetz war jeder ein Staatsfeind, der sich dem widersetzte. Oppositionelle wurden in "Umerziehungslager" gebracht, angeblich nur zur Behebung der Not von Volk und Reich.

 Das gegenseitige Füttern mit Pudding mit verbundenen Augen war besonders lustig. Natürlich wurde dabei auch ordentlich gekleckert.

Das gegenseitige Füttern mit Pudding mit verbundenen Augen war besonders lustig. Natürlich wurde dabei auch ordentlich gekleckert.

Foto: Bernhard Randerath

Die Rüstungsindustrie wurde angekurbelt und damit auch die anderen Industriezweige. Auch die heimische Textilindustrie lief wieder an und unsere Väter hatten Arbeit. Vorbei war die Zeit der Notstandsarbeiten. Das waren Arbeiten wie Niersbegradigung oder Straßenbau, zu denen Arbeitslose herangezogen wurden. Aber das war jetzt vorbei. Wir Kinder registrierten auch, dass die Eltern weniger Sorgen hatten. Im Verwandten- und Bekanntenkreis hieß es: "Wir bleiben, was wir sind, aber wir haben Arbeit."

Meine erste negative Erfahrung machte ich, als ich in die Jungschar der Katholischen Jugend eintrat. Einige Heimabende hatte ich mitgemacht, als es hieß, die christlichen Jugendverbände seien verboten. Gerne hätte ich dort weitergemacht, das war aber leider verboten, denn im Jahr 1936 trat das Gesetz über die Hitlerjugend in Kraft, und es war endgültig Schluss damit. Damit war für jeden Jungen und jedes Mädchen ab dem zehnten Lebensjahr die Mitgliedschaft in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen Pflicht. Die Kirche sollte zwar in der Erziehung ausgeschaltet werden. In Religion durfte sie aber weiterhin unterrichten. Und eben diese Lücke wurde bei uns in Bettrath erkannt.

Die Schulkinder wurden jahrgangsweise zur Glaubensstunde eingeladen, die entweder im Heim an der Tulpenstraße oder im Heim an der Oberstraße stattfand. An der Tulpenstraße war es eine Holzbaracke und an der Oberstraße der Anbau eines Hauses. Die Teilnahme war freiwillig, aber die Resonanz überwältigend. Fast alle Kinder im schulpflichtigen Alter waren dabei. Einmal in der Woche gab es in der Kirche eine Singstunde für alle Kinder, denn das Singen in Kirchen war noch nicht verboten. Die Kirche war bis hinten mit Kindern besetzt. An dieser Stelle soll auch einmal die Leistung der Kapläne Blum und Krebs, unter schwierigen Umständen, gewürdigt werden. Die Messdienerstunden konnten auch nicht verboten werden, weil diese Tätigkeit für die Ausrichtung der Gottesdienste notwendig war, und die Messfeier konnte man ja noch nicht verbieten. Gerne erinnere ich mich an diese Gruppenstunden.

Am Schluss der Stunde las der Kaplan aus einem Buch vor. Wir waren ganz gespannt, wie es weiterging. Da war zum Beispiel ein Buch mit dem Titel "Die Herrgottsschanze". Die Geschichte spielte in der Französischen Revolution, wo auch die Kirche im Untergrund lebte und ein Priester in Privathäusern oder Scheunen die Messe las. Die Hauptfigur in dieser Geschichte war ein Junge in unserem Alter. Er war die rechte Hand des Priesters. Er bereitete alles vor, wie Räume besorgen und den Altar vorbereiten und auch bei der Messe ministrieren. Bei allen Aktivitäten musste er vorsichtig sein. Gefahr drohte dabei besonders von dem ehemaligen Küster, denn der war jetzt Jakobiner und Gegner der Kirche. In späteren Jahren ist mir zu Bewusstsein gekommen, dass durch diese Geschichte unser Verhalten dem Naziregime gegenüber gestärkt werden sollte, ohne dies direkt anzusprechen. Aber unsere Standfestigkeit im Glauben, wurde schon positiv beeinflusst.

Leider durften keine Veranstaltungen außerhalb der Kirche sein, also auch keine Ausflüge oder Wanderungen. Dies war nur der Hitlerjugend vorbehalten. Unser Kaplan Blum hat aber doch noch eine risikoreiche Lücke entdeckt: einen Erholungsurlaub für schwache Kinder über die Caritas. Wir brauchten also ein Gesundheitszeugnis eines Arztes. Dr. Stadeler oder Dr. Molitor machten das schon, denn schwach waren wir ja schließlich. Die erste Erholungsfahrt im Sommer 1939 ging in das Kloster "Marienhöhe" bei Krefeld. Das Haus lag im Wald auf einem Hügel. Dort verbrachten wir schöne Urlaubstage.

Die Schlafstätte war in einem etwas entfernt liegenden Bauernhof, der zum Kloster gehörte, untergebracht. In den Stallungen waren Eisenbetten aufgestellt. Auch die Fresströge dienten uns als Lagerstätte. Jeden Morgen war Heilige Messe und danach wurde gefrühstückt. Auf dem Hof waren Tische und Bänke aufgestellt und das Wetter muss wohl immer schön gewesen sein, denn an Regen kann ich mich nicht erinnern. Tagsüber konnten wir im Wald spielen oder auch auf einem Teich Kahn fahren. Gemeinsame Spiele wurden auch gerne gemacht. Ich erinnere mich an das gegenseitige Füttern mit Pudding, aber mit verbundenen Augen. Für das nächste Jahr wurde wieder eine Fahrt geplant. Weil wir schon alle in Erholung waren, wurde die Aktion ausgedehnt, und Jungen aus anderen Pfarren der Stadt konnten auch teilnehmen. 1940 ging es nach Mühlhausen-Oedt. Wieder in ein Kloster mit großen Parkanlagen. In einer Turnhalle war unser Schlafsaal. Auch das war wieder ein wunderschöner Urlaub für Leib und Seele. Inzwischen war aber die Gestapo unserem Kaplan auf die Schliche gekommen.

In den Unterlagen der Gestapo heißt es: "Verhörserie nach dem 1.7.1941. Verdächtigt wurde Kaplan Jakob Blum aus Bettrath, 90 Jungen aus Mönchengladbach in einem Jugendlager in Mühlhausen versammelt zu haben." Unser Kaplan stand also auf der schwarzen Liste, trotzdem hat er 1942 noch eine Fahrt nach Höfen bei Monschau organisiert, welche ich aber nicht mehr mitmachen konnte, weil ich 1942 aus der Schule entlassen wurde und bereits eine Lehre begonnen hatte. Danach war aber endgültig Schluss, sonst wäre Kaplan Blum irgendwann verhaftet worden.

(RP)
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