Serie Denkanstoss Der Ernstfall der Demokratie

Mönchengladbach · Wählen ist große Würde und kleine Bürde. Schenken wir der Demokratie unser Vertrauen, sagt Pfarrer Hurtz.

Blickt man auf die Landkarte der Sprache, so muss man erstaunt feststellen, dass Zeit (Abgeteiltes) und Ziel (Eingeteiltes), Dämon (zugeteiltes Schicksal) und Demokratie (ursprünglich: Herrschaft einer Abteilung) etymologisch nahe beieinander liegen. Beim ersten Lesen mögen die Worte kaum miteinander in Verbindung stehen, doch besitzen sie alle die indogermanische Wurzel "da(i) - teilen".

Zeit, Ziel, Dämon, Demokratie gehören zu einer gemeinsamen Wortsippe, und vielleicht schenkt uns damit unsere Sprache einen wichtigen Fingerzeig für den kommenden Sonntag, denn der Wahltag ist doch der Ernstfall der Demokratie. Und zu ihr gehört als unumstößliches Fundament, dass Macht immer nur auf eine begrenzte Zeit vergeben wird. Demokratie heißt: Macht empfangen und wieder abgeben! Wer die Macht erhält, dies bestimmt nicht die Demoskopie, sondern der Wähler; deshalb muss die Zeit der Machtvergabe, der Wahltag, genutzt werden; Wahlrecht ist Wahlpflicht!

Wählen kommt von wollen. Deswegen sollte jeder Wähler sich die Frage stellen: Was will man? Denn wir alle haben Werte und Überzeugungen, Vorstellungen und Hoffnungen, Befürchtungen und Ängste, wohin sich die Gesellschaft entwickelt.

Über diese eigenen Ziele muss jeder sich bewusst werden, damit man sie mit den Zielen der Parteien vergleichen kann. Dabei geht es nie um Deckungsgleichheit, sie ist unmöglich, weil die Bereiche zu komplex und wir individuell zu verschieden sind; aber auf die Schnittmenge kommt es an! Gleichzeitig gilt es zu überlegen, wem man die Macht anvertrauen will. Parteien und ihr Personal gehören immer auf den inneren Prüfstand der Rechtschaffenheit, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Wählen ist Vertrauenssache, deswegen sind Parteiprogramme allein zu wenig, wir wählen Menschen.

Man sieht, die Demokratie verlangt dem Wähler einiges ab, und sie besitzt so manche Schwachstelle. Sie ist mitunter ermüdend langsam und lebt oft von seltsamen Kompromissen; in ihr wird viel geredet und manchmal wenig gehandelt, sie ist phasenweise zu laut und wiederum zu leise, sie scheint wehrlos und glanzlos zu sein und noch manches mehr.

Doch wo immer Demokratie verloren geht, da stehen die Dämonen auf! Wir mussten es in unserer Geschichte mehr als leidvoll erfahren, und auch heute erhebt sich weltweit in manchen Ländern die dämonische Fratze der Despotie. Deswegen ist und bleibt unsere Stimme unendlich wichtig, Wählen ist große Würde und kleine Bürde. Gehen wir zur Wahlurne, und schenken wir der Demokratie unser Vertrauen!

KLAUS HURTZ IST PFARRER VON ST. MARIEN UND TROSTRAUM ST. JOSEF, GRABESKIRCHE.

(RP)
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