Serie Was Macht Eigentlich? Der Kugelblitz: Streitlustig und geradeaus

Mönchengladbach · In Eicken aufgewachsen, in Rheydt 20 Jahre lang Kommunalpolitik gemacht, manchmal nach Gutsherrenart: Winfried Eßer, gelernter Maschinenbauer, hat mit Alfred Bohnen eine Große Gladbacher Koalition geschmiedet und sich mit seiner SPD zerstritten.

 Gelernt ist gelernt: Winfried Eßer beim Fassanstich zur Eröffnung der Rheydter Frühkirmes 1996.

Gelernt ist gelernt: Winfried Eßer beim Fassanstich zur Eröffnung der Rheydter Frühkirmes 1996.

Foto: Norbert Kitscha

"Schuljungen" oder "Sie sind politische Dummköpfe": Das ist nicht die vornehme oder auch nur gängige Ansprache in politischen Auseinandersetzungen. Winfried Eßer allerdings, der rote "Kugelblitz", scherte sich manchmal nicht um Konventionen. Nur keinen Streit vermeiden, wenn der nun mal nötig ist: Das war zwei Jahrzehnte das Motto des sozialdemokratischen Kommunalpolitikers, leidenschaftlichen Redners und schlagfertigen Kommentators. Keiner, der mit dem Florett eine feine Klinge führte, sondern ein Mann, der mit schwerem Degen kämpfte. Was durchaus schon mal Unterhaltungswert hatte, ihm aber längst nicht nur Freunde schuf. Und am Ende den politischen Abschuss einbrachte.

"Schuljungen" war noch das gemäßigtere Wort, mit dem Winfried Eßer im Herbst 1998 die Kollegen in der Bezirksvertretung Rheydt-Mitte belegte. Spätestens die Bezeichnung "politische Dummköpfe" aber brachte das Fass zum Überlaufen. Und lieferte seinen Gegnern den Anlass, diesen Mann abzuwählen, der manchen doch längst ein Dorn im Auge war. Nicht zuletzt seinen ehemaligen Parteigenossen aus der SPD, von der er sich 1995 abgewandt und mit vier anderen sozialdemokratischen Ratsmitgliedern eine eigene Stadtrats-Fraktion gegründet hatte: die Unabhängigen Sozialen Demokraten, kurz USD.

"Ich bin kein einfacher Mensch, durchaus autoritär", sagt Eßer, inzwischen mit 80 Jahren ein ruhiger gewordener Rentner, selbst. Einer, der die politische Auseinandersetzung liebte - aber die hatte, bitteschön, im Zweifel nach seinen Regeln und nicht stur nach der Geschäftsordnung stattfinden zu dürfen. "Sie haben mich nicht nur einmal Rüpel geschimpft", erzählt Eßer - mit immer noch spürbarem Stolz. Anlass war oft, dass er als Ausschuss-Vorsitzender schon mal die vorgegebene Neutralität vermissen ließ, sondern sehr deutlich die eigene Meinung kundtat. Auch "Napoleon" wurde er schon mal genannt. Weil er, ganz wie der ebenfalls nicht großgewachsene Franzosen-Kaiser, mit hoher Selbsteinschätzung auftrat - nach Gutsherrenart, sagte mancher.

Winfried Esser hat es dennoch in den 80er- und 90er Jahren meisterhaft verstanden, politische Strippen zu ziehen - maßgeblich mit Alfred Bohnen, dem starken Mann der CDU Mönchengladbachs. Der Unternehmer und der Arbeiter: Das passte prima. Die beiden, die schon als Kinder in Eicken Freunde gewesen waren, zimmerten 1989 die Große Koalition im Stadtrat. Sie hielt bis 1995 - und wurde dann durch eine neue Koalition abgelöst.

Nach der Kommunalwahl im Herbst 1994 ging die SPD mit neuer Führung unter Hans-Willi Körfges auf Distanz zur CDU. Und zog einige aus führenden Positionen in den Rats-Ausschüssen ab - lauter Arbeitnehmer und IG-Metall-Mitglieder, abschätzig "Blechkompanie" genannt. "Angeblich hatten fünf Abweichler, darunter ich, bei der geheimen Abstimmung im Rat die Wahl unseres Parteigenossen Klaus Schäfer zum Oberbürgermeister verhindert, so dass Heinz Feldhege von der CDU ins Amt kam", sagt Winfried Eßer. Ihm wurde zudem kurz vor Weihnachten nach 15-jähriger Tätigkeit als hauptamtlicher Fraktions-Geschäftsführer fristlos gekündigt; sein Nachfolger wurde Norbert Bude, der heutige Oberbürgermeister. Eßer erhielt, bevor es zur Verhandlung vor dem Arbeitsgericht kam, 225 000 Mark Abfindung.

Fünf in den neuen Rat gewählte Arbeitnehmervertreter der SPD zogen aus ihrer Demontage Anfang 1995 Konsequenzen: Winfried Eßer, Dieter Lenßen, Hans-Günter Steins, Felicitas Voosen und Günter Waldhausen traten aus der Partei aus. Sie behielten aber als direkt gewählte Ratsmitglieder ihre Mandate und gründeten die USD als neue Fraktion mit Eßer als Vorsitzendem. "Wir haben die alte Koalitionsvereinbarung mit der CDU genommen und neu unterzeichnet. Sie galt bis zur Kommunalwahl 1999, zu der wir dann nicht mehr antraten", erzählt Winfried Eßer. Bezirksvorsteher Rheydt-Mitte aber blieb er dank einer Koalition mit der CDU - bis das Verhältnis Ende 1998 in die Brüche ging.

Schwerpunkt Eßers politischen Wirkens war sein Rheydt. Wenn er heute Bilanz seiner 20 Jahre als Kommunalpolitiker zieht, sagt er: "Ich habe zwölf bis 14 Stunden am Tag gearbeitet, meist mit viel Freude. Und ich habe mich niemals von irgendjemandem vereinnahmen lassen." Und was hat er erreicht in 20 Jahren? "Genau 258 Maßnahmen wurden in meiner Zeit umgesetzt. Auf das gesamte Innenstadtkonzept für Rheydt bin ich besonders stolz."

Nichts geworden hingegen ist aus seinem geliebten Konzept für das ehemalige Letzerich-Gelände zwischen Odenkirchener- und Moses-Stern-Straße gegenüber dem Stadttheater. Der Streit darüber leitete auch sein politisches Ende ein. Eßer: "70 Altenwohnungen, 90 Pflegebetten und 45 Eigentums-Wohnungen sollten entstehen. Alles wäre mithilfe eines Multiplex-Kinos mit 2000 Sitzplätzen von einem großen Investor finanziert worden, den ich an der Hand hatte." Doch SPD und CDU in der Bezirksvertretung zogen nicht mit. Es krachte zwischen dem Vorsteher und den anderen. So kam es schließlich zur "Dummkopf-Sitzung" und der Abwahl Winfried Eßers.

Der hatte inzwischen auch mit den Genossen in der USD massive Probleme, nicht nur wegen des Letzerich-Geländes. Über das angeblich sechsstellige Jahresgehalt, das er seit 1995 als Berater des Nahverkehr- und Energieversorgers Stadtwerke war öffentlich diskutiert worden. Aber wieder war es eine Oberbürgermeister-Wahl, die das Fass zum Überlaufen brachte: Winfried Eßer hatte im November 1998 die Ratssitzung mit ganz knapper Mehrheit geglückten Wahl von Monika Bartsch zur hauptamtlichen Oberbürgermeisterin mit den Stimmen von CDU und vier USD-Leuten geschwänzt. "Die CDU war sich nicht einig. Wäre ich in der Sitzung gewesen, hätte wieder alle Welt mich beschuldigt, ausgeschert zu sein", erklärte er sein Fehlen - das andere aber als Reaktion auf seinen zerstörten Multiplex-Traum sahen.

Anfang 1999 entzogen die vier einstigen Mitstreiter in der USD Winfried Eßer das Vertrauen als Fraktionschef: "Wir lehnen jede weitere Zusammenarbeit ab", verkündeten sie. Zur Kommunalwahl trat die USD nicht mehr an. Und der Kugelblitz verschwand von der politischen Bühne. Er ist eben kein einfacher Mensch. Und steht sich so schon mal selbst im Wege.

(RP)
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