Serie Denkanstoss Der menschgewordene Gott irritiert

Mönchengladbach · Es war die merkwürdigste Weihnachtserfahrung meines Lebens: im Juli 1998, bei ungefähr 30 Grad! Wir waren nach Bethlehem gefahren, das südlich von Jerusalem liegt. Ziel war neben der Geburtskirche auch das Caritas-Baby-Hospital.

 In der katholischen Kirche in Grevenbroich-Noithausen ist diese Mutter Gottes mit Kind zu sehen.

In der katholischen Kirche in Grevenbroich-Noithausen ist diese Mutter Gottes mit Kind zu sehen.

Foto: Hans Jazyk

1952 wurde es von einem Pater gegründet, der als Pilger am Heiligen Abend beobachtet hatte, wie ein Palästinenser sein totes Kind im Morast begrub. Ein Berufungserlebnis. Heute ist dieses Krankenhaus der rettende Zufluchtsort für viele kranke Kinder aus der ganzen Westbank.

Mein Erlebnis war dagegen bescheiden. Wir hatten den Rundgang durchs Krankenhaus fast beendet, als plötzlich eine junge Beduinenfrau mit einem blauen Schleier auf uns zutrat und uns vertrauensvoll ihr Baby entgegenhielt. Wie eine lebende Madonna sah sie aus, und der Kleine mit seinen großen, schwarzen Augen lachte uns an und strampelte vor Begeisterung. Selten ist mir so unter die Haut gegangen, was Weihnachten bedeutet.

Vielleicht hatte unsere Begegnung mit der Palästinenserin eine Spur von dem, was vor 2000 Jahren auch die ersten Zeugen erlebten, als sie der jungen Jüdin Mirjam (Maria) mit dem neugeborenen Jesus auf dem Arm staunend gegenüber standen und ihn sogar betasten durften? Die Hirten auf den Feldern von Bethlehem konnten ja auch kaum fassen, was der Engel ihnen gesagt hatte: Der ewige und allmächtige Gott kommt in einem so kleinen und wehrlosen Geschöpf zur Welt! Können wir es fassen?

Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Israel führt mitten hinein in die harte Wirklichkeit des Lebens. Sie ist angesiedelt in Ängsten und Nöten - dort wo überforderte Eltern, die durch Tyrannen vertrieben wurden, nicht wissen, wie sie das Nötigste für ihr Kind auftreiben sollen. Denken wir dabei auch an die Bilder aus syrischen Flüchtlingslagern oder unzähligen anderen Elendsquartieren dieser Welt, die uns täglich erreichen. Weihnachten ist von außen betrachtet erschreckend profan - keine Idylle! Das ist wohl auch der Grund, warum es heute oft schwerfällt, Weihnachten für uns wahr sein zu lassen oder es angemessen zu feiern. Wir möchten ja im Grunde lieber abgelenkt werden - entrückt in höhere Welten, wo alles gut und schön ist... Auf der anderen Seite ist Weihnachten aber auch nicht kaputtzukriegen, trotz aller billigen Klischees und des Kitsches, der sich um das Faktum der Menschwerdung Gottes herum gebildet hat.

Unsere Weihnachtschoräle geben das Revolutionäre der Botschaft noch wieder: "Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein, er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein... Er entäußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding... Er wird ein Knecht und ich ein Herr; das mag ein Wechsel sein! Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein..." (EG 27).

Wem solche Menschenfreundlichkeit Gottes aufgeht, wird sich unweigerlich ändern, denn sie fordert den Respekt vor sich selbst wie vor dem Mitmenschen. Ob uns der andere Mensch immer passt, ob er uns fremd oder vertraut ist, das ist gar nicht das Ausschlaggebende. Für Christen liegt die Würde aller darin begründet, dass Gott einer von uns wurde und deshalb auch heute im Mitmenschen begegnet, besonders aber in den Kindern! Helfen wir darum den Flüchtlingen, die zu uns kommen. Hier geht es um die viel beschworenen "Werte" des christlichen Abendlandes.

DER AUTOR IST EVANGELISCHER PFARRER IN RHEYDT.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort