Mensch Gladbach Der Sommer des Terrors und das Fest am See

Mönchengladbach · Menschenmengen meiden? Die Rollläden runterlassen? Niemandem mehr über den Weg trauen? Kann das wirklich die Antwort sein, nur weil wir schmerzlich erkennen müssen, dass der Terror immer und überall zuschlagen kann? Das ist die Frage der Stunde.

Orlando. Istanbul. Nizza. Würzburg. Reutlingen. München. Ansbach. Saint-Étienne-du-Rouvray - das Mündungsfeuer der Horror-Meldungen, ob nun mit "Terroranschlag" oder "Amoklauf" übertitelt, trommelt mittlerweile im Stakkato. Es setzt sich in den Köpfen fest. Auch wer sich dieser Tage durch Gladbach bewegt, hört kaum jemanden einen Sommerhit summen - es ist die Kakophonie der hässlichen Nachrichten, die die Menschen bewegt und ins Grübeln bringt. Darüber, ob sie zum Fest am See oder in den Hockeypark gehen sollten - oder lieber nicht, weil man Menschenmengen derzeit vielleicht besser meidet.

Genau das will Terror erreichen. Das Ziel von Terror ist es nicht, möglichst viele Menschen zu töten. Das Ziel dieses neuen Terrors ist es, anders als zu Zeiten bin Ladens, auch nicht, Symbole des freien Westens oder des Kapitalismus zu schänden. Einziger Sinn und Zweck von Terror ist es laut UN, "einen Zustand des Schreckens hervorzurufen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder etwa eine Regierung zu nötigen". Terror will Terror in den Köpfen auslösen: Schrecken. Am besten als permanentes Hintergrundrauschen, als Alltag gewordener Ausnahmezustand, als Wahnsinn, der immer und überall ausbrechen kann.

Es war in einer globalisierten Welt eine Frage der Zeit, bis der Terror willkürlich werden musste, unberechenbar: Wenn er in Ansbach zuschlagen kann, kann er das definitiv auch in Wickrath oder im Nordpark. Ja, kann er, und gerade deshalb ist er unmöglich zu verhindern! Aber selbst, wenn man sich bewusst ist, dass die Wahrscheinlichkeit, beim Essen zu ersticken oder sich beim Treppensturz den Hals zu brechen, statistisch gesehen trotzdem um ein Vielfaches größer ist, bleibt ein Unwohlsein. Weil der Schrecken sich nicht nur in die Köpfe, sondern auch in die Herzen schleicht. Daher steht jeder Einzelne vor der Frage nach der angemessenen Reaktion auf diese neue Weltwirklichkeit, die so neu ja gar nicht ist, nur näher gerückt.

Schaue ich auf mich, stelle ich fest: Ich wuchs humanistisch geprägt auf, als Optimist, im festen Glauben, dass sich die Welt unweigerlich zum Besseren entwickelt. Aber zuletzt verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass Geschichte vielleicht doch in Wellenbewegungen verläuft, dass sich Phasen wachsender Barbarei mit Phasen der Besinnung auf Vernunft, Frieden und Zusammenhalt abwechseln. Und vielleicht ist es dann so, dass es seit 1945 im Großen und Ganzen bergauf ging - und nun ein neues Wellental ansteht. Ich bemerke, dass ich nicht länger daran zweifle, dass Trump Präsident wird, dass Erdogans Sultan-Werdung noch lange nicht am Ende ist, dass populistische Rattenfänger weiter Zulauf erhalten. Weil die Vernunft gegenüber dem, was Daniel Cohn-Bendit die "unterschiedlichsten Fundamentalisierungen der Weltgesellschaft" nennt, zusehends den Kürzeren zieht: gegenüber Faktenresistenz sehenden Auges, gegenüber dem Gesetz des Lauteren, gegenüber der Gier nach einfachen Lösungen, nach Spaltung und dem Hochziehen von Mauern. Brexit lässt grüßen. Polen, Ungarn und die Türkei grüßen mit, und sie werden wohl nicht alleine bleiben.

Ich konstatiere also: Der Terror und seine Begleitumstände lassen mich pessimistischer, bisweilen sogar leicht resignativ werden. Sie machen mich wütend, ratlos, bestürzen mich. Und stellen mich vor Fragen wie: Wäre es eine gute Idee, Kinder in diese Welt zu setzen? Und spätestens, wenn ich diese Frage bejahe, stelle ich etwas anderes fest: dass der Terror bei mir sein eigentliches Ziel verfehlt. Denn ausgerechnet Schrecken löst er bei mir nicht aus.

Vielmehr erkenne ich, dass jede neue Hiobsbotschaft mich noch mehr dazu bringt, mir meines - sehr glücklichen - Daseins bewusst zu sein, jeden Tag zu genießen. Ich verstehe alle, denen das misslingt, aber ich wünsche ihnen, dass sie es, gerade im Angesicht des Schreckens, schaffen, noch freundlicher, fröhlicher und offener zu sein oder zu werden. Denn: Wäre das jeder, gäbe es bald keinen Terror mehr. "Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit", sagte Norwegens damaliger Ministerpräsident Jens Stoltenberg nach dem Breivik-Massaker. Klingt naiv, ist aber die schwerste aller Lösungen. Das Charmante daran ist jedoch: Jeder hat es selbst in der Hand. Gehen Sie also zum Fest am See. Oder in den Hockeypark. Oder zu beidem. Vielleicht sehen wir uns da.

(RP)
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