Serie: Was macht eigentlich? Der Zauberer auf der Kanzel von St. Marien

Mönchengladbach · Manfred Riethdorf ist seit 35 Jahren Pfarrer in Rheydt. Er ist ein Seelsorger mit Leib und Seele, war Religionslehrer mit einem eigenen, echten Fanclub. Ein Mann, der Menschen fesseln - und auch verzaubern kann. 70 ist er, doch noch längst nicht am Ende seiner Berufung.

"Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", heißt ein Roman des schwedischen Schriftstellers Jonas Jonasson. Manfred Riethdorf hat den Titel, leicht verändert, als einen persönlichen Traum übernommen: "Der Hundertjährige, der aus dem Kirchenfenster von St. Marien stieg und verschwand", erzählt er mit seinem Aufmerksamkeit weckenden, ansteckenden Lachen. Und springt, wie ein junger Hüpfer, auf, um mal eben auf dem Dachboden des Pfarrhauses von St. Marien zu verschwinden und Alben mit Fotos früherer Tage zu holen: "Ich bin sofort zurück."

Ist er dann auch, springlebendig. 70 ist der Mann Gottes, und kein bisschen müde, obwohl er nicht gerade der Sportlertyp ist. Eher der Großvater mit weißem Haarkranz, der wunderbar erzählen und fesseln kann. Mit Worten, ob von der Kanzel oder im privaten Kreis. Und auch mit Zauberkunststücken, die ihn schon als Zehnjährigen so faszinierten, dass er sie nachzumachen begann und bald eigene entwickelte.

Damals wohnte er noch in Viersen. Als er elf war, zog die Familie Riethdorf nach Mönchengladbach. Hier kam der enge Kontakt zur Pfarre St. Albertus am heutigen Adenauerplatz. Er wurde ein begeisterter Messdiener, lauschte aufmerksam den Worten von Pfarrer Heinz Didden, später Gottfried Sommer und Kaplan Karl Reger, der heute emeritierter Weihbischof in Aachen und mit "Manni" bis heute freundschaftlich verbunden ist. "Das Leben in der Gemeinde St. Albertus hat mich sehr geprägt", sagt "Manni", wie er nun genannt wurde, "weil es schon einen anderen Manfred bei uns Messdienern gab".

Schon mit 14 kam ihm der Gedanke, Priester zu werden: "Da habe ich mich erkundigt, wie lange das dauert." Und dann bekam er 1959 am Stiftisch Humanistischen Gymnasium einen Religions- und Philosophielehrer, der ihn faszinierte und in seinem Weg bestärkte: Dr. Josef Schütt, später Monsignore Josef Schütt. "Er hat mich damals theologisch geprägt. Dafür bin ich ihm immer noch dankbar", sagt Riethdorf, der aus einem konfessionsübergreifenden Elternhaus stammt: die Mutter katholisch, der Vater evangelisch. Was damals noch ein wenig ungewöhnlich, bei den Riethdorfs aber "völlig unkompliziert war. Meine Eltern haben mich immer meinen Weg gehen lassen".

Den er heute wie damals als richtig empfindet und an dem er nie gezweifelt hat. Nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung, die ihm immer noch so viel Freude macht, dass er mit seinen 70 Jahren auf keinen Fall ans Aufhören denkt: "Ich möchte weitermachen, solange der Bischof mich lässt und mir keiner sagt, dass ich am vergangenen Sonntag doch schon die gleiche Predigt gehalten hätte."

Seine Laufbahn als Priester hat ihn nach dem Studium in Bonn, München und Tübingen (wo Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., lehrte) 1970 zunächst nach Krefeld geführt. 1976 stieg er als stellvertretender Leiter des Bischöflichen Theologenkonviktes für das Bistum Aachen in Bonn in die Ausbildung des Priesternachwuchses ein. Drei Jahre später kam er nach Rheydt. "Ich habe mich nie für eine Stelle beworben, sondern bin immer gefragt worden und habe die Aufgaben angenommen", betont er.

"Manni" Riethdorf ist ein Seelsorger, der die Menschen liebt und den die Menschen lieben in einer Zeit, in der die Kirchen über leere Gotteshäuser klagen, Skandale um Missbrauch und einen maßlosen Bischof sie beschädigen, es Diskussionen um den rechten Weg zwischen modern und konservativ gibt.

Pfarrer Riethdorf ist so modern wie möglich und so konservativ wie nötig. Er schätzt sehr und pflegt bis heute die alten Sprachen: Latein, Griechisch und Hebräisch. Er tauscht sich per WhatsApp auf Lateinisch mit dem Karikaturisten Nik Ebert aus. Er führt gelehrte Diskussionen, mag aber auch sehr die Sprache, die die einfachen Menschen verstehen.

Er ist ein Seelsorger, der (womöglich als einziger Pfarrer Deutschlands) einen eigenen Fanclub hatte: den seiner Schüler am Gymnasium am Geroweiher, wo Studienrat Manfred Riethdorf 30 Jahre Religion, Philosophie und Pädagogik unterrichtete. Er hatte im Internet-Portal Schüler VZ bis zu 200 Mitglieder. Die meinten, er sei der "beste", "coolste" und "knuffigste" Lehrer.

2009, nach 30 Jahren, mit 65, ist dieser Lehrer, wie das Beamtenrecht es eben mal vorschreibt, aus dem Schuldienst ausgeschieden (die Schul-Gottesdienste hält er aber immer noch). Seitdem nennt er sich "Studienrat i. R. - Pfarrer i. A.". Was heißt: Studienrat im Ruhestand - Pfarrer in Aktion.

In Aktion für seine Pfarre ist er ständig, sieben Tage die Woche. Manfred Riethdorf ist seit August 2009 Pfarrvikar an "St. Marien Mönchengladbach-Rheydt, Gemeinschaft der Gemeinden Mönchengladbach-Rheydt-Mitte", wie es seit der Neuordnung zum 1. Januar 2010 heißt.

St. Marien - das ist die Kirche, in der er am 20 September 1969 zum Priester geweiht wurde. Und in der er nun eine Aufgabe hat, bei der er sich pudelwohl fühlt: "Klaus Hurtz als Erstpfarrer und ich als Pfarrvikar sind ein wunderbares pastorales Team, das von unseren Gemeindereferentinnen Annemarie Scherf, Angela Derichs und Ute Spitzer toll unterstützt wird".

16 000 Mitglieder zählt diese Gemeinde der Gemeinden. Im kommenden Jahr wird St. Josef an der Keplerstraße zur Grabeskirche. St. Marien und St. Franziskus Geneiken-Bonnenbroich bleiben als Pfarrkirchen erhalten. Klaus Hurtz, der 2015 60 wird und sein 25-jähriges Ortsjubiläum in Rheydt feiert, und Manfred Riethdorf bleiben - mit ungebrochenem Elan. "Ich bin Pfarrer zu 150 Prozent. Es ist toll, so etwas noch erleben zu dürfen in einer Zeit, in der ich Pensionär sein könnte. Meine Arbeit ist wunderbar und ausfüllend, mein Lebenselixier", sagt Riethdorf. Und träumt wieder von dem Hundertjährigen, der aus dem Kirchenfenster von St. Marien stieg und verschwand ...

(RP)
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