Mönchengladbach Die Geschichte der Schmölder-Spinnerei

Mönchengladbach · Die Geschichtswerkstatt hat zur Historie der ehemaligen Textilfabrik F. H. Hammersen in Morr recherchiert. 1906 ging sie in Betrieb, Ende der 70er Jahre wurde sie geschlossen. Geblieben ist von ihr nur eine Schaufassade.

Mönchengladbach: Die Geschichte der Schmölder-Spinnerei
Foto: Hans Schürings

Vor 110 Jahren entstand auf der grünen Wiese im Rheydter Stadtteil Morr, an der Dahlener Straße 562-570, eine völlig neue und einzigartige industrielle Textilfabrik. Bauherr war Emil Schmölder (1867-1907), Sohn des Kommerzienrates Carl Julius Schmölder (1838-1906), der Stifter des Schmölderparks. Nachdem Emil Schmölder einvernehmlich den elterlichen Betrieb verlassen hatte, plante er der damaligen Zeit entsprechend ab 1905 eine hochmoderne Baumwollspinnerei, die 1906 die Produktion aufnahm. Auch heute noch ist die imposante Schaufassade erhalten.

Mönchengladbach: Die Geschichte der Schmölder-Spinnerei
Foto: Gustav Baum

Die Spinnerei Schmölder bezeugte die Wanderung von Industriebetrieben in einer zweiten zentrifugalen Welle (nach einer ersten zu Beginn der Industrialisierung), die nun nicht mehr in die unmittelbare Peripherie der Zentren, sondern in den weiter entfernten, noch ländlich geprägten Bereich strebte. Die spätere Hammersen-Spinnerei zählt neben der Gladbacher Aktien-Spinnerei und Weberei am Platz der Republik (heute Berufsschule) zu den imposantesten Relikten der ehedem dominierenden Textilindustrie in Mönchengladbach, dem einstigen "Rheinischen Manchester".

Im Gegensatz zu den frühen Textilindustriebauten wie der Aktien-Spinnerei wurde der Betrieb von Emil Schmölder nicht als Geschossbau ausgeführt, sondern ebenerdig. Den entstandenen Gebäuden wurden aufgrund der Lage große Orientierungsqualitäten als Landmarke attestiert. Wegen der Geschlossenheit der Erscheinung sowie durch die außergewöhnliche, innovatorische Formensprache besitzt die Schaufassade einen großen architektonischen Wert. Die Grundhaltung und die baukörperliche Durchbildung sind durch eine Wiederaufnahme des Klassizismus gekennzeichnet, die unsymmetrisch gegliederte Schaufassade zeichnet sich durch eine Zusammenstellung von Detailformen des Jugendstils, einer aufgelösten Backstein-Blendarchitektur und dekorativ angewandten, vereinfachten historisierenden Formen aus. Hinter der langgestreckten monumentalen Giebelfassade mit Kesselhaus, Wasser- und Staubtürmen, Büros, Umkleiden, Toilettenanlagen sowie Sortier- und Lagerräumen befanden sich die eigentlichen Produktionshallen als Sheddach-Konstruktionen sowie die monumentale Schornsteinanlage mit 4,50 Metern Durchmesser. Die Vorbauten entstanden aus Flachbogen-Stahlbindern und gewölbten Deckenschalen aus eisenarmiertem Bimsbeton. Unabhängig von der Fabrikanlage entstand eine noch vorhandene Direktorenvilla als Solitär in Putzbau von eineinhalb Geschossen mit Mansarddach.

Mönchengladbach: Die Geschichte der Schmölder-Spinnerei
Foto: Stadtarchiv

Als Architekt der Gesamtanlage zeichnete der junge Architekt Theodor Johann van Leewen, geboren in Kleve, der wohl früh nach Mönchengladbach kam und hier eine Ausbildung als Techniker genoss sowie eine Stelle als Bauassistent bei der Stadtverwaltung in Rheydt innehatte. In Mönchengladbach wurden zahlreiche Wohnhäuser von ihm entworfen und gebaut. Annelie Scherschel fasst seinen Architekturstil wie folgt zusammen: "Er baut im 'Stil der neuen Zeit', nach den Vorbildern des Neobarock und Neoklassizismus, deren Ornamente er auf die Fassaden der Dreifensterhäuser überträgt. Jugendstiltendenzen und Elemente des aufkommenden Heimatstils verunklären bei einigen Bauten die Stilreinheit."

Bereits im Jahr 1907 stirbt Emil Schmölder überraschend, vermutlich in Folge eines Herzleidens, und die Fabrik wird zunächst von seinem Bruder Carl weiter geführt. In den Jahren 1910 bis 1916 finden mehrere bauliche Erweiterungen der Fabrikanlage statt. So wurde etwa 1910 westlich die Schlosserei hinzugefügt, in der sich heute ein Edeka-Markt befindet. In den Kriegsjahren 1917/18 übernimmt die Firma F. H. Hammersen AG aus Osnabrück die Fabrik, um dann wiederum 1931 mit der Firma Dierig zu fusionieren.

 Oben: die Pläne für den Neubau aus dem Jahr 1905.

Oben: die Pläne für den Neubau aus dem Jahr 1905.

Foto: Helga-Maria Möhrle

Nach der Schließung der Textilfabrik Ende der 1970er Jahre und jahrelangem Leerstand wurde der Fabrik-Komplex in den späten 1990er Jahren zum größten Teil abgerissen (Schornstein, Produktionshallen, Wollaufbereitung (Batteur) etc.). Nur der strassenseitige kleinere Teil mit der Schaufassade wurde saniert und einer neuen Nutzung zugeführt. Die gesamte Betriebsanlage wurde seinerzeit der Stadt zum Kauf angeboten. Diese lehnte jedoch aufgrund mangelnder finanzieller Mittel ab. So konnte der Vorschlag, dort ein Textilindustriemuseum zu installieren, nicht realisiert werden.

Nur der architektonisch für würdig befundene Baukörper, die Schaufassade mit den unmittelbar dahinter liegenden Räumen wurde am 14. Mai 1985 unter Denkmalschutz gestellt. Auf dem weitaus größeren Gelände der ehemaligen Produktionshallen, die sämtlich geschleift wurden, entstanden ein- bis zweigeschossige Wohnhausneubauten in offener Bauweise. Da die meisten der Gladbacher Textilindustriebauten nach dem Niedergang dieser stadtprägenden Branche konzeptlos abgerissen wurden, gehört die Schaufassade der einstigen Baumwollspinnerei Emil Schmölder zu den wenigen textilindustriellen identitätsstiftenden Relikten des ehemaligen Hauptsitzes der niederrheinischen Baumwollindustrie. Kein Textilindustriebetrieb steht als Gesamtanlage im Mönchengladbach unter Denkmalschutz.

Der Aufsatz entstand in Vorbereitung auf den Vortrag "Textilindustriebau in Mönchengladbach: Gestern - heute - morgen", den der Autor bei einer Tagung der RWTH Aachen am 7. und 8. April in Krefeld halten wird.

(RP)
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