Hans Wilhelm Reiners Die Grüne Welle löst nicht das Mobilitätsproblem

Mönchengladbach · Der Oberbürgermeister spricht über seine Halbzeitbilanz, die Besetzung der Kämmererstelle und die Frage, ob es im Rats-TV auch Bilder des Verwaltungsvorstandes geben wird.

 Wichtig sind für Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners die Themen Mobilität und Digitalisierung.

Wichtig sind für Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners die Themen Mobilität und Digitalisierung.

Foto: Detlef Ilgner

Herr Oberbürgermeister, Ihre Amtszeit ist zur Hälfte um. Haben Sie schon einmal bereut, OB zu sein?

Reiners Ganz ehrlich: nein. Man ärgert sich natürlich an der einen oder anderen Stelle, aber ich gehe jeden Morgen sehr gern zur Arbeit.

 Für Radfahrer müsse noch einiges getan werden, sagt der OB.

Für Radfahrer müsse noch einiges getan werden, sagt der OB.

Foto: Klik

Worüber ärgern Sie sich denn?

Reiners Das ist meist nichts Konkretes. Weil die Personaldecke sehr dünn ist, geht in der Verwaltung manches einfach nicht so schnell. Sie ist schon wie ein Tanker, Veränderungen sind nicht einfach und brauchen Zeit. Aber wir sind auf einem guten Weg.

Und die Zusammenarbeit mit der Politik? Sie können sich ja auf eine große Mehrheit im Rat stützen. Gibt es Reibungspunkte?

Reiners Die Verständigung auf eine große Linie funktioniert meist gut. Was mich ärgert, sind politische Rituale. Wenn eine große Anzahl von Anträgen alle Gremien bis zum Rat durchläuft, dann kostet das sehr viel Zeit, und ich frage mich, ob man so politisches Profil gewinnt?

Haben Sie das in Ihrer Zeit als Fraktionsgeschäftsführer nicht genauso gemacht?

Reiners Teilweise stimmt das. Deshalb habe ich auch Verständnis dafür, auch wenn es nervt. Es gehört zum politischen Geschäft.

Sie sind ja ehemaliger Redakteur. Welche Überschrift trägt Ihre Amtszeit? Fünfspaltig bitte.

Reiners "Auf einem guten Weg" trifft es ganz gut. Das drückt aus, dass es vorangeht. Aber man kommt nie an, die Dinge verändern sich ständig weiter.

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie hätten kein eigenes größeres Thema, das mit dem OB Hans Wilhelm Reiners verbunden wird. Was sagen Sie dazu?

Reiners Ich meine, man ist gut beraten, sich nicht nur auf ein Thema zu reduzieren. Die Stadt ist dazu zu vielfältig. Wichtig sind für mich allerdings die Themen Mobilität und Digitalisierung. Bei der Mobilität wird sich sehr viel ändern. Und bei der Digitalisierung machen wir als Stadt uns auch gerade auf den Weg.

Bleiben wir bei der Mobilität. Sie sind überzeugter Radfahrer, haben auch schon Tour-de-France-Berge bezwungen. Wann sind Sie zuletzt über den Radweg an der Hohenzollernstraße gefahren?

Reiners Das habe ich gerade erst vor ein paar Tagen gemacht. Das ist tatsächlich kein akzeptabler Zustand. Wir haben dann verwaltungsintern darüber gesprochen, und ich habe entschieden, dass die Benutzungspflicht für Teilstrecken aufgehoben wird. Dazu muss allerdings erst die Ampelschaltung an der Bergstraße verändert werden. Wie gesagt: Die Dinge dauern manchmal länger, als man möchte.

Die Aufhebung der Benutzungspflicht stößt nicht überall auf Gegenliebe. Können Sie sich auch andere Lösungen vorstellen?

Reiners Ich persönlich kann mir gut vorstellen, die zweispurige Hohenzollernstraße auf eine Spur für Autos zu reduzieren und die andere Spur zum Beispiel Radfahrern, Bussen und Taxen vorzubehalten. Aber dafür würde es nach meiner Einschätzung derzeit noch keine Mehrheiten geben.

Drei Jahre sind vergangen, Sie haben eine stabile Mehrheit im Stadtrat, dennoch hat sich für die Radfahrer nicht viel verbessert. Muss man nicht auch mal Entscheidungen treffen, die wehtun?

Reiners Für die Radfahrer hat sich schon viel verbessert, aber es gibt auch noch viel zu tun. Aber man braucht auch immer Mehrheiten, um Dinge umzusetzen. Die Stadt radfahrerfreundlich zu machen, ist ein langer Prozess. Ich setze auch auf die Vorbildfunktion. Ich erledige Dienstwege manchmal zu Fuß, auch schon mal mit dem Fahrrad und bin auch in der Freizeit viel mit dem Rad unterwegs. Das bringt mir in dieser Frage Glaubwürdigkeit. Aber es braucht einen langen Atem. Was wäre gewonnen, wenn die Verwaltung eine Vorlage einbringen würde, um den Radfahrer auf der Hohenzollern- oder Bismarckstraße eine Spur einzuräumen, aber derzeit davon ausgehen muss, dass sich keine Mehrheit findet? Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

2016 wurden die Ampelphasen mit Hilfe von Autofahrern analysiert. Seitdem hört man nichts mehr davon. Wann gibt es die Grüne Welle?

Reiners Die Verwaltung ist in der Endphase der Datenauswertung und wird bald über die Ergebnisse berichten. Eine Grüne Welle wäre aber keine Lösung des Mobilitätsproblems, wenn sie nur für Autos gelten würde.

Der Busverkehr auf der Hindenburgstraße bleibt erst mal weiter einspurig. Was halten Sie davon?

Reiners Persönlich würde ich eine Lösung ganz ohne Busse bevorzugen, eine echte Fußgängerzone. Ich halte eine verbesserte Aufenthaltsqualität für wichtig. Aber ich weiß natürlich auch um die Gegenpositionen, wo im Extremfall gefordert wird, die Hindenburgstraße wieder für den Autoverkehr freizugeben. Warum die Busführung über die Steinmetzstraße ein Drama sein soll, vermag ich nicht einzusehen. Die Geschäfte in der Fußgängerzone sind von dort aus genauso gut zu erreichen wie von der Hindenburgstraße aus.

Sprechen wir über den Aufreger der vergangenen Woche, das Gezerre um die Gaycom, die schließlich entnervt nach Düsseldorf ausgewichen

ist. Warum wollten Sie die Regenbogenflaggen vor dem Rathaus nicht? Oder dem schwul-lesbischen Städtetag städtische Räume zur Verfügung stellen?

Reiners Zu diesem Thema ist wirklich alles gesagt. Ein privater Verein hat angefragt, der wurde behandelt wie alle anderen privaten Vereine. Sie wären herzlich willkommen gewesen, und ich lasse mich ganz bestimmt nicht in eine homophobe Ecke drücken. Aber die Stadt kann nicht als Mitveranstalter bei allen Jahrestagungen von Vereinen auftreten. Im Übrigen sehe nicht nur ich das so, sondern auch eine Mehrheit des Rates.

Mönchengladbach steht vor dem wichtigen Jahr 2018, wenn der Haushaltsausgleich geschafft werden muss: Wie nah ist die Stadt dran?

Reiners: Ganz einfach: Wir sind zum Ausgleich verdammt, weil es sonst keine Landesmittel gibt, und wir werden ihn auch hinkriegen. Letztendlich ist es immer eine politische Entscheidung, ob man finanzielle Lücken durch Streichungen oder durch Steuererhöhungen schließt. Positiv ist sicher die angekündigte RWE-Sonderdividende. Auf der anderen Seite können wir die Schlüsselzuweisungen des Landes noch nicht abschätzen. Alle Großstädte befürchten da eine Verschlechterung. Die vorzeitige Ablösung des Borussiadarlehns hilft auch nicht weiter, sie verbessert zunächst einmal nur die Liquidität. Die Zinszahlungen für unsere Refinanzierung laufen aber weiter, und wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen.

Ist es klug, in dieser Situation den Kämmerer auszutauschen? Der Kämmerer steht zur Wiederwahl an, gehört aber zur FDP. In Gladbach werden die Dezernentenstellen traditionell politisch besetzt.

Reiners Bernd Kuckels hat mehr als 15 Jahre einen sehr ordentlichen Job gemacht, das ist keine Frage. Ich komme auch persönlich gut mit ihm zurecht. Aber gemäß der Kooperationsvereinbarungen hat die CDU nun das Vorschlagsrecht für die Kämmererstelle. Das gehört zum politischen Geschäft, und das weiß Kuckels auch. Er sollte aber so früh wie möglich erfahren, ob er wiedergewählt wird. Wenn nicht, endet seine Amtszeit am 31. März 2018.

Mönchengladbach wächst, die Nachfrage nach Immobilien kann kaum gestillt werden. Weshalb wird weniger Wohnraum gebaut? Es gibt ein Minus von 33,6 Prozent.

Reiners Die Tatsache, dass es in Mönchengladbach eine große Nachfrage nach Wohnraum gibt, sehe ich zunächst einmal positiv, und es sind auch zahlreiche neue Wohnungen gebaut worden. Ich kann nur an die Akteure der Bau- und Wohnungswirtschaft appellieren, in ihren Aktivitäten nicht nachzulassen.

Es fehlt vor allem bezahlbarer Wohnraum. Wäre es nicht sinnvoll, die Investoren in die Pflicht zu nehmen und bei Bauprojekten zwanzig Prozent geförderten Wohnraum vorzuschreiben?

Reiners Das wird zum Teil ja auch verlangt. Beim Alten Finanzamt ist es beispielsweise eine Bedingung, die der Eigentümer BLB stellt.

Das ist ein Landesbetrieb. Sollte es nicht auch die Stadt zur Pflicht machen?

Reiners Die Quote allein löst das Problem nicht. Aber Politik und Verwaltung sind sich einig, dass es für alle Bevölkerungsgruppen adäquaten Wohnraum geben muss.

Der geplante Neubau des Rathauses in Rheydt zieht auch Kritik auf sich. Wie erklären Sie den Bürgern, dass das sinnvoll ist?

Reiners Die Erklärung ist eigentlich ziemlich dröge. Es geht um Wirtschaftlichkeit. Die Ist-Situation ist schlecht. Die Verwaltung ist in alten, sanierungsbedürftigen Gebäuden mit teilweise hohen Energieverbräuchen untergebracht und auf 26 Standorte verteilt. Das erschwert die Arbeitsabläufe und kostet Geld. Bevor jetzt aber weiter geplant wird, wird die Wirtschaftlichkeit eines Neubaus berechnet. Dabei müssen dann deutliche Einsparungen erkennbar sein, sonst steht hinter dem Neubau ein großes Fragezeichen.

Der Vorschlag, den Innenhof des Rathauses Abtei mit einem Glasdach in einen Sitzungs- und Veranstaltungssaal zu verwandeln, hat auch böse Kommentare bekommen. Die Stadtverwaltung gönne sich nur Prunk, heißt es.

Reiners Es geht nicht um Protz und Prunk. Der Rat braucht vernünftige Räume zum Arbeiten. Und die können auch repräsentativ sein, schließlich handelt es sich um das höchste Entscheidungsgremium der Stadt.

Beim Glasdach liegt der Reiz in der Transparenz der Politik: Wird es denn Rats-TV bald auch inklusive Bildern des Verwaltungsvorstands geben?

Reiners Die gibt es ja in der Live-Version, nur nicht in der dauerhaften Speicherung. Das Ganze ist eher ein Symbolthema, die Klickzahlen waren vergleichsweise gering. Ich mache daraus keine Glaubensfrage, andererseits stellt sich die Frage, warum es Aufregung gibt, wenn jemand von seinen Rechten Gebrauch macht und einer dauerhaften Speicherung nicht zustimmt. Ich bin durchaus internetaffin, aber ich verhehle nicht, dass mich auch vieles im Netz stört. Insbesondere die Tatsache, dass sich Menschen, die andere wild beschimpfen, hinter Nicknames verstecken.

In Mönchengladbach verändert sich gerade sehr viel. Wird die Stadt durch die Großprojekte überfordert?

Reiners In der Struktur verändert sich die Stadt nicht so dramatisch, dass sich Menschen plötzlich nicht mehr zu Hause fühlen. Ich glaube außerdem, dass man sich schnell an äußere Veränderungen gewöhnt. Haben nicht alle das Gefühl, dass der Nordpark immer so war wie jetzt?

Bürger und Unternehmer haben die Entscheidungswege in der Verwaltung oft als zu langsam empfunden, beispielsweise bei der Genehmigung von Bauvorhaben. Hat sich etwas verändert?

Reiners Beim Kundenkontakt hat sich einiges verbessert. Die Bauverwaltung ist schneller, wenn die Unterlagen vollständig eingereicht sind. Auch die Online-Termine, zum Beispiel bei der Kfz-Zulassung, funktionieren sehr gut, und der Umzug des Bürgerservice ins Vitus-Center war sehr positiv. An anderen Stellen können wir leider nicht schneller sein. Wir dürfen beispielsweise keine Gaststättenerlaubnis per E-Mail versenden, weil nur der gute alte Brief rechtsgültig ist.

Ist Ihre persönliche Bilanz so, dass Sie sagen: Ich würde 2020 wieder antreten?

Reiners Guter Versuch, aber ich bleibe bei der Aussage, dass ich das ein Jahr vorher im Spätsommer 2019 für mich persönlich entscheiden werde. Das hängt von der Gesundheit ab, von der Familie und nicht zuletzt davon, wie wohl ich mich bei der Arbeit fühlt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN DENISA RICHTERS, DIETER WEBER, ANDREAS GRUHN, JAN SCHNETTLER, ANGELA RIETDORF.

(dr)
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