Gastbeitrag Zur Heimat-Serie Die Heimat der Textilindustriekultur

Mönchengladbach · Hans Schürings von der Geschichtswerkstatt hat die jüngste "Heimat-Serie" in der Rheinischen Post zum Anlass genommen, sich Gedanken über den Begriff der Heimat - aber auch über Identität - in Bezug zur Stadt Mönchengladbach zu machen.

 Die "Alte Spinnerei" an der Sophienstraße ist so gut, vollständig und originalgetreu erhalten wie kaum eine andere alte Textilfabrik.

Die "Alte Spinnerei" an der Sophienstraße ist so gut, vollständig und originalgetreu erhalten wie kaum eine andere alte Textilfabrik.

Foto: Hans Schürings

Stadtteile Wenn von Heimat gesprochen wird, hat dies sehr viel mit Tradition vor Ort beziehungsweise dem näheren individuellen Umfeld zu tun. Dazu gehören vor allem Gefühle, Erinnerungen und soziale Anbindungen und Zugehörigkeiten, kurz Alltagserlebnisse, insbesondere als Kind oder Jugendlicher. Heimat hat mit sozialräumlichen Bezügen zu tun, also den sozialen Kontakten, ebenso wie dem gestalteten Umfeld. Gerade das Besondere, Eigene und Originäre macht Heimat zu dem, was es ist - im Falle Mönchengladbach die lange vorhandene Textilindustriekultur. Was dem Bergmann im Ruhrgebiet das Grubengold war, stellt hier die Baumwolle dar.

Mönchengladbach war ein wichtiges Zentrum der einst dominierenden Baumwollindustrie. Gelegentlich bemüht man immer noch den Begriff des "Rheinischen Manchester". Ohne die lange wirtschaftliche Prosperität der Textilindustrie, durch die die Stadt Mönchengladbach letztlich zu dem wurde, was sie heute in großen Teilen noch ist, wäre die Stadt gerade auch in ihrer heutigen Form nicht so, wie sie ist. Die Textilindustriekultur zeigt sich immer noch in großen Teilen verantwortlich für das heutige Weichbild der Stadt.

Einen kleinen Eindruck von der textilindustriellen Blüte vermittelt das Textiltechnikum im Monforts-Quartier, auch wenn dies sich hauptsächlich mit den Techniken der textilen Produktion vom Flachs bis zur Baumwollproduktion beschäftigt. Es fehlen die Aufbereitung der Baumwolle vor dem Spinnprozess und die zahlreichen Tuchveredelungsprozesse. Fast gänzlich, aber dennoch von existenzieller Bedeutung, fehlen die Dokumentation und die Darstellung der sozialen und kulturellen Facetten der stadtprägenden Textilindustriekultur. Die konkrete Arbeits-, Lebens- und Kulturwelt der Textilarbeiter findet in Mönchengladbach heute leider wenig Raum. Aber gerade sie ist es, die die heimatliche Verbundenheit mit der Stadt Mönchengladbach, vielleicht neben der Mundart, herstellt.

Nicht nur das Stadtbild, sondern auch viele Menschen, sind noch durch die textilindustriellen Produktions- und Lebensformen geprägt. Textilindustriekultur stellt ein wesentliches emotional bindendes Element von Heimat dar. Die damit eng verbundene Frage nach einer gesamtstädtischen Identität steht seit langem unbeantwortet im Raum, denn heimatliche Gefühle werden schwerlich in Zusammenhang mit der heutigen zusammengewürfelten Gesamtstadt Mönchengladbach gebracht. Wenn überhaupt könnte ein gemeinsamer Nenner heimatbildender Gefühle vielleicht in der mehr als 200-jährigen Geschichte der Textilindustriekultur in Mönchengladbach liegen.

Wesentlich sind auch die noch vorhandenen Textilindustriebauten, sei es die "Alte Spinnerei" an der Sophienstraße, die alte Webschule oder die Hammersen-Spinnerei an der Dahlener Straße, um nur ganz wenige zu nennen. Der größte Teil baulicher Textilkultur wurde ohne großes Aufheben in den letzten 50 Jahren geschleift. Nur ganz wenige Schlote der Textilindustrie in Mönchengladbach, um nicht zu sagen ganze zwei, stehen unter Denkmalschutz. Was in Mönchengladbach trotz der heimatlichen Gefühle zur ehemals bedeutenden Textilindustrie fehlt, das sind - im Gegensatz zum Ruhrgebiet - der Stolz und der Respekt zur Textilindustriekultur und ihren baulichen Relikten.

Während die Messe "MG zieht an - Go Textile" und die im Bau befindliche neue Textilakademie NRW am Campus der Hochschule Niederrhein die Diskussion bestimmen, ist der Bezug zu Vergangenheit und Tradition beziehungsweise zu der einst heimatbildenden Bedeutung der Textilindustriekultur so gut wie abgerissen. Zwar begründen nicht Quantitäten heimatliche Gefühle, aber die einst circa 1140 Textilbetriebe in Mönchengladbach haben nachhaltige Spuren in den emotionalen Einstellungen und sozialen Befindlichkeiten der Gladbacher Bevölkerung hinterlassen. Schließlich sprach noch bis zum Jahr 1963 die Industrie- und Handelskammer Mönchengladbach von der Textilindustrie als dem "stärksten Pferd im Wirtschaftsstall der Mönchengladbacher Kammer."

Es passt ins Bild, dass von den über 1000 textilen Produktionsstätten nur sechs Rudimente unter Denkmalschutz stehen. Auch wundert es nicht, dass von den circa 700 so genannten "Gladbacher Häusern", die ab 1870 als kleine Doppelhäuser für die textilindustrielle Arbeiterschaft von der Gladbacher Aktienbau-Gesellschaft errichtet wurden und sämtlich noch vorhanden sind, bisher kein einziges für würdig befunden wurde, in die Denkmalliste der Stadt Mönchengladbach aufgenommen zu werden.

Für die gegenwärtige gesamtstädtische Identität und Entwicklung Mönchengladbachs sind die wenigen von den einst zahlreich vorhandenen Textilbetrieben, den baulichen Zeugnissen und Relikten der textilindustriellen Kultur, immer noch von großer symbolischer und heimatverbindender Bedeutung. Denn ein neues städtisches Gesicht allein (wie gegenwärtig beabsichtigt) macht noch lange kein neues (heimatliches) Herz, wie es Robert Seethaler einmal formuliert hat. Und gerade in Mönchengladbach war und ist die heimatliche Sozialisation und Herzensbildung mit der textilindustriellen kulturellen Vergangenheit aufs Engste verwoben.

(RP)
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