Christof Wellens "Die Lufthansa ist knickerig wie ein Pferdehändler"

Mönchengladbach · Rechtsanwalt Dr. Christof Wellens, Vorsitzender des Opferrechte-Vereins Crash und des Caritas-Verbandes, über die Entschädigung für die betroffenen Angehörigen des Germanwings-Absturzes und nachvollziehbare Lösungen in der Flüchtlingskrise.

 Für Christof Wellens und die Angehörigen der Opfer ist der Co-Pilot der abgestürzten Maschine nicht nur Täter, sondern Massenmörder.

Für Christof Wellens und die Angehörigen der Opfer ist der Co-Pilot der abgestürzten Maschine nicht nur Täter, sondern Massenmörder.

Foto: Detlef ilgner

Sie sind Vorsitzender des Vereins "Crash", der nach dem Concorde-Absturz gegründet wurde und für die Rechte der Opfer bei Luftfahrtunglücken eintritt. Wussten Sie sofort, was auf Sie zukommt, als Sie im vergangenen Jahr die Nachricht von der abgestützten Germanwings-Maschine hörten?

Wellens Ja, das war mir direkt klar. Ich war auf einem Termin in Düsseldorf, als ich eine SMS mit der Nachricht vom Absturz bekam. Ich bin direkt ins Büro zurückgefahren und es kamen gleich die ersten Anrufe. Das ging sehr schnell. Es waren unter anderem Hilfsangebote aus dem Kreis der Concorde-Betroffenen dabei. Wir sind als Verein auch sehr schnell aktiv geworden, denn "Crash" ist ja für Soforthilfe da. Wir haben beispielsweise für zwei Kinder, 13 und 15 Jahre alt, deren Eltern bei dem Absturz ums Leben gekommen sind, die Weiterzahlung der Miete organisiert. Die Maschine ist am 24. März abgestürzt, zum 1. April musste die Mietzahlung geregelt sein. Gerade direkt nach einem Unglück ist es wichtig, dass die Hilfe schnell organisiert wird. Jetzt, ein Jahr später, ist der Alltag der Betroffenen wieder einigermaßen geregelt.

Ihr Verein ist auch Anlaufstelle für Hilfsangebote?

Wellens Ja, Menschen bieten Unterstützung an, wollen spenden und Anteil nehmen. Ein Unglück wie der Germanwings-Absturz geht den Menschen nahe. Und gerade die Concorde-Betroffenen wissen, wie wichtig Unterstützung und Anteilnahme sind. Sie sind heute noch dankbar für die Hilfe, die damals geleistet worden ist und wollen auch etwas weitergeben. Das bestätigt uns darin, dass das, was wir tun, richtig ist.

Wie viele betroffene Angehörige vertreten Sie? Wie gehen die Menschen mit ihrem Verlust um?

Wellens Fünfunddreißig Familien, insgesamt über 150 Angehörige. Viele haben sich untereinander vernetzt, sind durch die von der Notfallseelsorge organisierten Treffen zusammen gekommen und tauschen sich aus. Andere durchleiden die Situation still. Das ist sehr unterschiedlich.

Die Eltern des für den Absturz verantwortlichen Co-Piloten Andreas Lubitz haben in einer Anzeige ihre Trauer um ihren Sohn zum Ausdruck gebracht. Wie reagieren die Angehörigen der Opfer auf die Anzeige für den Mann, der der Täter ist?

Wellens Wir sagen nicht nur Täter, wir sagen Mörder, sogar Massenmörder bei 149 Opfern. Die Anzeige hat sehr große Irritationen ausgelöst bis hin zur Wut. Es ist kein Wort des Bedauerns, kein Eingehen auf die Opfer zu finden. Das war keine begrüßenswerte Aktion. Es ist zwar natürlich, dass die Eltern um ihren Sohn trauern und sie sind auch nicht oder höchstens in geringem Maße Schuld an der Katastrophe, aber sie können trotzdem nicht so tun, als ob ihr Sohn die Tat nicht begangen hätte.

Lufthansa hat nach dem Unglück eine Soforthilfe ausgezahlt und einen Fonds für nachhaltige Hilfen aufgelegt. Wie viel haben die Hinterbliebenen eigentlich bisher erhalten?

Wellens Es gab bisher drei verschiedene Zahlungen. Zum einen hat die Lufthansa nach zwei Monaten eine Soforthilfe von 50.000 Euro pro Familie bezahlt. Zweitens gab es ein Schmerzensgeld für die betroffenen Passagiere. Sie flogen in den Tod und in den letzten zehn Minuten, als der Pilot an die verschlossene Tür zum Cockpit hämmerte, war ihnen das klar. Das Schmerzensgeld beträgt 25.000 Euro pro Opfer. Für das Leid der engsten Angehörigen hat die Lufthansa jeweils 10.000 Euro angeboten und ausgezahlt. Das alles ist selbst nach deutschen Maßstäben kleinlich, im internationalen Vergleich unverschämt. Die Lufthansa ist knickrig wie ein Pferdehändler. Da wird jetzt jede Fahrt, die zur Abwicklung einer Erbschaft nötig ist, hinterfragt.

Sie haben jetzt Zivilklage in den USA eingereicht. Warum?

Wellens Lubitz wurde an der Flugschule in Arizona ausgebildet. Er kam schon mit einer psychischen Krankheit. Seine Flugerlaubnis wurde mit einer Einschränkung erteilt: Ein Wiederauftreten der Krankheit führt zu einem Verlust der Erlaubnis. Aber weder die Schule noch die Lufthansa hat ihn psychiatrisch untersuchen lassen. Bei seiner Vorgeschichte ist das unverantwortlich. Jede Stresssituation birgt die Gefahr des Rückfalls, der Pilotenberuf ist nun mal stressig. Wir haben in den USA Klage eingereicht, weil dort Schadensersatzsummen im Millionenbereich üblich sind. Das ist auch nötig, weil bei Schmerzensgeld und Unterhaltszahlungen für mehrere Jahre schnell hohe Summen zusammen kommen.

Wie wichtig ist ein solcher Prozess für die Angehörigen?

Wellens Wichtig ist, dass die Lufthansa anerkennt, für das Leid verantwortlich zu sein. Dann können die Angehörigen auch mit dem Ganzen abschließen und wieder Perspektiven entwickeln. Das Vorgehen der Air France bei dem Concordeabsturz war hier vorbildlich. Es wurde sehr schnell und großzügig agiert. Das funktioniert bei der Lufthansa deutlich schlechter. Es ist immer wichtig, auf die Angehörigen zuzugehen und gemeinsam nach einer Gesamtlösung zu suchen anstatt Einzelfälle zu prüfen. Für die Lufthansa ist der Prozess ein Fiasko. Rund um den Globus gibt es schlechte Presse.

Können Sie sich als Vorsitzender eines Opferrechtevereins vorstellen, wie sich die Angehörigen der Loveparade-Opfer jetzt fühlen, nachdem die Eröffnung eines Strafprozesses abgelehnt wurde?

Wellens Ja, das kann ich nachvollziehen. Bei der Loveparade weiß man, dass vieles schief gelaufen ist. Es gibt eine dicke Ermittlungsakte und es kommt nichts dabei heraus. Die doch einfache Frage, ob man die Fehler hätte erkennen können, wird nicht beantwortet. Das ist, als ob man ein Messer in einer offenen Wunde noch einmal umdreht.

Sie sind auch ehrenamtlich aktiv und Vorsitzender des Caritas-Verbandes Mönchengladbach geworden, als es gerade besonders stürmisch zuging. Was ist seitdem passiert?

Wellens Das war eine schwierige Zeit, in der das Vertrauen zur Geschäftsführung nicht mehr da war. Meine Vorgänger haben das hervorragend gemanagt. Es wurde mit Frank Polixa ein neuer Geschäftsführer gefunden, der sich als Glücksgriff herausgestellt hat. Jetzt ist das Arbeitsklima sehr gut und die Mitarbeiter ziehen mit. Die Zahlen sind ebenfalls hervorragend. Es ist immer schwierig, gemeinnütziges Handeln mit Wirtschaftlichkeit zu verbinden, aber auf Dauer geht es nicht anders. Durch die Verankerung in der katholischen Kirche können wir aber auch über Kirchensteuermittel verfügen, das macht es etwas leichter. Die öffentliche Hand zieht sich ja sonst immer stärker zurück.

Die Caritas ist auch in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Wellens Die Stimmung in Mönchengladbach ist immer noch gut, viele Menschen wollen auf ehrenamtlicher Basis anpacken. Über die kirchlichen Strukturen ist die Ansprache von Ehrenamtlern auch leichter. Trotzdem ist die Flüchtlingshilfe eine große Aufgabe. Wir müssen begreifen, dass das auch persönlichen Verzicht erfordern kann. Mönchengladbach ist kein Pegida-Pflaster, aber die Leute machen sich Gedanken. Es ist wichtig, dass es nicht zu einem gegenseitigen Ausspielen der verschiedenen Migrantengruppen kommt.

Machen Ihnen Ressentiments Sorge?

Wellens Man muss schon Sorge haben. Der Bürger muss Lösungen nachvollziehen können. Im Augenblick herrscht das Zufallsprinzip: Wer es zu uns geschafft hat, dem wird geholfen. Das sind nicht immer die Hilfsbedürftigsten. Ich meine, es wäre gut, wenn zum Beispiel Familien als Kontingentflüchtlinge direkt aus den betroffenen Staaten herausgeholt und mit anerkanntem Status hergebracht würden. Die Strukturen müssen transparenter werden.

Wie wird sich die Caritas in der Zukunft aufstellen? Welche Veränderungen sind absehbar?

Wellens Wir sind stark in der Altenpflege und betreiben große Einrichtungen. Das ergänzen wir durch ein ambulantes Angebot. Damit folgen wir dem Trend. In den Einrichtungen werden zunehmend Schwerstpflegebedürftige betreut. Alle anderen wollen so lange wie möglich selbstständig leben. Deshalb bauen wir auch unser Angebot von Wohnformen wie dem Betreuten Wohnen aus oder auch die Tagespflege. Zum Beispiel in Korschenbroich oder in Holt. In Venn haben wir im letzten Jahr eine neue Tagespflege eröffnet. Die Pflege von Demenzkranken ist eine starke Belastung für die Familien, die Tagespflege bietet die notwendige Entlastung.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF.

(arie)
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