Mönchengladbach Die Schneiderin vom Zirkus Roncalli

Mönchengladbach · Sophie Plautz ist stolz auf ihre Profession. Das Tattoo an ihrem Hals zeigt eine Schere, ein Maßband, ein Bügeleisen und Nadeln. Die 25-Jährige findet die schillernde Welt des Zirkus spannend. Und sie mag die Arbeit mit den Künstlern.

Mönchengladbach: Die Schneiderin vom Zirkus Roncalli
Foto: Ilgner Detlef

Am blauen Vorhang ist eine Naht lose. Das Kleid der Reck-Dame muss weiter gemacht werden. Die Gesäßnaht der Clowns-Hose ist gerissen. An einem anderen Beinkleid müssen Knöpfe angenäht werden, damit die Hosenträger Halt finden. Das Brautkleid ist schon wieder kaputt. Und das Lametta bedarf dringend einer korrigierenden Überarbeitung. Sophie Plautz lacht. "Das Lametta bezeichnet die Schulterklappen und Bänder an den roten Roncalli-Uniformen — alles, was hängt und was man abnehmen kann." Die 25-Jährige ist Schneiderin beim Zirkus Roncalli — die einzige. Deshalb hat sie unfassbar viel zu tun.

Ihre Arbeit beginnt immer schon unmittelbar nach der Abend-Vorstellung. Alle Textilien, die den Belastungen in der Manege nicht standgehalten haben, werden zu Sophie ins Schneider-Atelier gebracht. Das ist natürlich ein Zirkuswagen — wie es sich gehört. Auf engstem Raum hat sie alles untergebracht, was sie zur Ausübung ihres Berufs benötigt: drei Nähmaschinen, unzählige Schubladen mit penibel geordnetem Inhalt — Nähutensilien, wohin man schaut. "Ich bin total pingelig", sagt die junge Schneiderin. Ins Bett geht sie erst, wenn ihre To-do-Liste für den nächsten Tag ausgefüllt und der Wagen picobello aufgeräumt ist. Früher sei sie ein Mauerblümchen gewesen, erzählt Sophie Plautz. "Ich hatte lange, braune Haare, trug meistens einen grauen Pulli und eine langweilige Hose." Mit 16 Jahren wurde sie mutiger. "Ich entwickelte einen eigenen Kleidungsstil." Gern kombiniert sie seitdem Klassisches — wie etwa den Nadelstreifen-Anzug — mit unerwarteten Zutaten. Mit 18 Jahren ließ sie ihr erstes Tattoo stechen — in Rostock. Dem Studio in ihrer Geburtsstadt, die sie regelmäßig besucht, um ihre Familie zu sehen, ist sie treu geblieben. Jedes Jahr lässt sie sich zwei bis drei neue Bilder stechen — mehr als 20 sind es bisher.

Die auffälligste Tätowierung trägt Sophie Plautz an ihrem Hals: 2012 ließ sie sich dort Schere, Maßband, ein Bügeleisen und Nadeln stechen — Requisiten ihrer Profession. An die sie eher zufällig geriet. "Nach dem Abitur wusste ich überhaupt nicht, was ich machen sollte", sagt die 25Jährige. Sie "probierte ein bisschen rum", hatte diverse Nebenjobs und Praktika — und landete so in der Schneiderei eines Theaters. "Da habe ich sehr viel gelernt und beschlossen, eine Ausbildung zu machen." Die absolvierte sie in Düsseldorf und Bremen, wo sie einen bravourösen Abschluss hinlegte und zur Kammer- und Landessiegerin gekürt wurde.

Dann landete sie bei Roncalli, das war im September 2012 — seitdem reist sie mit dem Zirkus. "Ich mag die Arbeit mit Künstlern", sagt sie. "Das sind schillernde, anspruchsvolle Menschen, und die Arbeit beim Zirkus ist immer überraschend." Ihre Eltern seien nicht überrascht gewesen, als sie ihnen mitteilte, dass sie als Schneiderin zum Zirkus gehen würde. "Sie haben eigentlich immer gewusst, dass ich nicht in irgendeiner kleinen Klitsche landen würde." In der kommenden Woche zieht der Zirkus weiter. Es geht zunächst nach Köln und von dort nach Österreich — Salzburg, Innsbruck, Wien, Graz, Linz. "Ich freue mich sehr darauf", sagt Sophie Plautz. Ob sie eine Art Sesshaftigkeit vermisst? "Nein, ich hätte nur gern eine eigene Toilette und ein eigenes Bad."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort