Interview mit Rolf Göttel Die Stimme vom Bökelberg wird 70

Mönchengladbach · "Tooor für die Borussia" hallt es seit fast 50 Jahren aus den Lautsprechern. Der Mann, der diesen Kult geschaffen hat, war aber nicht nur Stadionsprecher, sondern auch Karnevalsprinz und ist immer noch Schiedsrichter-Boss. Heute feiert Rolf Göttel runden Geburtstag.

Rolf Göttel: Stadionsprecher, Karnevalsprinz und Schiedsrichter-Boss
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Im Fußball seit fünf Jahrzehnten engagiert, längst nicht nur als Borussias Stadionsprecher, sondern vor allem als führender Schiedsrichter-Funktionär. Dazu sind Sie im Mönchengladbacher Brauchtum aktiv bis hin zum Karnevalsprinz: Sie sind sehr gut bekannt in dieser Stadt. Was für ein Mensch steckt dahinter, was für ein Typ sind Sie?

Rolf Göttel Sich selbst zu beschreiben ist schwer, das sollten andere tun.

Versuchen Sie es dennoch mal.

Göttel Ich bin ein Mensch, der seine Meinung vielleicht manchmal etwas zu sehr direkt ausdrückt. Aber nie mit der Absicht, andere zu verletzen, sondern nur der Sache wegen. Im Grunde bin ich immer auf Ausgleich bedacht, ein verträglicher, harmoniebedürftiger Typ.

Das, was man den typischen Rheinländer nennt?

Göttel Ja. Offen, lebenslustig, einer, der viel Spaß versteht. Was ich hasse, sind Übertreibung, Falschheit und Schönreden.

Spaß haben und für Gerechtigkeit sorgen: Sind das Ihre Triebfedern als Karnevalist und als Fußball-Schiedsrichter, zuerst aktiv auf dem Platz, dann viele Jahrzehnte und bis heute als Funktionär?

Göttel Ein Stück schon. Wobei die Tätigkeit im Fußball mein Leben mehr geprägt hat als der Karneval, in dem ich 13 Jahre Geschäftsführer des Mönchengladbacher Karnevalsverbands war, von 1987 bis 2000.

Und auch Prinz.

Göttel Ja, das war mein öffentlicher Einstieg, 1986.

Wie kam es dazu?

Göttel Ich war Ehrensenator bei der KG Uehllöeker Neuwerk. Die hatte 50-jähriges Jubiläum und wollte den Prinzen stellen. Da sind sie auf mich gekommen.

Sie waren — und sind bis heute — Junggeselle. Wie haben Sie Ihre Prinzessin gefunden?

Göttel Es gab da Doris Esser, die bei der Rheydter Prinzengarde und den Gardegirls sehr aktiv war. Die Neuwerker, die Prinzgardisten und ich haben sie gefragt, und sie hat ja gesagt.

Ein Narr als Schiedsrichter — hört man da nicht schon mal dumme Sprüche?

Göttel Natürlich gab es so etwas, aber nie bösartig. Und es hat sich auch schnell erledigt.

Wie sind Sie zum Fußball und zur Schiedsrichterei gekommen?

Göttel Ich bin in Lürrip zur Schule gegangen, Herbert Laumen, der später Borussias Torjäger wurde, war mein Klassenkamerad und damaliger Freund. Er ist wie ich zur Borussia gegangen, in die D-Jugend. Er hat es dort zu etwas gebracht, ich mit meinem Talent weniger. Dann hat man mich gefragt, ob ich Schiedsrichter werden wollte. Als 15-Jähriger habe ich 1959 mein erstes Spiel gepfiffen. Ich habe schnell Spaß an der Sache gefunden, dann auch Aufgaben im organisatorischen Bereich übernommen, bis hin zum Schiedsrichterausschuss des Deutschen Fußball-Bundes.

Als Schiedsrichter-Funktionär haben Sie heute noch eine führende Stellung. Doch in Mönchengladbach kennt man sie vor allem als die "Stimme vom Bökelberg". Fast drei Jahrzehnte, von Borussias Aufstiegssaison zur Bundesliga 1964/65 bis zum Jahr 1992, waren Sie Stadionsprecher — ehrenamtlich. Ihre Ansage "Tooor für die Borussia" ist zum Markenzeichen geworden, das auch heute noch im neuen Stadion bei jedem Treffer Borussias über die Lautsprecher eingespielt wird. Wann ist Ihnen die Idee zu dieser Ansage eigentlich gekommen?

GÖttel Sie hat sich ganz einfach so entwickelt. Ich habe mich natürlich über die Treffer meiner Borussia gefreut. Diese Freude habe ich gezeigt, und so ist der Spruch mit der Zeit gewachsen.

Heute haben die Stadionsprecher in der Bundesliga einen viel lauteren, manchmal fast marktschreierischen Stil. Wäre das auch Ihre Art geworden?

Göttel Nein, dafür bin ich nicht der Typ. Ich glaube, ich hätte mich nicht geändert. Doch diese emotionale Art hat sich mit der Bundesliga entwickelt und passt wohl in die Zeit. Unser Stadionsprecher Thorsten Knippertz macht das übrigens gut. Ich habe natürlich auch die berühmte Raute im Herzen. Aber ich bin nicht so der euphorische Typ, sondern zunächst einmal eher skeptisch — leider, muss ich sagen. Umso mehr freue ich mich dann aber, wenn es besser läuft, als ich befürchtet habe.

Doch auch Sie haben gewiss emotionale Momente gehabt. Was waren die herausragenden?

Göttel Natürlich Borussias erste deutsche Meisterschaft 1970. Aber auch das 7:1 im Meisterpokal im Oktober 1971 gegen Inter Mailand — das dann wegen des Büchsenwurfs von der UEFA annulliert wurde. Und zuvor der Torpfostenbruch beim Spiel gegen Werder Bremen im April beim Stand von 1:1. Da bin ich aus meiner Sprecherkabine runter aufs Spielfeld gelaufen, weil unsere Spieler nicht einmal versuchten, den Anschein zu erwecken, weiterspielen zu wollen. Ich habe immer wieder versucht, sie dazu zu bewegen. Aber sie haben mich wie einen dummen Jungen stehenlassen, hofften auf eine Neuansetzung. Doch nach dem Spielabbruch wurde das Spiel dann für Borussia als verloren gewertet. Zum Glück sind wir am letzten Spieltag doch noch Deutscher Meister geworden — zum zweiten Mal.

Sie sind seit vielen Jahren Mitglied im Ehrenrat Borussias. Welchen Einfluss hat dieses Gremium?

Göttel Der Ehrenrat ist in der Satzung verankert. Doch die Entscheidungen fallen im Präsidium und im Aufsichtsrat, dessen Mitglieder zum Teil der Ehrenrat vorschlägt. Zum Glück haben wir bis auf die Zeit des missglückten Umsturzversuchs 2011 durch die so genannte Initiative Borussia nicht oft tätig werden müssen. Jetzt haben wir noch die routinemäßigen Sitzungen. Denn es läuft ja bestens.

Haben Sie denn mal Sorgen gehabt?

Göttel Na ja, wir sind zweimal abgestiegen. Wobei ich meine, das zweite Mal hätte nicht passieren dürfen, da hätte man mehr aus den Fehlern lernen müssen.

Stichwort Fehler: Dass Sie 2010, sechs Jahre nach Ihrem Rückzug als Verbandsschiedsrichter-Obmann, noch einmal als Funktionär zurückgekommen und wieder Kreisschiedsrichterobmann geworden sind, war eine Folge des "Falles Thomas Sleegers". Die Vorwürfe, der Lehrwart habe in die eigene Tasche gewirtschaftet, hat die Kreisschiedsrichtervereinigung in eine Krise gestürzt. Ist da der damalige Schiedsrichterausschuss zu unkritisch gewesen?

Göttel Thomas Sleegers war ein sehr guter Schiedsrichter und im Kreis auch über die Tätigkeit als Spielleiter hinaus sehr aktiv. Aber er ist über das Ziel hinaus geschossen. Und man hat ihn wohl zu sehr gewähren lassen.

Folge war, dass Sie als Obmann eingesprungen sind. Haben Sie das schon mal bereut?

Göttel Nein. Zunächst habe ich mich ja nur für drei Jahre wählen lassen. Dann haben wir unser Schiff durch die gute Arbeit des gesamten Teams wieder auf Kurs bekommen. Es macht Spaß, und ich habe mich noch einmal wiederwählen lassen.

Sie waren beruflich viele Jahre als Außendienstler tätig. Und dann wollten Sie 1991 Gastwirt werden, Gladbachs legendäre Altstadtkneipe, das Kabuff, übernehmen. Warum hat es nicht geklappt?

Göttel Als Außendienstler der Hannen-Brauerei hatte ich das Kabuff kennengelernt und sah eine neue, harte, aber auch interessante Aufgabe. Hinter der Theke zu stehen, das hätte mir Spaß gemacht, auch wenn ich meine Aktivität im Fußball weitgehend hätte aufgeben müssen. Es war auch schon alles vertraglich geregelt. Doch dann zögerte sich der Umbau des Hauses und damit die Eröffnung wegen baulicher Probleme immer weiter hinaus. Am Ende war dies wohl mein Glück. Denn ich bin schwer erkrankt, hätte das Haus nicht übernehmen können. So kam ich aus dem Vertrag heraus.

Das hört sich so nach einem zufriedenstellenden Lebenslauf an. Hätten Sie dennoch im Nachhinein etwas anders machen sollen?

Göttel Vielleicht habe ich es verpasst, eine Familie zu gründen. So bin ich bis heute Junggeselle geblieben.

Junggesellen sind schrullig, heißt es.

Göttel Ob ich schrullig bin? Ich denke nicht, auch wenn man als Junggeselle die eine oder andere Eigenart hat. Aber da ist nichts Schwerwiegendes.

Kochen Sie denn selbst?

Göttel Kochen? Nein, das mache ich nicht und kann ich auch nicht. Früher hat das meine Mutter gemacht, und ich lerne es jetzt nicht mehr.

Sie ziehen nun bald nach 60 Jahren aus dem Einfamilienhaus an der Volksbadstraße, in dem Sie groß geworden sind, aus. Weg auch aus Lürrip oder gar aus Mönchengladbach?

Göttel Nein, Lürrip und Gladbach bleiben meine Heimat.

Wollen Sie nicht die Welt mal mehr kennenlernen?

GötTel Ich habe durch Reisen mit Borussia und privat viele ferne Länder kennengelernt, bei zwei Fußball-Weltmeisterschaften zum Beispiel auch Mexiko und Argentinien. Und ich bin fasziniert von den USA, einem gewaltigen Land. Doch noch einmal: Hier in Mönchengladbach ist Heimat, hier fühle mich wohl. Auch, weil die Borussia da ist, der die ganze Stadt und Region sehr viel verdanken.

Gibt es nichts in Mönchengladbach, was zu verbessern wäre?

Göttel Natürlich gibt es einiges. Vor allem würde ich mir wünschen, dass es in der Kommunalpolitik manchmal etwas anders läuft. Die Ratsfraktionen, auch die CDU, bei der ich übrigens Parteimitglied bin, sollten nicht immer stur auf ihrem Standpunkt beharren, sondern zugeben, dass die anderen vielleicht auch mal recht haben.

Zum Abschluss noch einmal Borussia. Wen würden Sie in eine "beste Mannschaft aller Zeiten" berufen?

Göttel Da fallen mir zunächst Spieler aus der Zeit ein, in der Borussia unter anderem fünfmal Deutscher Meister geworden ist. Für das Tor Wolfgang Kleff, als Defensivspieler Berti Vogts, Klaus Sieloff, Patrik Andersson und Hans-Günter Bruns. Für die Offensive Günter Netzer, Jupp Heynckes, Hacki Wimmer, Allan Simonsen, Marco Reus und mein alter Freund Herbert Laumen.

Und welcher Trainer hat Borussia am meisten geprägt, nach Hennes Weisweiler?

Göttel Heute nenne ich Lucien Favre. Und vor allem Jupp Heynckes als junger Trainer.

(RP)
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