Serie Denkanstoss Die Waage und die Fastenzeit

Mönchengladbach · Die vorösterlichen Wochen wollen uns neu die Augen für die größte Kraftquelle überhaupt öffnen: Gott! Dafür muss man sich in der Fastenzeit mühen und plagen, findet unser Autor.

 Die Waage in der Rheydter Marienkirche: Die eine Waagschale wird von einem Felsbrocken auf den Boden gedrückt, das Gegengewicht schwebt als leerer Korb in luftiger Höhe. Doch dieser Korb soll mit kleinen Steinen von den Besuchern gefüllt werden.

Die Waage in der Rheydter Marienkirche: Die eine Waagschale wird von einem Felsbrocken auf den Boden gedrückt, das Gegengewicht schwebt als leerer Korb in luftiger Höhe. Doch dieser Korb soll mit kleinen Steinen von den Besuchern gefüllt werden.

Foto: Klaus Hurtz

Auch in diesem Jahr ist jeder von uns zur großen Seelen-Inspektion eingeladen; denn nichts anderes meint die Fastenzeit, die am vergangenen Aschermittwoch begonnen hat. Es spukt zwar immer noch die Vorstellung in unseren Köpfen, dass man dem lieben Gott eine Freude bereitet, wenn man in der vorösterlichen Zeit keine Bonbons nascht; doch das sind nur späte Reflexe aus Kindertagen. Natürlich will die Fastenzeit Anderes, Wichtigeres. Sie will unsere Seele stärken!

Damit ihr das gelingt, bietet sie uns drei uralt erprobte und bewährte Mittel an; an erster Stelle ist hier das Fasten zu nennen. Es darf allerdings kein Selbstzweck sein; eine Kasteiung um ihrer selbst willen ist gewiss nicht der Wunsch Gottes, sondern durch den Verzicht auf Speisen oder Genussmittel sollen Leib und Seele entschlackt und dadurch gestärkt werden. Denn wo wir Verzicht üben, da wird der Rhythmus des Alltags unterbrochen; man erkennt bewusster, wie man mit sich selber umgeht. Zwar kennen wir uns in unserer Gesellschaft recht gut im Egoismus aus, aber es bleibt ein Trugschluss, dass der Egoist gut für sich sorgt! Das Gegenteil ist der Fall! Wo das Ich nur um sich selber kreist, da beginnt seine Erosion.

Wir brauchen Begegnung, Austausch, Kommunikation, wir brauchen das Du. Und deshalb müssen wir unsere Empathie immer weiter schulen, in der Wahrnehmung des Nächsten immer sensibler werden. Dabei will uns die Fastenzeit helfen, indem sie uns zur guten Tat am Nächsten ermutigt. Wer helfen will, muss wissen, wo Hilfe nottut! Nur wer sich in die Bedürftigkeit des Anderen einfühlt, der kann ein wahrer Helfer werden. Wie viel materielle Not gibt es in unserer Welt, in unserem Staat, in unserer Stadt, und vielleicht sollte unsere Antwort mehr als nur ein Almosen sein! Und wie viele Ängste und Nöte, Trauer und Sorgen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, eben die Verwundungen der Seele schreien um Wahrnehmung. Wir können einander beistehen, wo wir füreinander da sind; und manchmal reicht dazu ein Lächeln! Auch das sagt uns die Fastenzeit: Letztendlich ist jeder ein Bedürftiger.

Deshalb wollen die vorösterlichen Wochen uns neu die Augen für die größte Kraftquelle überhaupt öffnen, Gott! Doch wer aus dieser Quelle trinken will, muss das Oberflächliche durchdringen und tiefer graben, muss die Steine der alltäglichen Ablenkung und das Geröll eigener Schuld wegräumen. Da reicht oft genug kein sich bemühen, sondern man muss sich wirklich mühen und plagen; aber wenn wir uns im persönlichen Gebet, im Miteinander der Liturgie Gott langsam nähern, da wandelt sich Mühe in Wohltat. Zudem wächst in uns der Wille zum Guten und bildet so ein Gegengewicht zu dem Bösen in der Welt, das wir heute doch in besonderer Weise bedrängend, gar bedrohlich erfahren.

Um dies augenfällig zu machen, steht seit vorgestern in der Marienkirche in Rheydt eine große Waage. Die eine Waagschale wird von einem schweren Felsbrocken auf den Boden gedrückt, das Gegengewicht schwebt als leerer Korb in luftiger Höhe. Doch dieser Korb soll mit kleinen Steinen von den Besuchern gefüllt werden; für jeden durchgehaltenen Verzicht, für jede gute Tat, für jede Mitfeier der Liturgie ein kleiner Stein. Manchmal kann das Gute nur Steinchen für Steinchen größer und schwerer werden. Ob es uns gelingt, den Felsbrocken aus seiner Erdenschwere zu heben? Ich weiß es nicht, immerhin ist die Fastenzeit noch lang! Und immerhin haben wir in der ersten Frühmesse einen Anfang gemacht!

DER AUTOR IST PFARRER VON ST. MARIEN RHEYDT.

(RP)
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