Mönchengladbach Drei Stunden Ausnahmezustand in der City

Mönchengladbach · Beschimpfungen, Provokationen, Beschwichtigungen. Die Stimmung während der Salafisten-Kundgebung war gereizt – auch weil sich Störer aus der rechten Szene unter die Demonstranten gemischt hatten.

Februar 2014: Salafistenkundgebung und Gegendemos in Mönchengladbach
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Februar 2014: Salafistenkundgebung und Gegendemos in Mönchengladbach

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Beschimpfungen, Provokationen, Beschwichtigungen. Die Stimmung während der Salafisten-Kundgebung war gereizt — auch weil sich Störer aus der rechten Szene unter die Demonstranten gemischt hatten.

13.29 Uhr "Ist das hier alles wegen Fußball?", fragt ein älterer Herr auf dem Alten Markt, während Polizisten Absperrgitter aufstellen. Nein — und wenn es so wäre, dann stünde hier, angesichts der Polizeipräsenz, wohl gleich die Meisterfeier des 1. FC Köln an. Auf dem Kapuzinerplatz fegt die GEM die Überbleibsel des Wochenmarktes auf.

13.39 Uhr Zwar keine Fußballmannschaft, aber immerhin elf Freunde: Zwei Handvoll und ein Salafist beten auf dem Alten Markt.

13.55 Uhr Pro NRW baut seine Lautsprecher an der Hindenburgstraße auf. Es nieselt. "Die Wetter-Bestellung hat schon mal geklappt", sagt ein Polizist. Auf dem Alten Markt sammelt sich bei den "Bürgerlichen" um Wilfried Schultz unterdessen die "German Defence League", angelehnt an eine rechte Hooligan-Gruppe aus England. Einige von ihnen sind sogar aus Bremen angereist.

14.10 Uhr Zeit für einen Kaffee. "Der Samstag ist im Eimer", sagt die Verkäuferin. "Normale Kunden kommen jetzt sowieso nicht mehr in den Laden." Sie werde wohl früher schließen als geplant, "auch ein bisschen aus Angst". Pro NRW kriegt unterdessen seinen Generator nicht an. Die beiden Polizisten, die das Ganze vom Saturn-Dach aus beobachten, grinsen.

14.35 Uhr Die Polizei kassiert vor Graefen & König eine erste Frau ein, die ziemlich aggressiv "Stock weg, du Scheiß-Bulle" gebrüllt hat. Auf dem Kapuzinerplatz sortieren die Ordner des "Bündnis Aufstehen", darunter die SPD-Politiker Schiffers und Heinrichs, ihre Leute. Die German Defence League, die sich unter die Truppe von Wilfried Schultz gemischt hat, skandiert erste Parolen: "Wir wollen keine Salafisten-Schweine". Schultz erkundigt sich beim Staatsschutz über die Gruppe. Er erhält die Information, dass die German Defence League nicht verboten sei. Die Bündnis-Vertreter, darunter Landtagsabgeordneter Hans-Willi Körfges, schütteln entgeistert ihre Köpfe. Hinter ihnen baut "Die Partei" einen Stand auf. Eine der Poster-Aufschriften lautet "Neonazis regelmäßig entnazifizieren" und zeigt zwei sich lausende Affen.

14.40 Uhr Pro NRW hat an der Hindenburgstraße endlich den Generator anbekommen. Vom Band läuft jetzt Musik, deutschsprachige natürlich. Über GEMA-Gebühren freuen dürfen sich unter anderem Matthias Reim, die Fantastischen Vier und die Ärzte. Man schwenkt Deutschland-Fahnen und Papp-Poster gegen Pierre Vogel. Mehr als 25 Aktivisten bekommt die rechtspopulistische Gruppe jedoch nicht zusammen. "So viel zu den 180 festen Zusagen bei Facebook", murmelt ein Polizist, während Ex-Borusse Tobias Levels die Hindenburgstraße herunterschlendert. Den umgekehrten Weg schlagen zwei Salafisten ein, die Papp-Umhänger mit der Aufschrift "Jesus ist der Gesandte Allahs" tragen.

14.47 Uhr Am Alten Markt unterhalten sich eine Muslima mit Kopftuch und eine Niederländerin, während die Bühne für Pierre Vogel aufgebaut wird. "Wenn die hier Krawall machen, dann gehe ich", sagt die Muslima. Um kurz vor 15 Uhr betritt Sven Lau die Bühne.

14.57 Uhr Wilfried Schultz steigt auf eine Leiter und greift zum Megafon: "Wir haben hier keine Probleme mit Toleranz. Aber nicht gegenüber Leuten, die den Terrorismus weltweit vorbereitet haben." Im Hintergrund skandiert eine Gruppe: "Wir singen Scheiß-Salafisten."

15.05 Uhr Beim Bündnis beschwört Oberbürgermeister Norbert Bude, wie später auch Wolfgang Funke, Toleranz und den interreligiösen Dialog — beide wenden sich gegen rechte wie linke Extremisten und religiöse Fanatiker .

15.12 Uhr Sven Lau eröffnet die Kundgebung der Salafisten auf dem Alten Markt offiziell mit einem Gebet. Später wird er sagen: "Vor 40 Jahren war das der Platz von Günter Netzer und Berti Vogts, heute sind wir hier."

15.15 Uhr Die German Defence League verlässt die Bürgerlichen. Unter "Deutschland, Deutschland"-Chören laufen sie hinüber zur Sparkasse, wo die Polizei eine Sperrlinie aufbaut. Busse kommen jetzt nicht mehr durch. Um 15.17 Uhr fliegt eine erste Bierflasche auf die Salafisten, weitere folgen. Eine verfehlt einen Pressefotografen knapp. Pyrotechnik wird gezündet. "Hören Sie auf, Flaschen zu werfen und zu beleidigen", sagt die Polizei durch.

15.20 Uhr Die Polizei drängt die Gruppe auf die Waldhausener Straße zurück. Diese singt "Schießt den Vogel ab". Ein Betrunkener ruft Lau zu, er solle Deutschland verlassen. "Wir sind Deutsche, wir sind Gladbacher — wo sollen wir hin?", ruft dieser fast dankbar für die Vorlage zurück. Mit Trillerpfeifen, Gesang und einfallsreichen Plakaten wie "Pierre Vogel ein V-Mann?" protestieren die Gladbacher am Rande gegen die Salafisten.

15.35 Uhr Wilfried Schultz löst die Demo der Bürgerlichen auf. Bei Pro NRW läuft jetzt Techno, bei der "Partei" wird Bier getrunken. Auch das Bündnis hat gleich Feierabend.

15.49 Uhr Die Polizei sagt durch, dass sie die "Fußballfans" (so richtig scheint sie sich zunächst nicht einig, wie man die Gruppe bezeichnen soll) in der Waldhausener Straße ab sofort als Versammlung wertet. "Aufgrund erheblicher Gewalttaten und dem Zünden von Pyrotechnik lösen wir Sie als Versammlung auf." Auch weil Hitlergrüße gezeigt worden sein sollen, werden die Hooligans die Waldhausener Straße hinunter befördert. Dort werden Personalien aufgenommen. Um 15.52 Uhr wird noch ein Böller gezündet. Die Salafisten antworten mit einem vielstimmigen "Allahu Akbar".

15.55 Uhr Sven Lau liefert sich Wortgefechte mit Demonstranten am Rande. Einer ruft "Du bist 'ne Ratte!" "Reicht das für eine Anzeige?", fragt ein Polizist seinen Kollegen. Der Salafist neben Lau telefoniert die ganze Zeit. Pierre Vogel ist immer noch nicht da. Dann hat Lehrerin Kerstin Krügel ihren denkwürdigen Auftritt neben Sven Lau.

16.10 Uhr Pierre Vogel ist endlich da. Obwohl er über "Islamophobie in Mönchengladbach" sprechen wollte, wärmt er olle Kamellen auf: die bösen Schurken von RTL, der "äußerst vertrauenswürdige" Verfassungsschutz, der "äußerst vertrauenswürdige" Innenminister, die "äußerst vertrauenswürdige Zeitung RP-Online" (sic). Ein paar Bürger singen "Ihr habt die Haare schön, ihr habt die Haare schön", zwei Frauen mit aufgeklebten Schnurrbärten halten ein Plakat mit "Mittelalter — nein danke" hoch.

16.15 Uhr Eine kleine Gruppe mit Hisbollah-Fahne schreit: "Salafisten, Terroristen."

16.25 Uhr Stefan Hintzen, der als Oberbürgermeisterkandidat für "Die Partei" antreten will, beschwert sich, dass seine Partei in einem RP-Artikel von Freitag als "Spaß-Truppe" bezeichnet wurde. "Wir sind die ernsthafteste Partei Deutschlands", sagt er und grinst. Er rechne bei der OB-Wahl mit "100 Prozent plus x" Zustimmung. "Die Salafisten fanden unsere Demo übrigens gut. Sie wollen jetzt auch Werbung für uns machen."

16.45 Uhr "Ihr seid Terroristenbrut", brüllt ein stockbetrunkener Borussia-Fan in Richtung Salafisten. Seine Frau eskortiert ihn davon. Pro NRW ist nach Hause gegangen. Pierre Vogel rechnet vor, dass von 260 000 Gladbachern 259 000 zuhause geblieben sind: "Die sind also alle für uns."

17.03 Uhr Pierre Vogel zitiert aus der Bibel und dem Koran. "Die Muslime sind die wahren Folger Jesus'", sagt er. Es gebe drei Testamente: das Alte, das Neue und das Neueste, den Koran. Er erzählt, wie er mit 14 im Konfirmandenunterricht vom christlichen Glauben abfiel.

17.20 Uhr Ein Salafist nutzt die Gunst der Stunde, um bei Rossmann eine Riesen-Packung Ohrenstäbchen zu kaufen. Andere essen Chips. Viele unterhalten sich untereinander, während Vogel im Hintergrund Altbekanntes aufwärmt. Dann kommt ein bisschen Leben in die Bude: Vogel fragt, ob jemand den Islam annehmen möchte. Nur ein einziger meldet sich, ein halbwüchsiger Junge. Er kriegt dafür ein Buch und ein T-Shirt geschenkt. Dann tragen ein paar Jugendliche den Knirps auf Schultern umher und rufen dabei "Allahu Akbar". Sven Lau geht nach Hause, nachdem er mit einem Fernsehteam von Arte gesprochen hat. Er wirkt nicht ganz glücklich. Vielleicht, weil er zusätzlich zu Kerstin Krügel auch seine Frau auf die Bühne rief? Das soll bei anderen Salafisten nicht so gut angekommen sein, wird gemunkelt.

17.47 Uhr Die Salafisten beten auf dem Alten Markt. Es herrscht eine merkwürdige Stille. Die Protestler am Rande sind längst gegangen.

18.03 Uhr Die Veranstaltung der Salafisten wird aufgelöst, nachdem Pierre Vogel noch für eine Kundgebung in Dortmund eingeladen hat. Er rät den Besuchern der Demo, nur in Gruppen nach Hause zu gehen, weil in jeder Ecke Schläger lauern könnten: "Passt besonders auf die Schwestern gut auf."

(RP)
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