Mönchengladbach Durch die Hölle ins Licht

Mönchengladbach · Wie der Wanderer in Dantes "Göttlicher Komödie" mag sich vorkommen, wer durch Gregor Schneiders Tunnel "END" und seine Zimmer aus dem Toten Haus UR schreitet. Eine Selbstbeobachtung.

Der finstere Tunnel von Gregor Schneider
22 Bilder

Der finstere Tunnel von Gregor Schneider

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Wie der Wanderer in Dantes "Göttlicher Komödie" mag sich vorkommen, wer durch Gregor Schneiders Tunnel "END" und seine Zimmer aus dem Toten Haus U R schreitet. Eine Selbstbeobachtung.

Unheimlich wirkt der dunkle, quadratische Trichter gleich auf den ersten Blick. Doch die mit frischem grünem Rollrasen ausgelegte Freifläche am Museum Abteiberg und die Treppe wirken doch recht einladend. Beim Erklettern der Zugangsleiter geht mir die Frage durch den Kopf: Führt der Weg in eine düstere Unterwelt, hinan auf einen Läuterungsberg der Qualen oder ist gar am Ende des 50 Meter langen Gangs ein paradiesisches Lichterlebnis zu erwarten? Kein Zufall, dass mir Dantes "Göttliche Komödie" einfällt. Denn in diesem literarischen Meisterwerk tritt der Wanderer auch durch einen Erdtrichter ein in die Schattenwelt. Aber was ist "END", die inszenierte Skulptur des Künstlers Gregor Schneider, nun wirklich? Neugierde ist reichlich da, also los!

Tastend auf dem Weg

Nach 25 Metern des Weges durch den schwarz ausgekleideten Riesentunnel ist eine erste Antwort klar: Es geht abwärts, hinein in undurchdringliche Dunkelheit. In dem Augenblick, da der Wanderer der im rechten Winkel nach links abknickenden Röhre folgt, umgibt ihn Düsternis. Die Schritte, kaum hörbar auf dem gepolsterten Boden, werden unsicher, angestrengt bemühen sich die Augen, Konturen zu erfassen. Vergebens. Leise Furcht steigt auf, der Weg scheint länger als erwartet. Seltsam zu spüren, wie das Gleichgewichtsgefühl immer instabiler wird. Nach einem schier endlosen Vorwärtstasten entlang der linken Tunnelwand taucht vorne plötzlich ein schwacher Lichtschein auf. Mehr als eine Funzel ist es nicht. Immerhin kann ich jetzt sehen, wo der neue Einstieg ins Museum ist. Ein Gang in die Hölle? Mir kommt es so vor, wie es Dante im ersten Buch seiner "Göttlichen Komödie" beschrieben hat. Nur mit dem Unterschied, dass in dem Epos der Reisende einen Führer, den Dichter Vergil, bei sich hat. Doch bei Gregor Schneiders Großskulptur ist jeder allein mit sich und der Nachtschwärze rundum.

Ein Loch im Boden stoppt den langsamen Marsch, eine Leiter führt etwa einen Meter hinab in einen Schacht, aha: die Vorhölle? Gleich dahinter heißt es Kopf einziehen und sich umwenden, denn der Einstieg in den nächsten Abgrund ist nur 1,20 Meter hoch. Ein unscheinbares Viereck, hineingeschlagen in die Museumswand. Über eine Feuerleiter gelange ich hinab. Besorgt fühle ich hinter meinen Rücken, beruhigt ertaste ich den Fangkorb der Feuerleiter. Aber wann, zum Kuckuck, hört die Leiter denn auf? 2,50 Meter tiefer berühre ich wieder Boden, der tiefste Kreis der Hölle ist erreicht, immer noch herrscht tiefe Nacht. Gestalten, von röhrenförmigen Platzleuchten matt angestrahlt, liegen auf dem Boden. Seelen, die das Fegefeuer noch nicht durchmessen haben? Das gruselige Szenario beschleunigt den Puls.

Über wenige Treppenstufen geht es nun in hellere Bezirke: Weiße Türen lassen sich öffnen, dahinter strahlen Leuchtstoffröhren von Zimmerdecken. Kaltes Licht gibt diesen Räumen eine wenig anheimelnde Atmosphäre. Trist der karge Schlafraum, noch trister die vergleichsweise geräumige Waschküche mit gespannten Wäscheleinen. Muffig riecht es, die geweißten Wände strömen den Duft eines jahrzehntelangen Waschbetriebs aus. Richtig wohl fühlen kann ich mich hier nicht. Aber da gibt es ja noch das Kaffeezimmer. Ein bieder eingedeckter Tisch mit drei Gedecken und nur zwei Stühlen regt an zum Spekulieren: Warum fehlt der Stuhl für den "dritten Mann" bzw. die dritte Frau? Und nur ein einziger grüner Apfel liegt griffbereit. Der Apfel der Erkenntnis? Schnell ist klar: Wir sind nicht im Paradies, sondern allenfalls im Purgatorium.

Am Ende der Reise durch das schwarze Museum, das völlig abgeschottet scheint von der weißen Museumsarchitektur Hans Holleins, freue ich mich, den Ausgang gefunden zu haben. Ein Aufzug ist das einzige technische Detail in diesem unwirtlichen Parcours der Ängste. Und die einzige Möglichkeit, die schwarzen Gefilde zu verlassen. Die Aufzugstür öffnet sich langsam, ich trete hinaus in gleißendes Licht, das zeitgenössische Kunstwerke beleuchtet. Die Endstation — das Paradies Museum!

(RP)
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