Mönchengladbach Eicken - ein kreativer Mikrokosmos

Mönchengladbach · Jung und alternativ, Treffpunkt für Künstler und Designer: Eicken hat sich einen hippen Ruf erarbeitet. Doch neben all den Studenten, Nachwuchsunternehmern und Familien mit Kleinkindern leben dort auch noch viele Alteingesessene - und fühlen sich richtig wohl.

 Architektur aus der Gründerzeit und die glorreichen Borussen: Eicken war immer ein lebendiges Viertel. In den letzten Jahren hat es sich noch einmal ganz schön gemausert. Hier leben junge und alte Menschen, sie fühlen sich im Viertel wohl.

Architektur aus der Gründerzeit und die glorreichen Borussen: Eicken war immer ein lebendiges Viertel. In den letzten Jahren hat es sich noch einmal ganz schön gemausert. Hier leben junge und alte Menschen, sie fühlen sich im Viertel wohl.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Zahra Campregher, 42:

Mit ihrem neunjährigen Sohn Noah sitzt Zahra Campregher im Café Van Dooren am Schillerplatz und genießt ihre Mittagspause. Sie zählt zu jenen, die Eicken vor noch nicht allzu langer Zeit für sich entdeckt haben: "Wir sind vor drei Jahren hergezogen", erzählt die kaufmännische Angestellte. Knapp 13 Jahre hatte Zahra Campregher vorher mit Noah und dessen Bruder Elias in Österreich gelebt, aufgewachsen ist sie in Hermges. "Als wir zurück nach Mönchengladbach wollten, suchte ich nach einem Ort, an dem meine Kinder groß werden können." In Eicken hat sie ihn gefunden. "Freunde brachten mich auf die Idee, sie sagten: Du musst nach Eicken, da passt du genau hin", sagt sie. "Und sie haben Recht. Mir gefällt besonders, dass es hier oft Veranstaltungen gibt. Es ist familiär, man trifft sich immer wieder." Auch "das Kreative, das Individuelle", schätzt Zahra Campregher an Eicken. "Hier kann man sich wohlfühlen", findet die gebürtige Marokkanerin. Fast das ganze Leben ihrer Familie spiele sich im Ort ab: Freunde treffen, Schulbücher kaufen, Arztbesuche, feiern. Bei dem einen oder anderen Straßenfest war Zahra Campregher auch schon selbst ganz aktiv dabei, verkaufte in einem Berberzelt marokkanische Spezialitäten. Manchmal ist auch Sohn Noah dabei. "Mir gefällt es in Eicken auch sehr gut", sagt er, bevor er seiner Mutter zur Theke folgt. Sie muss noch schnell bezahlen - dann ist die Mittagspause vorbei.

Hannelore Franken, 89:

Vier Frauen sitzen in der Ökumenischen Altentagesstätte Eicken an der Margarethenstraße an einem Tisch und spielen Karten. "Skip-Bo", um genau zu sein. Nebenbei trinken sie Kaffee, essen Kuchen und klönen. Eine von ihnen ist Hannelore Franken. Für die 89-Jährige ist das ein liebgewonnenes Ritual: "Ich gehe jeden Montag bis Freitag durch die Fußgängerzone bis zur Altentagesstätte. Manchmal spielen wir hier Skip-Bo, manchmal Bingo, manchmal singen wir." Nach Eicken zog die gelernte Hauswirtschafterin 1947 mit ihrem Mann, einem Gärtner. "Ich habe hier schon ein paar Ecken kennengelernt", erzählt sie. Dreimal zog sie im Ort um, erlebte mit, wie neue Siedlungen entstanden und Textilfabriken verschwanden, hörte vom Fenster aus den Jubel, wenn im Bökelberg-Stadion ein Tor fiel, sah Salafisten, die sich auf dem Marktplatz versammelten. Dennoch sagt sie: "Eicken hat sich eigentlich nicht verändert." Nach ein paar Schlücken Kaffee sieht die Sache aber schon anders aus: "Es gibt viele neu Zugezogene", sagt sie. Ihre Stammbäckerei habe kürzlich geschlossen, ja, und die Fußgängerzone sei vor ein paar Jahren erneuert worden. "Sie ist sehr schön, man kann da nett sitzen und flanieren", lobt die 89-Jährige. Das tut sie auch jeden Montag bis Freitag - vorbei am Metzger für Hunde, an Cafés, hippen Klamottenläden und Friseuren. "Wir haben alles hier, von der Apotheke bis zum Schuster", sagt sie. Nur der Stammbäcker ist nicht mehr da - zum Glück kann sich Hannelore Franken in der Ökumenischen Altentagesstätte mit Kuchen trösten.

Mönchengladbach: Das war der Greta-Markt 2014
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Rudi De Marco, 61:

Freizeit hat Rudi De Marco so gut wie nie. "Ich bin eigentlich immer im Geschäft", sagt er und bringt noch schnell einer Kundin einen Eisbecher nach draußen an den Tisch. Dann setzt sich der 61-Jährige in seinem Eiscafé auf der Fußgängerzone an einen Tisch - was bestimmt nicht allzu häufig vorkommt. "Ganz kurz" habe er erst seinen Laden, scherzt er: 1973 eröffnete seine Familie das Eiscafé, "damals war Eicken anders", sagt De Marco. Nach und nach hätten die Textilgeschäfte- und Fabriken geschlossen, "viele Leute sind weggezogen, andere hergekommen". Einige Geschäfte hätten aufgegeben, weil die Inhaber den Generationswechsel nicht hinbekommen hätten oder am Parkplatzmangel verzweifelt seien. Rudi De Marco blieb. "Ich finde es schön hier. Eicken ist super, es gibt alles, die Menschen sind nett", sagt der Italiener. Gerne denkt er an die Zeit, als am Bökelberg Borussia spielte und Fußballfans Eicken belagerten. "Die Fans brachten uns Geld ein", sagt De Marco. "Manche aber auch ein bisschen Krawall", ergänzt er. Bis heute kämen Anhänger der Borussia von außerhalb ab und zu zum Eisessen in seinen Laden, sagt Rudi De Marco - ganz friedlich, natürlich.

Street Art in Mönchengladbach
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Anna Dahmen, 77:

Der dunkelhaarige junge Mann Mitte 20 winkt Anna Dahmen noch kurz zu, dann schlendert er über die Eickener Fußgängerzone davon. "Das war mein Enkel", sagt die 77-Jährige. Sie sitzt mit zwei Freundinnen auf der Außenterrasse einer Bäckerei am Marktplatz, wie so oft - ihr Enkel wusste genau, wo er seine Oma für ein kurzes Pläuschchen am Nachmittag finden kann. "Er ist gerade nach Eicken gezogen", erzählt Anna Dahmen. Neun Kinder, 17 Enkel und acht Urenkel hat sie, und ein großer Teil der Familie lebt im Ort. Anna Dahmen selbst zog vor rund 30 Jahren her, wohnte vorher in Lürrip. Aus Eicken wollte sie nie wieder weg, "man kann hier seine Kinder spielen lassen und schön über die Fußgängerzone flanieren". Auch sie findet: "Wir haben hier alles, was wir brauchen." Sogar Restaurants mit veganem Essen, ergänzt sie - "das habe ich aber noch nicht getestet". Stattdessen würde Anna Dahmen am Marktplatz gerne eine ordentliche Currywurst mit Pommes essen. "Aber hier gibt es keine Pommesbude", klagt sie. "Dafür sind in der Fußgängerzone mindestens sechs Friseure." Das ringt der 77-Jährigen ein verständnisloses Kopfschütteln ab. Doch auch, wenn ihr die Currywurst fehlt, die selbstgeschneiderten Kleider in den Läden junger Kreativer nicht so ganz nach ihrem Geschmack sind: "Mir gefällt es hier gut", sagt Anna Dahmen. Und irgendwann will sie auch mal das vegane Essen probieren.

Harry (55) und Martina (52) Kur-schat: Auf einer Bank ganz in der Nähe von Rudi De Marcos Eiscafé sitzen Martina und Harry Kurschat in der Sonne. "Wir fühlen uns in Eicken sauwohl", sagt Martina Kurschat. Sie ist gebürtige Eickenerin, hat nur zwei Jahre lang außerhalb ihres Viertels, in Holt, gewohnt - "ich wollte mal was anderes sehen", begründet sie. Doch dann sehnte sich Martina Kurschat zurück, denn "Eicken ist mein Zuhause". Auch ihr Mann Harry fühlt sich wohl im Stadtteil, fünf Jahre lang hat er sogar aktiv das Viertelfest mitorganisiert. "Es ist schön hier. Wir erreichen alles zu Fuß, es gibt Ärzte und Konditoren, Cafés und Apotheken", sagt er. Seit zwölf Jahren lebt Kurschat mittlerweile in Eicken, aus beruflichen Gründen zog er damals hin. Der 55-Jährige arbeitet als Vertriebsinnendienstler in einem Geschäft in der Fußgängerzone, gerade hat er Mittagspause. "Eine Zeit lang war es hier gar nicht so schön", sind seine Frau und er sich einig. "Ein bisschen verwahrlost, viele Geschäfte standen leer", ergänzt die Bäckereifachverkäuferin. Doch jetzt verändere sich Eicken, "es gibt hier wirklich viele junge Kreative". Als ruhigen und gemütlichen Mikrokosmos beschreibt das Paar sein Viertel. "Man trifft sich hier halt", sagen sie. "Vielen der alteingesessenen Eickenern begegnet man am Freitag auf dem Markt", ergänzt Martina Kurschat. Doch so sehr sie Eicken mag, etwas fehlt der 52-Jährigen: "Wir bräuchten ein bisschen mehr Grün und ein paar mehr Bänke."

(naf)
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