Mönchengladbach Eindringlicher Weckruf einer Journalistin zum Pflegenotstand

Mönchengladbach · Ingeborg Haffert brennt für "ihr" Thema. Nach eigenem Bekunden nahm die Redakteurin und Reporterin beim ARD-Morgenmagazin für ihr Buch "Eine Polin für Oma" zunächst "naiv und unbedarft" die Recherche auf. Zwei Jahre begleitete sie polnische Pflegekräfte, Pflegebedürftige und Angehörige und war konfrontiert mit Missständen sowie Problemen auf allen Seiten. Ihr wurde bewusst, dass viele osteuropäische Pflegekräfte ihren anstrengenden Dienst ohne wirksamen Arbeitsvertrag leisten, vielfach im fremden Land ganz auf sich selbst gestellt - und das an sieben Tagen in der Woche, rund um die Uhr, für 800 bis 1000 Euro im Monat. Engagiert forderte die Journalistin ihre Zuhörer in der Brandtskapelle auf, sich für das Thema zu sensibilisieren.

Hafferts Vortrag und das von ihr angeregte Gespräch waren eingebunden in die Solidaritätsaktionen zum Welttag für menschenwürdige Arbeit, veranstaltet von der Betriebsseelsorge im Bistum Aachen. Die Aktionen unter dem Leitgedanken "Aufstehen für gute Arbeit, gerechte Löhne und Mitbestimmung" hatten in der Citykirche Aachen begonnen. In Gladbach moderierte Betriebsseelsorger Rainer Ostwald das Betriebsratsgespräch bei Esprit/Fiege im Regiopark. Die Aktionen klangen mit Abendandacht, gemeinsamem Essen, Filmvorführung und Autorinnen-Lesung im Treff am Kapellchen aus.

Haffert wählte nicht die Form der klassischen Lesung, sondern setzte auf Information und Gespräch. Zum Einstieg zeigte sie eine Sequenz aus dem Dokumentarfilm ihrer Kollegin Petra Cyrus. Den Besuchern fiel auf, dass die polnische Pflegekraft freundlich willkommen geheißen wurde, aber sogleich mit Zumutungen konfrontiert und mit den neuen Aufgaben allein gelassen wurde. Sie sollte - ohne eigenes Zimmer - auch die Nächte in unmittelbarer Nähe einer 90-Jährigen verbringen, während im Schrank für ihren dreimonatigen Aufenthalt ein Fach leergeräumt war. Die Pflegebedürftige wurde mit ihrer Frage sogleich an die gerade erst angekommene Polin verwiesen. "So passiert es hundert-, tausendfach in Gladbach, Köln und Heinsberg", versicherte Haffert. Sie stellte fest, dass viele Angehörige glauben, legal zu handeln, in Wirklichkeit aber würden etwa die mit polnischen Agenturen geschlossenen Verträge auf deutschem Arbeitsmarkt nicht greifen. Die Referentin berichtete, dass die Agenturen Monat für Monat nur für die Vermittlung fast das gleiche Geld erhalten wie die Frauen, denen häufig über Schweigeklauseln verboten ist, über ihren Verdienst zu sprechen. Ein fairer Vertrag müsste direkt zwischen Pflegekraft und deutscher Familie geschlossen werden, so Haffert. Sie bemängelte auch einen oft fehlenden Respekt gegenüber den Pflegenden. Von einer Pflegekraft hatte sie gehört, dass häufig nach dem Wohl der pflegebedürftigen Person und ihrer Familie gefragt werde, aber niemals nach ihrem eigenen Befinden.

Auf die Frage, warum der Gesetzgeber nichts gegen fragwürdige Verträge und Grauzonen unternehme, antwortete Haffert: "Da spielen wohl der Pflegenotstand und die Haltung ,Es läuft doch' eine Rolle". Angesichts der Geschichte der Brandtskapelle empfahl sie, diese als guten Ort für einen Weckruf.

(anw)
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