Mönchengladbach Eine Arztpraxis ohne Barrieren

Mönchengladbach · Nur jede fünfte Praxis in NRW ist barrierefrei. Per Absichtserklärung wollen Ärzteverbände die Quote erhöhen. Behindertenvertreter sind skeptisch: Die Zahl der Positivbeispiele, die es in der Region auch gibt, lasse sich nur durch konkrete Maßnahmen erhöhen.

 Rollstuhlfahrer können es in engen Läden schwer haben.

Rollstuhlfahrer können es in engen Läden schwer haben.

Foto: Detlef Ilgner

Die Eingangstüren öffnen sich automatisch, alle Arztpraxen sind mit Aufzügen erreichbar, Gänge und Türen breit genug für Rollstuhlfahrer, die Toiletten behindertengerecht: Das Mönchengladbacher Medicentrum, in dem sich 32 Ärzte niedergelassen haben, ist barrierefrei — und damit eine Ausnahme in Nordrhein-Westfalen, wo nur jede fünfte der 30.000 Praxen behindertengerecht ist. Noch.

Die Ärzte- und Zahnärztekammern sowie die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in NRW wollen die Zahl der barrierefreien Einrichtungen in nächster Zeit deutlich erhöhen. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung hervor, die die Verbände gestern auf Initiative der Landesbehindertenbeauftragten Angelika Gemkow in Düsseldorf unterzeichneten. "Frei einen Arzt zu wählen, ist ein Stück Lebensqualität", sagt Angelika Gemkow. "Was hilft ein guter Facharzt in der Nähe, wenn man ihn nicht besuchen kann?"

Tatsächlich entscheidet über die Wahl eines Arztes oft nicht dessen Können, sondern eine Treppe oder eine zu schmale Eingangstür. "Im schlimmsten Fall schieben Menschen mit Behinderung den Arztbesuch sogar auf", sagt Horst Ladenberger vom Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Köln. Die jetzt unterzeichnete Erklärung sei zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, so Ladenberger. Langfristig seien jedoch verbindliche Vorschriften nötig, nach denen Praxen grundsätzlich barrierefrei gestaltet werden.

Vorgeschrieben ist Barierrefreiheit bisher nur dann, wenn Praxen neu oder großflächig umgebaut werden. Und selbst dann leite die Landesbauordnung die Aufmerksamkeit der Bauherren zu stark auf die klassischen Bedürfnisse der Rollstuhlfahrer, sagt Annette Schlatholt, stellvertretende Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter. An breite Türen und ebene Zugänge werde gedacht. Zusätzliche Elektrokabel dagegen, die später zum Beispiel akustische und optische Signale im Wartezimmer ermöglichen, würden selten verlegt. Ist die Praxis dann erst einmal fertig, gelte es oft genug als unverhältnismäßig, noch einmal nachzulegen. Dabei reichen solch kleine Dinge schon, die Praxis für Menschen mit Behinderung leichter nutzbar zu machen — ohne dabei viel kosten zu müssen. Eine mobile Induktionsschleife zum Beispiel, mit deren Hilfe Hörgeschädigte mit dem Arzt kommunizieren können, gibt es schon ab 200 Euro, sagt Annette Schlatholt. Und entkräftet damit das Argument, auf das Ärzte beim Thema Barrierefreiheit am häufigsten verweisen: Hohe Kosten. Ein neuer Aufzug zum Beispiel könne in die Hunderttausende gehen, sagt eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.

Bauvorschriften hin, Kosten her: Einige Ärzte in Nordrhein-Westfalen haben bereits umgedacht: Lothar Schröder, Gynäkologe in Duisburg, hat seinen Empfangstresen zum Teil auf 88 Zentimeter abgesenkt, so dass seine Mitarbeiter Rollstuhlfahrern auf Augenhöhe begegnen. Die Bergisch-Gladbacher Zahnarztpraxis Behrend und Makosch hat neue Räume im Erdgeschoss angemietet und eine behindertengerechte Toilette installiert. Die drei Essener Diavero-Zentren für Radiologie haben nicht nur Rampen an den Bürgersteigen gebaut, die Tresen abgesenkt und in den Toiletten drehbare Spiegel montiert, sondern auch automatisierte Türen eingebaut und für Hörgeschädigte ein Spezialgerät angeschafft, das die Kommunikation erleichtert. Dafür wurden die Praxen von der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter und der Stadt mit dem "Signet Barrierefrei" ausgezeichnet. Die Plakette macht Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sichtbar.

Aktionen wie die in Essen könnten auch anderswo etwas bewegen, sagt Annette Schlatholt: "In Essen lassen sich Ärzte, Gastronomen oder Kinobetreiber regelmäßig testen, um ihr Siegel zu behalten — weil sie fürchten, sonst hinter der Konkurrenz zurückzufallen. Mit solchen Aktionen bringt man auch diejenigen in Zugzwang, die nichts tun."

(RP)
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