Mönchengladbach Eine Autorin mit deutschem Herzen und türkischer Seele

Mönchengladbach · "Um sich zu verstehen, muss man nicht dieselbe Sprache sprechen, sondern dieselben Gefühle haben." So die Maxime einer bemerkenswerten Frau, die bei der Schlusslesung im Rahmen des Literarischen Sommers ihr zahlreiches Publikum in der Stadtbibliothek Rheydt zwei Stunden lang fesselte.

Hatice Akyün heißt die attraktive Mittvierzigerin mit dem ansteckenden Lachen, die als Dreijährige mit ihrer großen Familie die anatolische Heimat verließ und in Duisburg-Marxloh sesshaft wurde. Die Ruhrpottstadt bezeichnet die jetzt in Berlin lebende Journalistin und Schriftstellerin als ihre Heimat, in der sie im Rentenalter wieder leben möchte. Akyüns Vater, der im Bergwerk arbeitete, legte großen Wert auf eine gute Ausbildung seiner Kinder, die, da die Eltern Analphabeten sind, Deutsch aus Büchern lernten.

Nicht nur in Berlin, wohin die junge Türkin zum Studium nur widerstrebend ging, ist sie inzwischen sehr bekannt, vor allem durch ihre Bücher "Einmal Hans mit scharfer Soße"(2005), das 2008 verfilmt wurde, und das aktuelle "Ich küss' dich, Kismet", aus dem die Autorin in der Stadtbibliothek las. Es handelt von ihrer fast überstürzten Reise in die Türkei, ausgelöst durch das Migranten diffamierende Sarrazin-Buch. Hatice Akyün schildert in zahlreichen Beispielen die sie selbst verwirrende Fremdheit ihrem Geburtsland gegenüber. "Deutschland, du wirst mich nicht los", ist das einerseits ernüchternde, sie aber auch wieder beruhigende Fazit nach einem halben Jahr am Bosporus.

"Das war jetzt nur ein winziger Teil meines Buches, weil ich immer so viel dazwischen erzähle", erklärte der sympathische Gast lachend. Und das Erzählen, erlernt von ihrer Mutter, war an diesem literarischen Abend auch das Wichtigste für die Zuhörer. "Frage niemanden nach seiner Herkunft, er wird sie durch seine Geschichten erzählen": Diese türkische Weisheit dokumentierte die trotz vorherrschender Fröhlichkeit phasenweise auch ausgesprochen tiefsinnig erscheinende Referentin "mit dem deutschen Herzen und der türkischen Seele" nachdrücklich.

"Es gibt nicht Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, es gibt nur Menschen", meinte Hatice Akyün unter großem Beifall der Zuhörerschaft. Und dann wurde sie ganz ernst: "Meinungsfreiheit und Toleranz sind in meinen Augen unerlässlich, und ich sehe mit Schrecken, dass diese Werte in der Türkei mehr und mehr unterdrückt werden. Auch deshalb könnte ich dort nicht mehr leben," gestand die Autorin.

(oeh)
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