Serie Was Macht Eigentlich? Er holte 1972 Deutschlands erste Olympia-Medaille

Mönchengladbach · Silber im Einer-Canadier beim Kanu-Slalom im Augsburger Eiskanal: Reinhold Kauder hat 1972 Deutschlands allererste Medaille bei den Olympischen Spielen in München geholt. Seit 16 Jahren lebt der ehemalige Grevenbroicher in Pongs.

 Olympia-Erinnerungen vor dem Fernseher, 20 Jahre nach München, bei den Spielen in Barcelona (von links): Reinhold Kauder, Willi Baues, Otto Schumacher.

Olympia-Erinnerungen vor dem Fernseher, 20 Jahre nach München, bei den Spielen in Barcelona (von links): Reinhold Kauder, Willi Baues, Otto Schumacher.

Foto: Hans Jaczyk

Ein Modellathlet war er keineswegs. "Ich war ein schmächtiges Kerlchen, hatte mit Sport nicht viel zu tun", sagt "Fuzzy", wie er im Kreis der Kanuten genannt wird. Das schmächtige Kerlchen war 14, als es mitbekam, dass ein paar Schulkameraden sich in Grevenbroich zu einem Besuch bei den Kanusportlern an der Erft verabredeten. Reinhold Kauder schloss sich ihnen an. Acht Jahre später feierten nicht nur der der Kanu Club Grevenbroich und der Deutsche Kanu-Verband ihn, sondern "ganz Deutschland": Er hatte Deutschlands erste Medaille bei den Olympischen Spielen 1972 in München geholt, am zweiten Wettkampftag, dem 28. August.

An dem Tag, an dem der amerikanische Super-Schwimmer Mark Spitz die erste seiner sieben Goldmedaillen holte und Deutschlands Hockey-Spieler mit einem 1:0-Sieg gegen Malaysia auf dem Weg zum späteren Olympia-Sieg vorankamen - mit den Mönchengladbachern Uli Vos und Wolfgang Strödter. Auch Reinhold Kauder, inzwischen 66, ist längst Mönchengladbacher, seit 16 Jahren. Der Liebe wegen: Seine Frau Dorothee ist Rheydterin.

Aber zurück nach Grevenbroich, ins Jahr 1964, als Reinhold Kauder mit seinen Schulkameraden zum Kanu-Club Grevenbroich ging - und direkt Feuer fing. "Ich war, wie gesagt, nicht besonders sportlich. Aber ich habe mich direkt verknallt." Nein, nicht in ein Mädchen ("An so was dachte man damals mit 14 noch nicht"), sondern in diesen Sport und den KC Grevenbroich, wo man "Fuzzys" großes Talent für diesen Sport bald erkannte.

Der KC Grevenbroich war ab Ende der 60-er bis Mitte der 80-er Jahre eine große Nummer im deutschen Kanusport, Olympia-Stützpunkt, stellte regelmäßig Weltmeister und Gewinner olympischer Medaillen - wie eben Reinhold Kauder. Oder wie auch Willi Baues, einen weiteren jungen Mann, der 1948 in Mönchengladbach geboren, in Hehn aufgewachsen, nach Grevenbroich gezogen und dort ebenfalls vom Virus Kanusport befallen worden ist.

Reinhold Kauder, Willi Baues und Otto Schumacher: Das war das legendäre Trio des KC Grevenbroich. Nicht nur "Fuzzy" gewann 1972 eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen, bei denen Kanu-Slalom erstmals auf dem Programm stand, sondern auch das Duo Baues/Schumacher: Sie wurden Zweite im Zweier-Canadier. "Leider kamen wir Bundesdeutsche an dem Tag nicht an den Sportlern aus der DDR vorbei", sagt Kauder. "Ein paar Leichtsinnsfehler zuviel", schrieb "Kanu-Sport", als es den Grevenbroicher für die Silbermedaille feierte (siehe Foto). So holte in München die DDR Slalom-Gold: Im Einer lag Reinhard Eiben vorne, im Zweier-Canadier waren es Rolf-Dieter Amend und Walter Hofmann. Sie kamen aus Leipzig, wo sie an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) das staatlich organisierte, professionellere Umfeld hatten. In dem Punkt kam der Westen nicht mit.

"Aber auch wir hatten auf der Erft in Grevenbroich gute Bedingungen", sagt Kauder. "Es gab viele ehrenamtliche Unterstützer. Die braucht man unbedingt, denn Talent alleine reicht nicht." Und dann holte Friedel Bohry, der "Manager" des Vereins, wie man heute sagen würde, einen hochqualifierten Fachmann: Karel Knap, bis dahin Trainer der Tschechoslowakei. "Bei ihm haben wir gelernt, wie man richtig trainiert. Nicht nur auf der Erft, sondern im Sommer zum Beispiel auch im Wildwasser der Alpen. Wir sind damals viel herumgekommen. Ich habe eine Zeit erlebt, von der ich als Junge nie geträumt hätte", sagt Kauder.

Er hatte nach der Volksschule eine Lehre als Betriebsschlosser gemacht, arbeitete dann in der Grevenbroicher Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG. Trainiert wurde nach der Arbeit. Das wurde anders, als Reinhold Kauder zur Bundeswehr musste. Er verpflichtete sich für zwei Jahre als Zeitsoldat und kam in die "Sportkompanie" der Bundeswehr in Essen-Kupferdreh. Dort bekamen die bundesdeutschen Sportler, vom Profifußballer wie dem späteren Nationalspieler Klaus Fischer bis zum Kanuten wie Reinhold Kauder, die Freistellungen vom Dienst, um sportlich weiterzukommen. Er konnte im Olympia-Stützpunkt Grevenbroich trainieren und zu den Wettkämpfen reisen. Und die "Sportsoldaten" hatten ein Auskommen: "Wir bekamen 1000 D-Mark Wehrsold, dazu gab es Unterstützung der Sporthilfe", erzählt Kauder. Das konnten, je nach Erfolg, an die 500 Mark im Monat sein. "Damit sind wir ausgekommen."

Es kamen die großen Erfolge. Er wurde fünfmal Deutscher Jugendmeister und holte dann die Titel bei den "Großen": als Einzelsportler und mit der Mannschaft, bei Deutschen wie bei Weltmeisterschaften, in seiner Spezialdisziplin, dem Slalom-Einer-Canadier, aber auch im Zweier-Canadier. 1969 war er - mit 19 Jahren - erstmals Weltmeister in der Mannschaft, dazu Zweiter im Einzelrennen. 1971 gewann er in Augsburg den vorolympischen Slalomtest und wurde in Meran Weltmeister im Einer-Canadier. Dann kamen die Olympischen Spiele - und die Silbermedaille. Ein Jahr zuvor bei der WM hatte er Einhard Eiben aus der DDR geschlagen. Jetzt ging er als hoher Favorit ins olympische Rennen. "Das ist schon eine Belastung, aber keine Entschuldigung", sagt er. "An dem Tag, dem 28. August 1972, da war Reinhard besser als ich. Und Kanu-Slalom ist eine Sportart, bei der man viel riskieren muss, weil man das Wasser nicht kalkulieren kann."

Bald darauf ließ Kauder seine Karriere ausklingen, mit knapp 23 Jahren, um eine weitere berufliche Ausbildung zu beginnen. "Ich hatte einen Skiunfall, musste drei Monate pausieren, wusste, dass man Erfolge in diesem Sport nicht programmieren kann. Ich hatte eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann. Und habe mir gesagt, man soll dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Auch wenn es noch jahrelang geschmerzt hat: Es war die richtige Entscheidung."

(RP)
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