Serie 100 Jahre Erster Weltkrieg Erinnerungen an Weihnachten im Weltkrieg

Mönchengladbach · Der Zwiespalt zwischen der Weihnachtsbotschaft und dem blutigen Krieg wird empfunden, aber patriotisch übertüncht.

Auf den Bildern von damals scheint die Welt in Ordnung: Der Weihnachtsbaum leuchtet, die Familie ist festlich gekleidet, die Geschenke für die Kinder reichen von Puppen über Zinnsoldaten bis hin zu Büchern, Laubsägekästen und Schaukelpferden. Aber der Eindruck täuscht: Draußen tobt der Erste Weltkrieg, viele Väter und Söhne sind an der Front, die Versorgungslage für die ärmeren Familien ist kritisch.

Eigentlich hatten alle erwartet, dass der Krieg zu Weihnachten 1914 schon vorbei wäre. Aber es wird Dezember und kein Ende ist in Sicht. "Fünf Monate dauert der furchtbare männermordende Völkerkrieg", schreibt die Westdeutsche Landeszeitung in ihrem Rückblick auf die Weihnachtstage 1914 in Mönchengladbach. Der Christmorgen habe sich in strahlendem Glanz gezeigt, die Menschen unternahmen "erfrischende Spaziergänge in die Gottesnatur", berichtet die Zeitung weiter.

Die Soldaten an der Front oder auf dem Weg in den Heimaturlaub erhielten "Liebesgaben". Die Schüler der Oberrealschule stifteten 500 Weihnachtspäckchen, die am Bahnhof Mönchengladbach an die durchfahrenden Verwundeten und Truppen verteilt wurden. Die Soldaten aus Rheydt erhielten, so vermerkt es die Stadtchronik, 4500 Pakete.

Zu Weihnachten gehen die Kriegsparteien sogar ein Stück aufeinander zu: Die französischen Kriegsgefangenen erhalten Geschenke aus der Heimat, im Gegenzug können auch die deutschen Kriegsgefangenen Päckchen von zu Hause empfangen. Die Soldaten an der Front versuchen, Weihnachten in gewohnter Weise zu feiern.

Aus Frankreich berichtet der Schriftsteller Walter Flex von der Christfeier der fünften Kompanie "vor dem tannengeschmückten Altar der Dorfkirche von D..., wo wir den Heiligen Abend feierten. Unsere Geschütze dröhnten dazu eine nachdenkliche Begleitung."

Leutnant Wilhelm Waters aus Burgwaldniel schreibt in seinem Tagebuch: "Mitten im Kriege, wenige 100 Meter vom Feind entfernt, feiern wir Weihnachten, das Fest des Friedens, das Familienfest der Deutschen." Und etwas später: "Hier unter dem Christbaum geloben wir unserem Kaiser aufs Neue feste Treue, für ihn und unser liebes Vaterland opfert ein jeder von uns alles auf, und so rufe ich euch zu: "Frohes Weihnachtsfest!" mit Gott für König und Vaterland."

Zu Hause versucht man, den Zwiespalt zwischen der weihnachtlichen Friedensbotschaft und dem andauernden Krieg zu überbrücken. Die katholischen Bischöfe des Deutschen Reichs schreiben in ihrer Weihnachtsbotschaft, der Krieg sei ein Strafgericht und er, der Krieg, habe die moderne, widerchristliche, religionslose Geisteskultur vor sein Gericht geladen, zu der Geldsucht, Genusssucht, verseuchte Literatur und schändliche Auswüchse der Frauenmode gehörten. Dem Krieg wird eine reinigende Wirkung zugeschrieben.

In der Westdeutschen Landeszeitung ist zu lesen, dass der Frieden bisher ein "toter Frieden" gewesen sei, der "erschlafft und entnervt". Jetzt sei der wahre Frieden angebrochen, der "Frieden der Herzen". Die Kriegsbegeisterung ist noch ungebrochen. Es finden patriotische Weihnachtsfeiern mit Chor- und Sologesängen statt. Über die "vaterländische Weihnachtsfeier" für die Pfarrangehörigen von St. Joseph wird berichtet: "Mädchen und Büblein erklärten in Wort und Bild, was sie jetzt und später fürs Vaterland zu tun gedenken."

Doch hinter dieser glatten Fassade zeigen sich die Kriegsfolgen schon zu Weihnachten 1914 deutlich. In täglichen kleinen Anzeigen wird vor Verschwendung gewarnt: "Wer Brotgetreide verfüttert, versündigt sich am Vaterland und macht sich strafbar."

Zwei Jahre später wird das noch klarer, obwohl in den Zeitungen keinerlei Berichte für den Hungerwinter 1916/17 zu finden sind. Aber aus den kommentarlos veröffentlichten Ankündigungen der Stadtverwaltung lässt sich schließen, woran es alles fehlt: Im Dezember 1916 wird zum Beispiel die Kartoffelausgabe für die Stadtteile Dahl, Ohler, Speick und Engelsholt angekündigt: Fünf Pfund pro Kopf und Woche können zum Preis von fünfeinhalb Pfennig pro Pfund abgeholt werden. Als Weihnachtsgabe können je 100 Gramm Mehl, Nudeln, Reis, Weihnachtsgebäck und Schinken zu festgelegten Preisen eingekauft werden. Auch der Eier- und Fettverkauf wird zentral organisiert. Für "bedürftige Kriegskinder" werden in Odenkirchen Weihnachtsspenden verteilt. 450 konnten bedacht werden, berichtet die Zeitung, aber die Nachfrage sei viel höher gewesen.

Die Menschen sind jetzt deutlich kriegsmüde. Die Zeitung berichtet von überfüllten Kirchen und inbrünstigen Gebeten, die "Friedenswünsche der unter dem Völkerkrieg seufzenden Menschen" gen Himmel schickten.

Aber nicht alle trifft der Mangel. In Anzeigen wird weiterhin für die Feiertage feinster Rheinsalm, lebendfrischer Steinbutt aus Ostende oder grobkörniger Kaviar empfohlen. Die Familie Lücker, die in Willich eine gut gehende Kaffeerösterei betreibt und mit dem Sohn an der Front einen umfangreichen Briefwechsel unterhält, schickt endlos Pakete. Noch 1917 bedankt sich Sohn Karl: "Euer überaus reichhaltiges Weihnachtspaket fand ich meiner harrend vor. Für all die herrlichen Sachen, die beim Auspacken zum Vorschein kamen, sage ich Euch nochmalig meinen herzlichsten Dank."

Außerdem wurde offensichtlich die ganze erste Batterie des Artillerie-Bataillons 407 versorgt. Jedenfalls kommt ein Dankgedicht bei den Lückers an, das von 23 Unteroffizieren, 13 Obergefreiten und 89 Mannschaften unterschrieben wurde. Da ist nicht mehr von "glückseligen Kriegsweihnachten" wie 1914 die Rede, sondern es heißt in dem Gedicht: "Auch unser Auge hing gebannt an jener fremden Heimatwelt, die bös' Geschick uns hat vergällt, dieweil es uns durch fremdes Land ruhlos zu wandern hat bestellt."

(arie)
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