Mönchengladbach Eroberung einer Kaserne

Mönchengladbach · Die Natur und finstere Gestalten toben sich auf dem Gelände der früheren Niederrheinkaserne aus und schaffen eine Parallelwelt, die schön und hässlich zugleich ist. Von Andreas Gruhn und Jörg Knappe (Fotos)

Die Natur gewinnt immer. Moos kriecht über den Boden, Unkraut frisst sich durch Betonplatten, Sträucher wuchern Wachhäuser zu. Der alte Hubschrauberlandeplatz ist eine hübsche Wildblumenwiese. Man könnte sagen, die Niederrheinkaserne ist 16 Jahre nach ihrer Schließung und zwölf Jahre nach ihrer Freigabe zum Verkauf durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben auf einem guten Weg.

Lägen da nicht überall Scherben auf dem Boden. Würden nicht die rausgerissenen Gullydeckel hier und dort ein hässliches Loch hinterlassen. Wären Wände nicht aufgehämmert, um Rohre und Leitungen rauszureißen. Im früheren Kasino, wo bis vor 16 Jahren Soldaten speisten, ist die Bar zu Trümmern geschlagen. Die Spülbürste liegt auf dem miefigen, feuchten Kunststoffboden, der schon Wellen schlägt. Es ist eines der wenigen der insgesamt 17 Gebäude, das gefahrlos betreten werden kann. In vielen anderen hängen Platten von den Decken, klaffen Löcher in den Dächern.

So sieht es aus, wenn eine Kaserne erobert wird. Von der Natur. Und von Metalldieben und anderen finsteren Gestalten, die sich immer wieder im Dickicht herumtreiben, sich ihrer blinden Zerstörungslust hingeben und alles aus den Wänden reißen, was irgendwie greifbar ist. Das Portal zum Hauptgebäude mit dem Verwaltungstrakt ist nicht mehr als ein in Fetzen zerteiltes Loch, hinter dem das Dunkel fies grinst.

"Achten Sie bei jedem Schritt auf den Boden und schauen Sie auch nach oben", warnt Barbara Handke von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die das Areal verwaltet. "Das hier ist kein Abenteuerspielplatz." Sie führt rund eine Stunde über das Areal, das für ungebetene Besucher durchaus lebensgefährlich sein kann. Zum Beispiel in der ehemaligen Schreinerei. Das Gebäude ist akut einsturzgefährdet, weil sich aber trotzdem immer wieder Fremde darin tummelten, mauerte die Bima Fenster und Türen zu. "Wir fahren regelmäßig die Außenzäune ab und reparieren Löcher", sagt Barbara Handke. Mitunter ertappe man auch Leute, die sich auf dem knapp zehn Hektar großen Areal tummeln. "Für jeden, den wir erwischen, stellen wir Strafantrag." Es kommt aber vor, dass die Polizei auch selbst zugreift. Spezialeinheiten sind nämlich die einzigen rechtmäßigen Nutzer des Geländes, hier trainieren sie immer wieder Sondereinsätze. Dafür ist das Areal optimal geeignet.

Das finden aber auch andere.

Das Auto in der ehemaligen Lkw-Halle fährt schon lange nicht mehr. Das Cabrio-Dach ist aufgeklappt, Felgen und Reifen weg, der Motor grell-gelb angesprüht. Ein Wrack, um das herum sich Skater einen ganzen Parcours gebaut haben. Türen aus den Wohngebäuden auf dem Gelände dienen als Rampen, ausgehärteter Bauschaum füllt Hohlräume im Boden. Überall sind Graffiti an die Wände gesprüht, meistens sind es ziemlich hässliche Schmierereien, Tags eben. Aber an einigen Ecken auf dem Areal hat auch ein wahrer Künstler gewirkt. Eine neue Schönheit entsteht rund um Verfall und Zerstörung und bildet eine einzigartige Parallelwelt mit enormer Anziehungskraft.

Das Grün wird geschnitten, Zäune geflickt. Aber die Eroberung der Kaserne geht immer weiter, so lange niemandem einfällt, das Gelände zu kaufen und etwas Kluges daraus zu machen.

Die Natur gewinnt.

In der kommenden Woche finden Sie eine zweite Sonderseite zur Niederrheinkaserne mit weiteren Bildern von herausragenden Graffiti.

(RP)
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