Staatssekretär Günter Krings Es gibt eine Grenze der Belastbarkeit

Mönchengladbach · Günter Krings spricht über Sicherheit in Zeiten des Terrors, die Gesundheitskarte für Flüchtlinge und Pegida-Demonstrationen.

 Noch als Verteidigungsminister war Thomas de Maizière 2013 in Gladbach. Heute ist er Innenminister - und Günter Krings sein Staatssekretär.

Noch als Verteidigungsminister war Thomas de Maizière 2013 in Gladbach. Heute ist er Innenminister - und Günter Krings sein Staatssekretär.

Foto: Raupold

Wie nah stand Hannover am Dienstag vor einer Katastrophe?

Günter Krings Die Hinweise auf einen möglichen großen Terroranschlag haben sich am Tag vor dem Spiel zusehends verdichtet. Wir mussten sie ernst nehmen. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir uns die Absage eines solchen Fußballspiels, das ja auch ein Zeichen gegen den Terror setzen sollte, besonders gut überlegt haben.

Wie aufmerksam müssen die Deutschen jetzt in der Öffentlichkeit sein, und wie viel Unbekümmertheit können sie sich weiter leisten?

Krings Wir dürfen den Terroristen nicht den Gefallen tun, uns von Angst leiten zu lassen und unser freies Leben grundlegend zu ändern. Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, etwa das Melden von verdächtigen Gegenständen an belebten Plätzen, ist aber immer richtig. Vor allem sollten wir in allen Teilen der Gesellschaft das Verständnis für und das Vertrauen in die Arbeit aller Sicherheitsbehörden stärken. Bei manchen Politikeräußerungen und Pressemeldungen der letzten Monate konnte man den Eindruck gewinnen, unsere Nachrichtendienste seien das größte Sicherheitsproblem. Wir sollten jetzt keine Kraft mehr darauf verschwenden, uns mit derartigen Polemiken zu beschäftigen.

Hat die Polizei überhaupt die Kapazitäten, alle Großveranstaltungen noch mehr zu sichern als bisher?

Krings Lückenlosen Schutz kann es natürlich nicht geben. Deswegen ist es ja auch so wichtig, die Täter schon in der Planungsphase zu stoppen. Das erfordert auch gut ausgestattete Nachrichtendienste. Die Polizeibehörden des Bundes und der Länder sind gut aufgestellt. Wir stocken die Bundespolizei noch einmal um über 3000 Beamte auf. Es wäre schön, wenn die NRW-Landesregierung diesem Beispiel folgt.

 In Moers wurde ein vermeintlich gefährlicher Koffer untersucht. Es war ein Fehlalarm.

In Moers wurde ein vermeintlich gefährlicher Koffer untersucht. Es war ein Fehlalarm.

Foto: Rene Anhuth

Erleben wir gerade die größte Gefährdung der inneren Sicherheit seit RAF-Zeiten? Hat Hollande Recht, wenn er von Krieg spricht?

Krings Die jetzige Terrorwelle halte ich für gefährlicher als die RAF. Zum einen hatte die RAF zwar viele Sympathisanten, bestand aber nur aus wenigen Dutzend Terroristen. Beim islamistischen Terror haben wir es mit einem globalen Netzwerk zu tun, mit Tausenden von Kämpfern und einem staatsähnlichen Gebilde im Nahen Osten. Unabhängig von den völkerrechtlichen Feinheiten ist das Bild eines "Kriegs gegen den Terror" leider nicht so ganz falsch. Zum anderen richtete sich der Terror der RAF vornehmlich gegen die Repräsentanten des Staates und seiner Institutionen. Der Kreis der gefährdeten Personen war damit abgegrenzt. Der menschenverachtende islamistische Terror hingegen kann jeden überall treffen: Menschen im Restaurant, im Konzertsaal oder eben bei einem Fußballspiel.

Die Hauptstädte sind wegen ihrer Symbolkraft für Terroristen besonders anziehend, wie die Anschläge von Paris gezeigt haben. Fühlen Sie sich in Berlin sicher?

Krings Ich weiß, dass es keine absolute Sicherheit geben kann und dass ein Anschlag in einer Hauptstadt wahrscheinlicher ist als zum Beispiel in meiner Gladbacher Heimat. Aber ich weiß auch, dass wir gute Sicherheitsbehörden haben.

Die Anschläge von Paris ließen sich trotz Überwachung nicht verhindern. Ist das ein Argument für oder gegen Vorratsdatenspeicherung?

Krings Die Vorratsdatenspeicherung ist eines von vielen Instrumenten für die Polizeibehörden und kein Allheilmittel. Da sie zumindest in Deutschland im Wesentlichen auf die Strafverfolgung beschränkt ist, dient sie in erster Linie dazu, nach einem Anschlag oder Anschlagsversuch, Täter- und Unterstützernetzwerk aufzuspüren und auszuheben. Dazu leistet sie einen wichtigen Beitrag.

Konnten in Deutschland schon Anschläge aufgrund der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz verhindert werden?

Krings Ja.

Teile der CSU haben das Terror- und das Flüchtlingsthema miteinander vermengt. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Krings Beide Themen sind klar zu unterscheiden. Wenn das Thema "Sicherheit und Flüchtlinge" aufgerufen wird, dann denke ich zuerst an die inzwischen weit über 600 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Das fängt bei Schmierereien an und geht bis zu lebensbedrohlichen Brandstiftungen und tätlichen Angriffen gegen einzelne Flüchtlinge. Das sind schandhafte Taten, die wir mit der ganzen Härte des Rechtsstaates bekämpfen müssen. Unter den Flüchtlingen haben wir viele Menschen, die gerade vor den Truppen des Islamischen Staates oder den gewaltbereiten Islamisten fliehen. Auf der anderen Seite haben wir bislang keine erhärteten Hinweise darauf, dass gezielt so genannte "Hit-Teams" in die Flüchtlingsströme eingeschleust werden. Aber dennoch haben wir die Sorgen der Menschen insoweit ernstzunehmen, als dass wir wieder genau wissen müssen, wer zu uns kommt. Ich halte daher eine Erstregistrierung der zu uns Kommenden erst mitten in Deutschland für unzureichend. Solange unsere europäischen Partner bei der Kontrolle der Schengen-Außengrenzen so sehr versagen, brauchen wir die Kontrollen an unseren Grenzen nach Süden. Wir müssen zumindest wissen, wer kommt. An der Stelle bin ich dann einer Meinung mit der CSU.

Wie viele Flüchtlinge werden am Ende des Jahres nach Deutschland gekommen sein?

Krings Im Sommer haben wir 800.000 Flüchtlinge prognostiziert. Seitdem hat sich der tägliche Zustrom noch einmal erhöht. Andererseits ist auch ein nicht unerheblicher Teil weiter gegangen in andere Länder, etwa nach Schweden. Solange wir es hinnehmen, dass Flüchtlinge sich ihr Gastland selbst aussuchen, sind seriöse Prognosen kaum möglich.

Wie viele verkraftet Deutschland?

Krings Die Belastungsgrenze kann man nicht in einer Zahl ausdrücken. Aber es gibt eine Grenze der Belastbarkeit. Deshalb müssen wir den Zugang verlangsamen und reduzieren. Und deshalb brauchen wir dringend mehr Engagement der anderen Länder in der EU und vor allem endlich ein gemeinsames europäisches Vorgehen, nicht nur europäische Papiere.

Teilen Sie mehr den Optimismus der Kanzlerin, die überzeugt ist: Wir schaffen das. Oder mehr den Pessimismus Ihres Ministers Thomas de Maizière, der vor den Folgen des Flüchtlingsstroms warnt?

Krings Ich erlebe einen optimistischen Thomas de Maizière. Aber ich bin absolut einig mit ihm, dass wir die Situation nicht schönreden dürfen. Die Probleme sind groß. Deshalb haben wir auf Bundesebene einige Weichen neu gestellt. Wir haben die Sprachkurse für viele Flüchtlinge schon während des Asylverfahrens geöffnet, und der Bund unterstützt Länder und Kommunen auch bei der Unterbringung. Wir haben aber auch die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern, etwa aus dem Westbalkan erheblich erleichtert. Es gibt daher Anlass für Optimismus, auch was den beispiellosen und unermüdlichen Einsatz in den Städten unseres Landes anbelangt. Für Mönchengladbach möchte ich hier die hervorragende Arbeit von Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners und Dezernent Gert Fischer hervorheben. Leider gibt es aber auch Anlass zu Skepsis: Das Krisenmanagement der Landesregierung ist trotz vieler engagierter Beamter unterirdisch. Wer wie der Innenminister Jäger sich beim Thema Rückführungen offen gegen gerade erst beschlossenes Bundesrecht stellt, muss sich fragen lassen, ob er Teil der Lösung oder Teil des Problems sein will.

Was muss jetzt beim Thema Flüchtlinge konkret getan werden?

Krings Da wöchentlich neue Flüchtlinge kommen, hat die Schaffung von Unterkünften und die Bereitstellung von Wohnungen eine hohe Priorität. Die wichtigste Aufgabe ist die Integration derjenigen, die voraussichtlich dauerhaft bei uns bleiben können. Dies beginnt mit Sprachkursen und muss schließlich in einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle münden. Und wir müssen diejenigen konsequent zurückführen, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde. Da das Land NRW auch diese Aufgabe den Kommunen zugeschoben hat, kommt auf unsere Stadt auch hier in Hunderten von Fällen eine gewaltige Aufgabe zu, der wir nicht ausweichen dürfen.

Brauchen wir eine Gesundheitskarte für Asylbewerber in Mönchengladbach?

Krings Gerade weil die Herausforderungen groß sind, sollten wir weder Zeit noch politische Energie auf Nebenthemen verschwenden wie die Einführung einer Asylbewerber-Gesundheitskarte. Die medizinische Versorgung der Flüchtlinge ist bereits heute gut und würde dadurch nicht wesentlich besser. Aber die Karte würde unsere Stadt viel Geld kosten. Menschen, die gerade erst hier ankommen, sollte man mit unserem Gesundheitssystem auch nicht sofort allein lassen. Die Sozialämter haben da eine wichtige Lotsen- und Lenkungsaufgabe. Ich empfehle vor allem der SPD, sich beispielsweise einmal das Duisburger Modell anzusehen, wo seit Jahren die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge über die Stadt erfolgreich und kostengünstig gemanagt wird. Der Duisburger Rat mit seiner SPD-Mehrheit denkt gar nicht daran, jetzt auf ein so teures und fragwürdiges Projekt wie die Gesundheitskarte umzuschwenken.

Nicht nur die Opposition wirft der Regierung vor, in der Flüchtlingsfrage zu vielstimmig zu reden. Zu Recht?

Krings Vielstimmigkeit macht mir die geringsten Sorgen. Aufgrund der beispiellosen Zahl der Flüchtlinge müssen wir von einer veritablen Krise sprechen. Ich höre in diesen Wochen weniger auf die Oppositionspolitiker, die die Welt nur innerhalb des Berliner S-Bahnrings wahrnehmen, sondern mehr auf die vielen Bürgermeister und Kommunalpolitiker aller Parteien, die ich in den verschiedensten Teilen unseres Landes treffe. Wenn mir in Franken ein Landrat sagt, er fühle sich bei der Flüchtlingsaufnahme wie ein Marathonläufer, der die 42-Kilometer-Marke längst passiert hat, aber der noch längst kein Ziel absehen kann, so nehme ich das sehr ernst. Die Verantwortlichen und die Helfer vor Ort haben einen Anspruch darauf, dass wir auch öffentlich um Lösungen für die offenen Probleme ringen und diese Probleme nicht einfach totschweigen. Wer dafür kein Verständnis hat, hat unsere Demokratie nicht verstanden.

Auch in Ihrer Heimatstadt Mönchengladbach gibt nun ein demonstrierender Pegida-Ableger vor, das christliche Abendland zu verteidigen. Die AfD ist in einigen Wahlumfragen drittstärkste Kraft. Wie sehr beunruhigt Sie das?

Krings Mich stimmt das sehr besorgt. Diese selbst ernannten Verteidiger des christlichen Abendlandes haben weder verstanden, was das Christentum noch was das Abendland bedeutet. Insofern betreiben sie nichts als Etikettenschwindel. Von Christentum, Humanismus und Aufklärung ist bei ihrem Reden nichts zu spüren. Wir dürfen ihnen im politischen Meinungskampf keinen Meter Boden überlassen, auch weil sie vielerorts den Nährboden für Gewalttaten gegen Flüchtlinge bereiten. Demokratische Parteien dürfen auch in der Flüchtlingskrise um die richtigen Maßnahmen streiten. Im Kampf gegen Extremisten, die diese Krise für ihre dunklen Zwecke ausnutzen wollen, müssen wir aber zusammenstehen.

RALF JÜNGERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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