Michael Grosse und Torsten Knippertz Fußball und Theater wollen unterhalten

Mönchengladbach · Generalintendant Michael Grosse und Stadionsprecher Torsten Knippertz über die Borussia-Revue, den Transfermarkt und Helene Fischer.

Herr Grosse, die Borussia-Revue "Wir sind Borussia" wechselt bald nach Krefeld. Haben sich die Erwartungen, die Sie für Mönchengladbach hatten, erfüllt?

Michael Grosse O ja, sie haben sich erfüllt. Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten. Durch die Revue wurde ein anderes Publikum ins Theater geholt. Viele Theater suchen regionale Themen. Es ist toll, dass wir uns mit einer so großartigen Marke wie Borussia schmücken können. Es geht nicht nur darum, möglichst viel Publikum anzulocken, sondern auch immer um die Verbindung zur Region und zur Stadtgeschichte. Und die Revue dreht sich ja nicht um die Geschichte der Borussia oder die Lebensgeschichte von Jupp Heynckes, sondern es geht um die Fans.

Kommen denn die Fans jetzt ins Theater?

Torsten Knippertz Ja, die Borussia-Revue stößt wirklich auf großes Interesse. Die Fans gehen hin, viele sogar mehrfach. Ich weiß von einem Fan, der viermal da war. Das Theater hat es aber auch super gemacht. Theater und Fußball - das kann auch komplett in die Hose gehen, genau wie Fußball und Kunst.

Warum ist es diesmal geglückt?

Knippertz Ich glaube, die Mischung stimmt. Es ist sehr liebevoll gemacht, leicht verständlich, unterhaltsam, ohne schwülstig zu werden. GROSSE Wir wollen mit dieser Produktion auch "nur" unterhalten. Jede Produktion hat ihre Funktion im Spielplan. Unterhaltung, gute Unterhaltung, das ist auch der gemeinsame Nenner von Fußball und Theater.

Was halten Sie denn von der diesjährigen Borussia-Fußball-Inszenierung? Das war doch ganz großes Drama mit Niedergang und Wiederaufstieg, mit Tränen und Spannung pur. Hätten Sie das genauso inszeniert, Herr Grosse?

Grosse Es gab in dieser Saison schon theaterreife Augenblicke, grandioses Scheitern und tragische Momente, beim Schalke- und beim Frankfurt-Spiel zum Beispiel. Ich hätte mich allerdings beim Regisseur für ein Happy End eingesetzt. KNIPPERTZ Genau. Bei Borussia werd' ich zum Rosamunde-Pilcher-Fan. Da kann alles rosarot sein, und zum Schluss liegen sich alle in den Armen.

Wie erfolgreich ist denn nun die Borussia-Revue? Wie viele Zuschauer wollten sie bisher sehen?

Grosse Es gab 25 Vorstellungen mit jeweils rund 750 Zuschauern, insgesamt haben also 18.000 bis 19.000 Zuschauer das Stück gesehen.

Wird es in Krefeld ähnlich gut laufen? Da fehlt ja die ganz enge Beziehung zur Borussia.

Knippertz Da nennen wir das Stück einfach "Wir sind Bayer Uerdingen". (lacht) O nein, die heißen ja inzwischen KFC. Das war jetzt ein echtes Fettnäpfchen... GROSSE Es wird auch in Krefeld gut laufen. Der Freiverkauf ist sehr ordentlich angelaufen. KNIPPERTZ Es werden viele von Gladbach nach Krefeld fahren, die das Stück hier noch nicht gesehen haben. Etliche wurden schon nervös, weil es hieß, dass es nach Krefeld wechselt. Aber es kommt ja im Februar nach Gladbach zurück.

Herr Knippertz, werden Sie als Stadionsprecher dem Publikum auch in Krefeld einheizen? Sind Sie auch dort live mit dabei?

Knippertz Ja, natürlich, wenn die Terminlage es zulässt. Ich freue mich unheimlich auf diese Sechzig-Sekunden-Auftritte. Es ist eigentlich wie im Stadion. Es gibt eine stimmungsmäßige Grundtendenz, die man erspüren kann. Das ist sehr spannend.

Wie reagiert denn das Publikum auf die anderen aktuellen Stücke? Zum Beispiel auf "Schuld und Sühne"?

Grosse Sehr gut. Wir haben eine siebzigprozentige Auslastung.

Wie erreichen Sie das Publikum, das den Roman nicht kennt?

Grosse Das ist eigentlich leicht, es ist ja ein Krimi. Und Andrzej Wayda ist eine hervorragende Dramatisierung des Stoffs gelungen. Das ist eine besondere Kunst. Entscheidend ist, was man an Erzählendem weglässt. Dadurch treten Figuren und Themen stärker in den Vordergrund. Es ist ein anderer Blick. "Schuld und Sühne" ist vor allem großartiges Schauspielertheater und eine sehr dichte Produktion. Es erfordert hohe Disziplin. KNIPPERTZ Ich würde mir wünschen, dass sich das Publikum, das in die Borussia-Revue geht, auch andere Produktionen ansieht. Es gibt so geile Inszenierungen, da geht man hinterher raus und sagt "Wow".

Beim Pokalendspiel in Berlin wurde Helene Fischer in der Pause bei ihrem Auftritt ausgepfiffen. Was sagen Sie als Intendant und Theatermann dazu, Herr Grosse?

Grosse Ich finde es traurig, was da geschehen ist. Man kann Helene Fischer mögen oder nicht, aber sie ist eine hervorragend ausgebildete Sängerin und Entertainerin. Aber an ihr hat sich etwas entladen, wofür sie gar nichts kann. KNIPPERTZ Das stimmt, die Pfiffe galten dem Kommerz. Das deutsche Fußballpublikum ist nicht so eventorientiert wie das amerikanische Publikum beim Football. Bei der Borussia wurde auch mal über Cheerleader diskutiert, aber die Fangruppen waren dagegen. So etwas passt einfach nicht zu ihrer Haltung.

Bewegt sich denn das Theater stärker in Richtung Event - zum Beispiel mit der Borussia-Revue?

Grosse Theater soll immer beides - unterhalten und bilden. Wir als Repertoiretheater müssen und wollen alles abdecken, den Lohengrin genauso wie die Borussiarevue.

Macht das bei der Arbeit eigentlich einen Unterschied, ob der Lohengrin oder die Borussia-Revue inszeniert werden?

Grosse Jede Produktion braucht das gleiche handwerkliche Können und das Engagement der Beteiligten. Man braucht ein schlüssiges Konzept. Das gilt für die Wagneroper wie für die Revue. Überall geht es auch um Leidenschaft. Es gibt Wagner-Fans, gegen die ist die Nordkurve ein Softeis.

Hat Sie in letzter Zeit ein Stück positiv überrascht?

Grosse Dass wir mit "Kein schöner Land" auf wichtigen Festivals vertreten sind. Als wir mit den Proben anfingen, haben wir nicht an einen solchen Erfolg gedacht.

Es gab und gibt Gastspiele außerhalb Deutschlands. Wie wichtig ist das für das Gemeinschaftstheater?

Grosse Ja, es wird jetzt zum Beispiel ein riesengroßes Musiktheatergastspiel mit fünf Aufführungen in Estland geben. Dann machen sich zehn Trucks und 240 Leute auf den Weg. Das ist Stress, belohnt aber auch qualitätvolle Arbeit im Alltag hier vor Ort. Es gab auch schon Gastspiele in Moskau, Sofia, auf Zypern oder in Tel Aviv.

Eine weitere Parallele zwischen Theater und Fußball ist der Wechsel in den Teams. Es verlassen einige Theaterleute das Haus. Haben Sie schon Ersatz?

Grosse Wir haben schon einige Neuverpflichtungen, aber man muss sich auch Zeit lassen. Manchmal muss man eine Weile suchen. Wir holen meist jüngere Leute, denn die älteren verlassen uns auch kaum.

Gibt es auch hier den Vergleich mit Borussia - Mönchengladbach als nächster Karriereschritt?

Grosse Es ist wichtig für junge Schauspieler, in einem Ensemble Erfahrungen zu sammeln. Das ist ähnlich, aber es geht nicht um solche Summen wie beim Transfer von Fußballern. (lacht)

Das Theater wird zunehmend als vielseitiger Ort wahrgenommen. Der anstehende Kulturmarkt hat ein unglaubliches Programm auf verschiedenen Bühnen.

Grosse Wir wollen die Kulturszene in ihrer Vielfalt präsentieren. Als städtische Tochter ist es auch unsere Aufgabe, für Vernetzung auch der freien Szene zu sorgen. Wir stellen die Räumlichkeiten für den Kulturmarkt zur Verfügung, aber wir sind nur einer von vielen Akteuren.

Wenn Sie das Drehbuch für die Bewerbung von Mönchengladbach zur Fußball-Europameisterschaft 2024 schreiben müssten, wie würden Sie es machen?

Grosse Es gibt den Dreh ja schon. KNIPPERTZ Ja, wir haben tatsächlich auch hier im Theater gedreht. Es beginnt wie ein Amateurvideo, und dann geht der Vorhang überraschend hoch und das Theaterpublikum zeigt, dass Mönchengladbach bereit ist für die EM. Der ganze Film zeigt Mönchengladbach als Stadt, in der das Fußballherz schlägt - mit Liebe und Leidenschaft. Und was die Kritik an der Infrastruktur angeht: Aus dem Münchner Stadion kommt man auch nicht schneller weg als aus unserem.

Ist es noch zu früh, um über das "Theater mit Zukunft III" zu sprechen?

Grosse Es gibt viele Akteure, und keine Form von Hektik führt zum Ziel. Aber es gibt positive Signale. Es ist wichtig, möglichst jeden einzelnen Entscheidungsträger mitzunehmen, ihn ernst zu nehmen und Qualität für Fragen und Antworten zu bieten. Dann gehen wir in eine erfolgreiche Zukunft.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN ANDREAS GRUHN, KARSTEN KELLERMANN, ANGELA RIETDORF UND INGE SCHNETTLER.

(arie)
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