Altkanzler Schröder kritisiert SPD-Chef Schulz "Ich hätte das nicht gemacht"

Zwölf Jahre nach seiner Kanzlerschaft zeigt Gerhard Schröder in der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach, dass er noch immer begeistern kann. Er sprach über Russland, die SPD und Martin Schulz, aber auch die Borussia war Thema.

Gerhard Schröder in Mönchengladbach: Altkanzler im Gespräch mit Dunja Hayali
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Gerhard Schröder im Gespräch mit Dunja Hayali

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Foto: Dieter Weber

Es ist nicht leicht, Gerhard Schröder sprachlos zu machen. Am Ende des Abends gelingt es ZDF-Moderatorin Dunja Hayali. "Was bedeutet Moral für Sie?", fragt sie. Der Bundeskanzler a.D. überlegt eine Sekunde, zwei Sekunden, drei. "Sich anständig zu verhalten. Das habe ich hingekriegt in meinem Leben." Staunen im Saal. "Weitgehend", fügt der 73-Jährige hinzu und grinst. Erleichtertes Lachen des Publikums. Ein echter Schröder. Kernig, direkt, humorvoll.

Von solchen Sprüchen gibt es einige an diesem Abend in der Kaiser-Friedrich-Halle. Der Initiativkreis hat den Sozialdemokraten in seiner Reihe "Pioniere der Welt" eingeladen. Und der Mann, der in seiner Amtszeit mit der Agenda 2010 weitreichende Reformen durchgesetzt und sich gegen die deutsche Beteiligung im Irak-Krieg gestemmt hatte, der enge Kontakte zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt, lockt viele Besucher. Fast 1000 sind gekommen - und werden nicht enttäuscht. Schröder mag polarisieren, langweilig wird es mit ihm nicht.

Vielleicht startet er seine Rede im Borussia-Land auch deshalb mit einem Frontalangriff: Schröder ist Ehrenmitglied von Hannover 96, scherzt in kleiner Runde, dass es ohne die Hannover-Exporte Lars Stindl und Dieter Hecking bei der Borussia nicht so gut laufen würde. Auf der Bühne betont er, dass es ihm nach Hannovers Niederlage bei den Borussen - nach Videobeweis und Elfmeter - nicht leicht gefallen sei, den Termin hier zu halten. "Völlig unberechtigt" sei der Elfmetersieg gewesen. "Lieber Herr Königs, das war nicht in Ordnung", sagt er in Richtung des Borussia-Präsidenten. Der sei übrigens ein "Freund", den er nur noch nicht für die Sozialdemokratie habe gewinnen können.

Schröder und Rolf Königs, Chef der Aunde-Gruppe, kennen sich seit den frühen 1990ern. Schröder war damals niedersächsischer Ministerpräsident und zu Besuch im Isringhausen-Werk in Lemgo, das zur Aunde-Gruppe gehört. Die beiden pragmatischen, selbstbewussten Männer verstanden sich auf Anhieb. Später nahm der Kanzler Königs mit in die Türkei, wo der Gladbacher Unternehmer und Türkei-Experte Schröder feine Krawatten aus eigener Produktion schenkte.

Europa steht im Zentrum von Schröders Rede. Die Rolle der USA und von China, die Notwendigkeit einer entspannten Kooperation mit Russland und der Türkei. Richtig gut wird Schröder im Gespräch mit Hayali, die charmant-hartnäckig nachhakt - zu Kanzlerkandidat Schulz, Ukraine und eben Moral. SPD-Chef Schulz kriegt sein Fett weg. Die rasche Absage einer großen Koalition nach der Bundestagswahl hätte "man anders lösen können", so Schröder. Der Saal spürt, dass Schröder mit Schulz hadert.

Dass der SPD-Chef einem "Spiegel"-Reporter für eine Nahaufnahme über Monate Zugang zu seinem engsten Team, seinen Gedanken, gab, versteht Schröder nicht. "Ich hätte das nicht gemacht." Wie man sich in einer bestimmten Stresssituation verhält, das geht euch gar nichts an", sagte er mit Blick auf die Journalistin Hayali. Die SPD forderte der Ex-Kanzler zu einer programmatischen Erneuerung auf, die sich nicht nur auf soziale Gerechtigkeit beziehen dürfe. "Sozialdemokratie heißt gerechtes Verteilen, aber auch ökonomische Kompetenz."

Seine umstrittene Nähe zu Russlands Präsident Putin und sein Engagement im Aufsichtsrat des Kreml-treuen Ölgiganten Rosneft verteidigte Schröder in Gladbach vehement. Der Job sei eine "große Herausforderung, die ich gerne annehme". Deutschland müsse Russland integrieren, nicht isolieren. Die Basis einer jeden Entspannungspolitik - Schröder erinnert an die Brandtsche Ostpolitik der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts - sei der wirtschaftliche Austausch. Das Publikum goutiert die Ausführungen mit Applaus.

Erich Bröker, Chef der Jagenberg AG und Schirmherr des Abends, lobt Schröders Mut und Weitsicht bei der Agenda 2010 und überreicht ihm als Geschenk ein Hemd von Van Laack. Statt eines Honorars verlangt der Ex-Kanzler eine Spende für ein Kirchenfenster der Marktkirche von Hannover - vom Künstler Markus Lüpertz. Der war übrigens auch schon als Pionier in der KFH und lebt inzwischen in Rheydt.

Was auffällt: Einer ist an diesem Abend nicht dabei - Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners. Der Rathaus-Chef ist einige hundert Meter entfernt in der Stadtsparkasse bei den Mönchengladbacher Schulgesprächen. "Da geht es um Digitalisierung an Schulen", sagt er. "Das ist wichtiger für die Stadt."

Für Schröder geht es noch am Abend zurück nach Hannover. "Ich muss morgen früh mit Dirk Rossmann (Gründer der Drogeriemarktkette "Rossmann", Anm. d. Redaktion) Tennis spielen. Das wird in meinem Alter auch nicht leichter."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Dirk Rossmann sei der Gründer von dm. Das ist nicht korrekt, Rossmann ist der Gründer der gleichnamigen Drogeriemarktkette. Wir haben den Text korrigiert.

(brö)
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