Prof. Dr. Hans-Hennig Von Grünberg "Gladbach umarmt die Hochschule"

Mönchengladbach · Der Präsident spricht über die wachsende Zahl der Studierenden, die Wichtigkeit von Mathematik und den Kontakt zu den Alumni.

Herr von Grünberg, die Hochschule wächst und wächst. Aktuell zählt sie etwa 14.000 Studenten. Gibt es eine kritische Größe?

von Grünberg 14.400 sogar. Mittlerweile starten bundesweit 58 Prozent eines Jahrgangs ein Studium - mehr sollten es meiner Meinung nach nicht werden. Als ich als Präsident angefangen habe, waren es noch 42 Prozent. Die Hochschule ist in dieser Zeit von 10.800 auf 14.400 gewachsen. Auch wir wollen und werden nicht mehr viel größer werden.

Warum ist die Nachfrage so groß?

von Grünberg Wir haben ein attraktives Studienangebot und ein riesiges Einzugsgebiet. Außerdem ist unser Hochschultyp sehr nachgefragt - vor allem wegen der Kombination von angewandter Forschung und dem Wissenstransfer mit einer zeitgemäßen Lehre. Wer bei uns studiert, kommt gut auf dem Arbeitsmarkt unter. So etwas spricht sich rum.

Die Bilder der Erstsemester aus dem Königspalast waren schon beeindruckend.

von Grünberg Die Bilder haben wir nur gemacht, um Sie zu beeindrucken. Spaß beiseite: Die Hochschule nutzt solche Gelegenheiten, um auch sich selbst einmal vor Augen zu führen, wie groß sie eigentlich ist.

Kann man sich denn noch um die einzelnen Studenten kümmern?

von Grünberg Natürlich passiert es, dass auch bei uns einmal Studenten verlorengehen. Aber wir haben ein bundesweit vorbildliches Tutorenprogramm. Im vergangenen Jahr gab es über 700 angebotene Tutoren, die von über 11.000 Teilnehmern besucht wurden. Grundsätzlich versuchen wir trotz unserer Größe ein gutes Betreuungsverhältnis und ein sehr persönliches Verhältnis zwischen Professoren und Studierenden sicherzustellen.

Was halten Sie von der Idee, dass jeder studieren muss?

von Grünberg Nichts. Ein abgeschlossenes Hochschulstudium führt hin auf eine Tätigkeit mit Fach- und Führungsfunktion. Es ist klar, dass dort nicht jeder hingelangen kann. Unser Angebot an die jungen Menschen ist: Hier bei uns könnt ihr anwendungsnah studieren. Das vereinfacht später die Jobsuche enorm. Auf der anderen Seite wächst auch die Zahl jener, die ihr Studium nach einem Jahr hinwerfen.

Wo ist die Abbrecher-Quote denn am höchsten?

von Grünberg In den ingenieurwissenschaftlichen Fächern.

Und wo ist sie am geringsten?

Von Grünberg In den dualen Studiengängen, weil die Studierenden dort vorher einen Ausbildungsvertrag schließen mit einem Arbeitgeber, der für das Studium bezahlt, sie aussucht und dann auch durch das Studium begleitet.

Müsste man Studienanfänger besser vorbereiten?

Von Grünberg Ja, in Mathematik. In diesem Fach haben wir bereits ein breit angelegtes Vorbereitungssystem aufgebaut, das mit entsprechenden Anpassungskursen die mathematischen Vorkenntnisse auf Hochschulniveau bringt. Mathe braucht man bei uns in beinahe jedem Studiengang. Und das Fach hat nicht viel mit Begabung zu tun. Das kann man lernen.

Sie haben fünf Kinder. Haben Sie bei ihnen auch so viel Wert auf Mathe gelegt?

Von Grünberg Ja, sehr. Meiner Tochter habe ich den Mathe-Leistungskurs nahegelegt.

Sie haben sie gezwungen?

Von Grünberg Aber nein, ich habe es ihr wirklich nur nahegelegt. Nachdem sie dann die erste Vier nach Hause brachte, gab es natürlich Ärger. Heute aber studiert sie Volkswirtschaft und ist froh über ihre damalige Entscheidung.

Haben die FAUST-Studenten überhaupt noch Platz an der Hochschule?

von Grünberg Das FAUST-Angebot ist eine schöne Sache, die wir aber eher nebenbei betreiben. Damit wollen wir die Stadtgemeinschaft bespielen und merken dabei immer wieder, wie beliebt FAUST ist. Vergangene Woche ist unsere Ringveranstaltung zum Thema Flüchtlinge gestartet. Fast 250 Besucher waren da, darunter auch viele ältere Zuhörer.

Es ist aber nicht so, dass Studenten auf der Treppe sitzen müssen oder Pflichtveranstaltungen nicht belegen können, weil sie durch FAUST-Studenten besetzt sind.

von Grünberg Nein. Unsere Raumsituation ist relativ entspannt. Wir haben in Mönchengladbach und Krefeld neu gebaut, in ein paar Wochen eröffnet das NEW-Blauhaus. Außerdem haben wir die Professoren von 218 im Jahr 2010 auf derzeit rund 255 aufgestockt.

Sind die Fachhochschulen ein gelungenes Beispiel für Akademisierung von Migrantenkindern? Und was bedeutet das für die Flüchtlingswelle?

von Grünberg Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind meines Erachtens der Schmelztiegel der Nation, sie bieten Kindern aus Nicht-Akademiker-Haushalten den Einstieg in die akademische Welt. Dazu gehören natürlich auch Migranten. Daher: Ja, wir werden auch in der Flüchtlingsfrage eine Rolle spielen. Sicher nicht kurzfristig und wahrscheinlich erst dann, wenn hier Normalität eingekehrt ist, also eine Begrenzung des Zustroms eingetreten ist und die Politik dauerhafte Regelungen gefunden hat.

Wie sehr profitieren Sie davon, Vorreiter beim dualen Studium gewesen zu sein?

von Grünberg Das duale Studium hilft uns sehr. Es öffnet Türen zu den Unternehmen vor Ort, das ist uns als kooperative Hochschule der Region besonders wichtig. Aber wir dürfen nicht auf unseren alten Lorbeeren sitzenbleiben. Wir müssen auch beim dualen Studium flexibler werden und über Zwischenformen nachdenken. Am Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik startet jetzt das Trainee-Studium, bei dem die Studierenden parallel im Unternehmen Praktika absolvieren, aber eben keine Ausbildung mehr. Das ist ein Modell, das sich viele Unternehmen wünschen, weil es flexibler ist.

Gibt es viele Studenten, die schon arbeiten?

von Grünberg Studieren mit Blick auf den Beruf - das macht die Hochschule Niederrhein aus. Und das schließt Praktika, Praxissemester, Mitarbeit an Studien- und Forschungsprojekten oder auch die Abschlussarbeit ein, die häufig in einem Unternehmen geschrieben wird.

Wie sehr wollen Sie Dienstleister für die Wirtschaft sein - (und gibt es Sollbruchstellen, wo Sie dann mehr Dienstleister der Studenten sein wollen und müssen?)

von Grünberg Zuallererst kommt immer der Studierende. Dafür bekommen wir unsere Steuergelder. Für die Umsetzung unseres Bildungsauftrags, Menschen mit Hilfe der angewandten Wissenschaften akademisch auszubilden und gleichzeitig auf ein Berufsleben vorzubereiten, brauchen wir unsere Partner aus der Wirtschaft.

Was bezweckt die von Ihnen initiierte Hochschulallianz für den Mittelstand, der Sie seit einem Jahr vorstehen?

von Grünberg Hochschulen für angewandte Wissenschaften leisten in ihrer Region enorm viel. Sie ziehen junge Menschen in die Region, leisten Wissenstransfer in die regionale Wirtschaft und helfen diesen dabei, Menschen zu binden und gleichzeitig innovativ zu bleiben. In der Region ist das auch unstrittig und bekannt. Aber in Berlin ist das weniger bekannt. Bundespolitiker, Verbände aber auch die überregionale Presse - sie alle denken beim Thema Bildung in erster Linie an Universitäten. Dabei sind es die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die den Arbeitsmarkt wirklich im Blick haben. Der Anwendungsbezug von Wissenschaft in Lehre und Forschung muss viel stärker gefördert werden. Dort liegt die Zukunft unserer Bildungsrepublik.

Ihre Absolventen müssen wenige Bewerbungen schreiben - richtig?

von Grünberg Richtig! In den technischen Fächern dauert es im Schnitt nur einen Monat, bis unsere Absolventen Arbeit gefunden haben.

Steht die Hochschule denn noch in Kontakt mit ihren Absolventen? Wie gut klappt der Alumni-Gedanke?

von Grünberg: Mein großer Traum ist es, dass sich nicht nur die Region und die Unternehmen mit der Hochschule identifizieren. Sondern eben auch die Alumni. Im Idealfall bleiben sie ihrer Alma Mater ihr Leben lang verbunden. Erst neulich haben wir 7500 Absolventen angeschrieben, fast die Hälfte hat geantwortet. Das hat uns sehr gefreut.

Ist das Gelände des alten Polizeipräsidiums für die Hochschule eigentlich attraktiv oder eher nicht?

von Grünberg: Wir wollen und dürfen mitreden. Das gefällt uns. Ich persönlich wünsche mir, dass dort eine Art "Science Campus" entsteht mit hochschulaffinen Unternehmen und jungen Existenzgründern, die es vorziehen, statt in ein Gewerbegebiet neben die Hochschule zu ziehen. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, glaube ich fest daran, dass wir das schaffen können. Zum Glück weiß auch die Stadt, dass die Fläche sagenhaft interessant ist.

Herr von Grünberg, Sie als Zugezogener, was glauben Sie, wie die Gladbacher die Hochschule Niederrhein sehen?

Von Grünberg: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Gladbach die Hochschule umarmt. Und wir genießen das. Die Hochschule steht ein Stück weit im Mittelpunkt, auch weil sie die Klammer zwischen Gladbach und Rheydt bildet.

Wird der Krefelder Standort auch so umarmt?

von Grünberg: Dort spielen wir aufgrund unserer Lage eine ganz andere Rolle. Eigentlich fällt mir der Vergleich daher immer schwer. In Gladbach gefällt mir die Mentalität aber besonders gut.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND NICOLE SCHARFETTER.

(RP)
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