Gottes Schwerstarbeiter

Mönchengladbach · Es ist die ständige, die immer wiederkehrende Suche. Die nach dem Zauberwort, dem passenden Beispiel, der ausdrucksstarken Geste, die zur Inszenierung werden kann. Wenn der Rheydter Pfarrer Klaus Hurtz (61) viele Wochen vor dem Weihnachtsfest Exerzitien in Matrei am Brenner macht, dann kreisen die Gedanken um die Zeit, die für alle Pfarrer wichtig ist: Heiligabend, die beiden Weihnachtstage.

Dann sind die Kirchen voll, und jeder Gläubige wartet auf sein ganz persönliches Präsent: Denn wenn sich die Seelen öffnen, muss der Pfarrer den Zugang freilegen. "Da ist das Zauberwort wichtig, das die Herzen der Menschen aufschließt", sagt Hurtz. Es ist mehr als ein Simsalabim vom Himmel - es ist die Sehnsucht, die konkret werden soll.

Und das ist Schwerstarbeit. Denn jeder Gottesdienst, jede Messe ist anders. Vor allem Heiligabend. Auch das Publikum wechselt gleich mehrfach. Da sind Krippenfeier, Kinderchristmette und die frühe Christmette, wenn viele, meist auch kleine Mädchen und Jungen, Familien mit Omas, Opas, Tanten und Onkel dem Wort des Pfarrers lauschen. Wie spricht er sie an, wie inszeniert er die Messe, wie transportiert er die frohe Botschaft von der Geburt Christi? "Das ist etwas fürs Herz", sagt Hurtz. Da schlägt die Stunde des Organisten, mit dem er das Programm intensiv bespricht. Hurtz: "Die Leute wollen singen, singen! Und es soll getragen sein."

Bei der späten Christmette wiederum spielt "der meditative Charakter" eine große Rolle, die Fokussierung auf das Geheimnis des Weihnachtsfestes. Da hat Hurtz auch schon einmal Bezug auf das Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern genommen, hat Streichhölzer in einer abgedunkelten Kirche abgebrannt und sie während des Verglimmens auf den Boden fallen lassen. Der Pfarrer am Regiepult, ein Entertainer in Gottes Auftrag? Danach, und diese Christmette dauert fast zwei Stunden, hetzt Hurtz zum Rheydter Marktplatz, "denn beim Offenen Singen will ich natürlich dabei sein". Nach sieben Terminen alleine an Heiligabend mit Beichte und Messdiener-Probe "bin ich körperlich k. o.".

In der Nacht auf den ersten Weihnachtstag heißt es da vor allem: zur Ruhe kommen, abschalten, sich auf die neue große Herausforderung innerlich vorbereiten. Denn die Heiligen Messen sind, so würden es Veranstaltungsmanager heute formulieren, die Top-Events. Dabei geht es nicht um das Schneller, Höher, Weiter, sondern um das Wort, das die Gläubigen in Spannung hält, auch wenn sie Gottes Menschwerdung eigentlich kennen müssten. Bei diesem hohen Fest des Glaubens geht es um jede Nuance, jede Geste, jeden mimischen Ausdruck. "Ich lese dann nie eine Predigt ab. Ich blicke die Menschen an, ich rede sie direkt an, wenn ich vom Wunder aller Wunder erzähle. Und ich hoffe, dass sie ihre Herzen öffnen", sagt Hurtz.

Danach "bin ich fertig, komme vor Müdigkeit zu Hause kaum die Treppen hoch". Körperlich und seelisch ist Hurtz dann so erschöpft, dass er sein Wunder sucht und meist auch findet: das des tiefen Schlafs. Am nächsten Tag, am zweiten Weihnachtstag, ist alles entspannter: Die Predigt ist bescheidener, es ist aber auch neuer Schwung da. Der reicht dann locker für weitere drei Messen. Und zwischendurch in den Pausen, "da fängt auch mein Weihnachten an. Da sitze ich vor meinem Weihnachtsbaum, genieße das Fest und die Ruhe". Und dabei dankt er innerlich zum wiederholten Mal seinem Priesterkollegen Manfred Rietdorf, "der mir so viel abnimmt".

Ganz so dicht gedrängt ist die Terminlage beim Hardter Pfarrer Burkhard M. Kuban nicht. Der Protestant hat andere Herausforderungen zu bewältigen. Vor allem eine: Wie schafft er es am 1. Weihnachtstag trotz aller dienstlichen Verpflichtungen noch rechtzeitig zum Geburtstagsbrunch seiner Tochter Friederike zu kommen. "Alleine schon durch die Geburt unserer Tochter vor 19 Jahren ist Weihnachten für uns ein ganz besonderes Fest", sagt Kuban. Er hat drei Kinder, seine Frau Susanne Schneiders-Kuban ist Pfarrerin. "Sie hat mir oft das Krippenspiel abgenommen. Aber das geht in diesem Jahr nicht", sagt er. Dafür ist der jüngste Sohn engagiert, er ist in der musikalischen Gestaltung eingebunden.

Vor allem Kubans Auftakt in seinem Weihnachts-Terminkalender hat es in sich: Heiligabend hält er den ersten von drei Gottesdiensten an diesem Tag im Herzpark - gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Hartmut Schmidt. "Diese Menschen", weiß Kuban, "haben wegen ihrer Herzprobleme Todesangst erlebt. Sie wissen, wie nah sie am Tod waren. Und wenn sie dann noch über Weihnachten im Krankenhaus sein müssen, dann muss man Licht ins Dunkel bringen, ihnen helfen, sich aus dem Gefühlschaos zu befreien." Die Worte müssen geschickt gewählt sein. "Wenn ich sagen würde, ,Freuet Euch, das ist der schönste Tag', würden sie denken: Der Pfarrer ist bekloppt."

Später, beim Familiengottesdienst und bei der Christvesper, sind ihm die Gebete wichtig, die von der Botschaft künden, dass Christus das Licht der Welt und der Retter ist. Kuban lässt es offen, ob er auf aktuelle Geschehnisse eingehen oder ob er mit Worten aufrütteln will. "Ich will den Gemeindegliedern sagen, dass sie sich nicht kirre machen sollen. Das wird meine Intention sein", sagt er. Kuban muss danach selbst kräftig anpacken und mit dem Küster die Kirche umbauen.

Der erste Weihnachtstag ist ein Spagat - zwischen Gesprächsgottesdienst in kleiner Runde und dem Geburtstag von Friederike. Im Gottesdienst ist er als Theologe gefordert, der das Abendmahl in Weiß zelebriert. Anschließend als Vater. Es bleibt auch mehr Zeit, selbst Weihnachten zu feiern. Denn am zweiten Weihnachtstag ist Kuban als Pfarrer für alle Krankenhäuser in der Stadt zuständig. Diese Einsätze sind nicht kalkulierbar. Aber: Auch Weihnachten wird gestorben. Und gerade Weihnachten schwappen Gefühle schnell über. Vor allem bei Kranken.

(RP)
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