Redaktionsgespräch Ulrich Clancett Gute Tradition, mit Zuwanderung umzugehen

Mönchengladbach · Der Regionaldekan spricht über den Tod von Eddi Erlemann, St. Martin als Held der Volkssolidarität und Bewegungen wie Pegida.

 Zu Besuch in der RP-Redaktion: Regionaldekan Ulrich Clancett glaubt an die Kraft des "liberalen, niederrheinischen Christentums", wenn es um die Bedrohung durch fremdenfeindliche Bewegungen geht.

Zu Besuch in der RP-Redaktion: Regionaldekan Ulrich Clancett glaubt an die Kraft des "liberalen, niederrheinischen Christentums", wenn es um die Bedrohung durch fremdenfeindliche Bewegungen geht.

Foto: Isabella Raupold

Herr Clancett, mit Eddi Erlemann ist ein katholischer Priester gestorben, der weit über Gemeinde-, Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg wirkte, geliebt und geachtet wurde. Die RP-Leser haben ihn zu Gladbachs Bestem gewählt. Wie erinnern Sie sich an ihn?

Clancett Ich erinnere mich, als ich als Kind Messdiener war, wurde eine Messe mit mehreren Zelebranten gefeiert. Einer davon war der Propst des Gladbacher Münsters. Das war für mich ein sehr eindrucksvoller Titel und kam so ungefähr gleich nach dem Papst. Und dann kam Eddi Erlemann in seiner wenig pompösen, überaus menschlichen und freundlichen Art! Was Papst Franziskus heute in Rom ist, war Eddi Erlemann vor 20 Jahren schon in Gladbach. Er hatte immer ein freundliches Wort für alle, war absolut authentisch. Für ihn stand immer der Mensch im Mittelpunkt, deshalb wirkte er so stark auf andere. Und er hatte eine ungeheure Selbstdisziplin, bis zuletzt hat er getauft, getraut und beerdigt, weil sich so viele an ihn gewandt haben.

Wir sind mitten in der Zeit der St. Martinsumzüge und -feiern. In Düsseldorf haben Kindertagesstätten das Martinsfest in Laternenfest umbenannt, mit der Begründung, das geschehe aus Rücksicht auf andere Religionen. Wie sehen Sie das? Muss man um St. Martin kämpfen?

Clancett Ja, ich denke schon. Man muss darum kämpfen, indem man sich seine eigene Identität und Herkunft bewusst macht. Wir leben in einer Zeit der Entgrenzung, in der Regeln der Beliebigkeit anheimgestellt werden. Alles verschwimmt und Symbole verschwinden. Dabei brauchen wir heute mehr denn je Orientierung und Rückhalt. St. Martin kann uns das geben. Er teilt seinen Mantel, er gibt als Soldat sogar Staatseigentum weg, so ähnlich, als würde heute ein Soldat seine kugelsichere Weste teilen. Er ist ein gutes Beispiel. Man kann an ihm vieles aufzeigen. Zum Beispiel anhand der Frage: Was brauche ich wirklich - den ganzen Mantel oder vielleicht nur die Hälfte?

Also sollte es keinen Verzicht auf St. Martin im Namen der Integration geben?

Clancett Nein, Muslime stehen meist fassungslos da und fragen, was das soll. Es ist ein wunderbares Fest und eine gute Tradition. Es ist noch nicht einmal in der DDR gelungen, das Martinsfest abzuschaffen. In Erfurt gab und gibt es große St. Martinsumzüge. Zu DDR-Zeiten ritt auch ein Reiter voran, der wurde nur nicht St. Martin, sondern Held der Volkssolidarität genannt. Noch einmal: Wir sollten uns nicht dieser Symbole begeben. Weltanschauliche Neutralität des Staates heißt nicht, die Weltanschauung abzuschaffen.

Was halten Sie denn von Pegida und ihren Ablegern, die für sich in Anspruch nehmen, das christliche Abendland zu retten?

Clancett Es ist schon interessant: In Dresden rettet Pegida das Christentum in einer Stadt ohne Christen und praktisch ohne Ausländer. Sie demonstrieren für etwas, das sie nicht haben und gegen etwas, das nicht da ist. Um Deutschland vor der Islamisierung zu retten, kann ich nur mit Frau Käsmann sagen, mit der ich sonst nicht immer übereinstimme: Besuchen Sie doch einfach Ihre eigene Kirche. Die beste Versicherung für ein christliches Abendland ist praktiziertes Christentum.

Glauben Sie, dass sich eine Bewegung wie Pegida auch in Mönchengladbach ausbreiten kann? Gerade erst gab es eine Demonstration unter dem Motto "Merkel muss weg".

Clancett Einerseits muss man aufpassen, denn es gibt sicher wie überall ein Potenzial in dieser Stadt, dessen Aggressionsbereitschaft hoch ist. Aber ich glaube dennoch nicht, dass das in Mönchengladbach greift. Rheinländer haben eine gute Tradition, mit Zuwanderung umzugehen. Die Ablehnung des Fremden ist nicht gesellschaftlich prägend, hier wird traditionell ein liberales niederrheinisches Christentum gelebt. Mit dem Bündnis für Menschenwürde gibt es auch eine Organisation, die gegenhalten kann, wie die Gegendemo gezeigt hat.

Empfinden Sie muslimische Fundamentalisten wie die Salafisten nicht als Bedrohung?

Clancett Das sind Extremisten, die wir aber auch bei Christen finden. Ich war vor kurzem in Jordanien und habe dort einen so toleranten, weltoffenen und freundlichen Islam vorgefunden, wie ich ihn mir überall wünschen würde. Die koptische Kirche stand neben der Moschee, alles war sehr befriedet.

Was tut die katholische Kirche, um die Menschen anzusprechen? Der Personalmangel trägt heute ja eher dazu bei, Menschen vor den Kopf zu stoßen, etwa wenn der Pfarrer zu spät kommt, weil er noch eine andere Messe lesen musste.

Clancett Eins ist klar: Wenn das Personal wegbricht, muss man sich konzentrieren und das Programm beschneiden. Das ist schmerzlich, aber es kann dann nicht in jeder Kirche jeder Gottesdienst gefeiert werden. Aber genauso wichtig ist es, dass jedem bewusst ist: Die Kirche besteht nicht nur aus den Pfarrern. Jeder ist ein Stück der Kirche. Eltern, die mit ihren Kindern in die Kirche gehen oder Lehrer, die die Religion vermitteln, sind genauso wichtig wie die Pfarrer.

Stört es Sie, dass zu Weihnachten die Kirchen plötzlich voll mit Leuten sind, die sich sonst nie blicken lassen?

Clancett Nein, ich freue mich über jeden. Warum sollte ich Leute dafür beschimpfen, dass sie zur Kirche kommen? Ich empfinde das als Ansporn. Es ist eine Möglichkeit, die Menschen zu erreichen.

RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH MIT DEM REGIONALDEKAN ULRICH CLANCETT

(arie)
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