Serie Denkanstoss Herr, entwaffne sie - und entwaffne uns!

Mönchengladbach · Nein, nicht schon wieder... Mein erster Gedanke am Dienstagmorgen bei den Meldungen aus Brüssel. Sie haben es wieder getan. - "Und sie werden es wieder und wieder und wieder tun, auch bei uns, und die Frage ist nicht ob, sondern nur wann und wo genau..."

Ein Terrorismusexperte, der auf dem Bildschirm eines Nachrichtensenders erscheint, denkt meine Gedanken weiter. Das macht mir Angst. Was bringt Menschen dazu, solche Anschläge zu begehen, sie sogar mit dem eigenen Leben zu bezahlen? Was können wir tun, um diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen?

Der Gedanke eines alten Studienfreundes aus Bonner Zeiten lässt mich abends aufhorchen, zuerst sehr nachdenklich und dann regelrecht wütend werden: Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF und äußerst besonnener Terrorismusexperte seiner Sendeanstalt, nennt das Hauptproblem des Gesamtkomplexes schonungslos beim Namen: "Es sind die Waffenströme, die wir nicht in den Griff bekommen. Sie machen es so schwierig, die immer neuen Gewaltausbrüche zu verhindern..."

Warum das so ist? - Den logisch folgenden Gedanken spricht er nicht aus, aber jeder, der aufmerksam zuhört, kann ihn für sich selbst folgern: Weil wir uns daran schwindelig verdienen. Weil in unserem Land abertausende Familien von diesem schmutzigen Geschäft (und jedes Waffengeschäft ist in diesem Sinne für mich ein schmutziges) leben.

Weil wir in Europa, und speziell in Deutschland, immer dann dem Frieden das Wort reden, wenn die Fernsehkameras nach Ereignissen wie denen von Brüssel auf ach so betroffene Politiker-Gesichter gerichtet sind, letztendlich aber fleißig weiter an unseren Waffenexporten verdienen, die, das muss man wohl erst einmal so hinnehmen (aber genauso gut auch wahrhaben!), ein Baustein für unseren Wohlstand sind.

Natürlich bin ich nicht so blauäugig, nicht auch einen wichtigen Mechanismus dahinter zu erkennen: Wenn wir nämlich den Krisenregionen nicht unsere Waffen, unsere Munition, unseren Sprengstoff liefern - dann tun es ganz schnell andere. Wie kann das also gelingen - den Waffenströmen Herr zu werden? Nach den Anschlägen von Paris im vergangenen November hat ein Dominikanerbruder aus Lille ein Gebet in diesem Sinne verfasst. Es nimmt Waffen aller Art in den Blick - eiserne wie verbale.

HERR, ENTWAFFNE SIE - UND ENTWAFFNE UNS

Entwaffne sie. Wir wissen, dass diese extreme Gewalt das tägliche Brot im Irak, in Syrien, Palästina, Zentralafrika, Sudan, Eritrea und Afghanistan ist. Heute hat sie sich unser bemächtigt.

Entwaffne sie, Herr. Lass in ihrer Mitte Propheten aufstehen, die ihre Abscheu und ihre Scham herausschreien darüber, wie sehr das Bild des Menschen, das Bild Gottes entstellt worden sind.

Entwaffne sie, Herr. Gib uns alle nötigen Mittel, um Unschuldige entschlossen zu beschützen. Aber ohne Hass.

Entwaffne auch uns, o Herr: In Frankreich, im Westen... hat uns doch die Geschichte einiges gelehrt... Lass uns nicht in Verzweiflung versinken, auch wenn wir bestürzt darüber sind, wie weit sich das Böse in dieser Welt verbreitet hat.

Entwaffne uns und gib, dass wir uns nicht hinter verschlossenen Türen, betäubten Erinnerungen und Privilegien, die wir mit niemandem teilen wollen, verschanzen.

Entwaffne uns, damit wir deinem Sohn ähnlich werden. Nur seine Logik ist wirklich auf der Höhe dessen, was uns widerfahren ist: "Nicht sie nehmen mir das Leben, sondern ich bin es, der es dahingibt." Dominique Motte

Dieser Denkanstoß begleitet Sie in die Kar- und Ostertage. Christen denken in diesen Tagen daran, dass ein Unschuldiger am Kreuz starb. Unbewaffnet, nackt. Wenn das nicht ein Anstoß ist, über unsere Verlogenheit und Doppelzüngigkeit nachzudenken. Wir machen uns mit jeder Waffe, die wir irgendwohin liefern, zum Opfer - denn irgendwann wird sich diese Waffe gegen uns richten. Und dann suhlen wir uns in unserer Opferrolle. Sind betroffen und reden vom Frieden. Ich hoffe, dass wir dann kein Mitleid ernten, sondern die harte Wahrheit zur Kenntnis nehmen: Der Mann am Kreuz hat deshalb gesiegt, weil er unbewaffnet den Weg der Liebe ging. Dieser Weg führte ihn in das Licht der Auferstehung. Das und nichts anderes feiern wir am Sonntag - keine bunten Blümchen, keine gefärbten Eier und keine Schokoladenhasen, sondern den Sieg der unbewaffneten Liebe gegen alle Waffenströme dieser Welt.

ULRICH CLANCETT IST REGIONALDEKAN

(RP)
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