Mensch Gladbach Heute regen wir uns mal alle so richtig auf

Mönchengladbach · Was für ein Flirren und Surren, Grummeln und Brummen! Im Vergleich zur Aufgeregtheit in unserer Stadt ist ein handelsüblicher Kindergeburtstag die reinste Schweige-Meditation. Diese Woche ließ sich die Stadt erregen durch magere Fohlen, mächtige Bäume, dicke Luft und dünne Besetzung in den Kitas. Also: Baldrian-Tropfen raus - und los!

Diese Woche war der Mann als Redner zu Gast in Gladbach, dessen Ruf der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einst mit der verächtlichen Zuschreibung "der Professor aus Heidelberg" zu ruinieren versuchte: Paul Kirchhof. Er hatte eine spannende These im Gepäck, die ungefähr so geht: Materielle und ideelle Sicherheit hat dem deutschen Bürgertum einen Mangel an existenziellen Sorgen beschert, der schwer zu ertragen ist. Wer keine Sorgen kennt, erlebt Glück ohne Glanz und wird entsprechend übellaunig. Also suchen sich immer mehr Bürger in unserem Land Themen, um sich aufregen zu können. Mit dem Internet hat die Gesellschaft einen Treiber gefunden, der hilft, sich Tag und Nacht in einen Zustand permanenter Aufregung zu versetzen.

Ich finde das schlüssig. So viel und so erbittert und unversöhnlich demonstriert wie heute wurde in meinem Empfinden noch in keinem anderen Jahrzehnt der bundesrepublikanischen Geschichte. Ich habe daraufhin mal diese Woche gescannt und bin auf folgende Themen gestoßen, die in Mönchengladbach für Aufregung unterschiedlichster Art gesorgt haben: Polizei jagt ausgebüxte, unterernährte Fohlen. Ein aufregungstechnisches fantastisches Thema! Darüber konnten sich Polizei-Kritiker mokieren: "Bullen sind zu blöd, Pferde zu fangen." Und die Tierschützer: "Wie kann man denn Fluchttiere, wie Pferde es sind, jagen?" Die Polizisten selbst: "Kein Mensch macht sich Gedanken, wie gefährlich das im Verkehr ist."

Nächstes Thema: Die Kitas streiken seit Wochen, und die Haushaltspolitiker überlegen gleichzeitig, ob man die Gebühren erhöhen müsste. Großer Ärger bei den Helikopter-Eltern: "Macht sich mal ein Mensch Gedanken darüber, wie ich Leonie-Sophia jetzt noch pünktlich in die Chinesisch-Stunde bekomme?" Bei den Gewerkschafts-Verstehern: "Der härteste und wichtigste Beruf der Welt wird am schlechtesten bezahlt. Wir holen da mehr raus als der Weselsky für seine blöden Lokführer." Bei dem bisschen Mittelschicht, was verblieben ist: "Mir doch egal, wenn Menschen, die mehr als 85 000 Euro im Jahr verdienen, mehr zahlen müssen." Bei den Omas und Opas: "Wir kommen gar nicht mehr zum Mountainbike-Fahren."

Außerdem liegen noch gefällte Bäume auf dem Radweg an der Kaldenkirchener Straße, und zwar seit Monaten und noch für ein paar weitere. Das erregt Radfahrer, diejenigen, die Verwaltungen für von Hause aus minderbegabt halten, und diejenigen, die Baum- und Tierschutz überflüssig finden. An der Aachener Straße ist immer noch schlechte Luft, weil das Lastwagen-Verbot nicht gescheit kontrolliert wird - weswegen wir Polizei, Stadt, vielleicht aber auch die EU, die sich ständig neue Verbote ausdenkt, schelten können. Steigt die kleine Borussia morgen in die 3. Liga auf, haben wir noch mehr Randalierer und Chaoten in der Stadt. Eigentlich müsste der Blatter wenigstens dafür zurücktreten.

Falls jemand die Handynummer von Herrn Kirchhof hat: Ich biete an, mit ihm gemeinsam in eine Asylbewerberunterkunft zu gehen, damit wir den Menschen, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, mal in aller Ruhe erklären, worüber wir Gladbacher uns in der letzten Woche so richtig aufgeregt haben.

(RP)
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