Redaktionsgespräch Dörte Schall Und Reinhold Steins Hohe Fluktuation bei den Sozialarbeitern

Mönchengladbach · Sozialdezernentin und Jugendamtsleiter über Spielplätze, die Mangelberufe Erzieherin und Sozialarbeiter und den Bedarf an Kita-Plätzen.

 Das Redaktionsgespräch mit dem neuen/alten Jugendamtsleiter Reinhold Steins und der Sozialdezernentin Dörte Schall wurde in der Kindertagesstätte Stadtoase in Rheydt geführt.

Das Redaktionsgespräch mit dem neuen/alten Jugendamtsleiter Reinhold Steins und der Sozialdezernentin Dörte Schall wurde in der Kindertagesstätte Stadtoase in Rheydt geführt.

Foto: Jörg Knappe

Herr Steins, Sie sind wieder zurück im Amt. Welchen Urlaub haben Sie abgesagt für Ihre Rückkehr? War es schwer, Sie zu überreden?

Steins Es hat schon einiges an Überredung gekostet. (lacht) Schließlich gab es eine schöne Verabschiedung und der Schritt in die neue Freiheit war getan. Aber ich habe ja ein großes Interesse an der Sache, und deshalb übernehme ich noch einmal für eine bestimmte Zeit. Meine Urlaubsplanung für den Sommer bleibt aber bestehen.

Wie kam es überhaupt zu der Notwendigkeit, Herrn Steins zurückzuholen?

Schall Das Jugendamt ist mit rund 1000 Beschäftigten das größte Amt der Stadt. Ein Drittel aller städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet hier. Ein solches Amt kann nicht jeder leiten, und es darf auch nicht ohne Kopf bleiben. Es war die schnellste Lösung, Herrn Steins zurückzuholen. Das Problem besteht im Augenblick darin, dass sehr viele Großstädte in Nordrhein-Westfalen gerade Leiter für ihre Jugendämter suchen. Es herrscht Fachkräftemangel. Deshalb ist der Einsatz von Headhuntern eine sinnvolle Idee.

In den kommenden Jahren sollen 90 Spielplätze abgebaut werden. Andererseits will Mönchengladbach wachsende Stadt sein und auch Familien anziehen. Wie passt das zusammen?

Steins Die 90 Spielplätze sind eine rechnerische Größe. Von den ursprünglich 270 Spielplätzen sollte ein Drittel aufgegeben werden, damit die restlichen Spielplätze bei unverändertem Budget gut unterhalten werden können. Wir sprechen jetzt erst einmal von 29 Spielplätzen, das sind Spielplätze, die nicht mehr genutzt werden. Weitere Plätze werden sukzessive benannt.

Schall Der Spielplatz Pestalozzistraße ist ein gutes Beispiel. Da wächst Gras im Sandkasten, er wird nicht mehr bespielt. Deshalb wird er als öffentlicher Spielplatz entwidmet. Das Gelände wird dem Jugendheim P12 zugeschlagen, es bleibt aber nutzbar. Eltern und Kinder müssen allerdings das Jugendheim durchqueren. Mit der Schließung der Spielplätze setzen wir einen politischen Beschluss um, den ich selbstverständlich mittrage. Es geht um die Haushaltssicherung. Und es gibt auch Spielplätze, da möchten die Kinder nicht mehr hin. Andererseits wollen wir Ausflugsziele wie Bunter Garten, Stadtwald Rheydt, Hardter Wald oder Volksgarten attraktiver machen mit vielfältigen Angeboten für die ganze Familie.

Was passiert mit den freiwerdenden Grundstücken der Spielplätze? Sie werden ja nicht alle Jugendheimen zugeschlagen.

Steins Das ist unterschiedlich. Elf Grundstücke sind verwertbar, sie werden durch die EWMG vermarktet. Andere werden Grünfläche mit der Möglichkeit, irgendwann, wenn sich die Altersstruktur im Wohngebiet wieder ändert, reaktiviert zu werden.

Werden die Spielplätze denn überhaupt noch so intensiv genutzt wie früher?

Steins In manchen Vierteln hat sich die Altersstruktur geändert. Da können Spielplätze aufgegeben oder umgerüstet werden. Wir haben schlichtweg weniger Kinder zwischen drei und sechzehn Jahren als früher. Eine Änderung im Freizeitverhalten kommt dazu, außerdem die Ganztagsbetreuung und der Ganztagsunterricht.

Wie sieht die Betreuungssituation für Kinder in Mönchengladbach aus? Haben wir ausreichend Kitaplätze?

Schall Wir haben eine Befragung in Auftrag gegeben, um den realen Elternwillen kennenzulernen. Der Kita-Navigator, wo die Eltern nach dem Bedarf an Betreuung gefragt werden, also ob sie 25, 35 oder 45 Stunden Betreuung in der Woche wünschen, ist nicht genau genug. Die Ergebnisse liegen Ende nächster Woche vor. Dann wissen wir auch mehr über den Bedarf in den Randzeiten.

In Düsseldorf gibt es inzwischen eine Kindertagesstätte, die 24 Stunden geöffnet hat.

Schall Ja, aber die Nachfrage nach Randzeiten ist sehr unterschiedlich. Das Eli hat inzwischen zwei LENA-Gruppen, deren Öffnungszeiten sich nach den Bedürfnissen des medizinischen Personals richten. Schließlich kann man nicht mitten aus einer OP weglaufen, um das Kind aus der Kita zu holen. Das wird auch nachgefragt, aber der Bedarf ist insgesamt geringer als man denken sollte.

Steins Es gibt in Mönchengladbach inzwischen sieben Kitas, die auch Randzeiten abdecken. Betriebskitas sind relativ selten. Die Eltern bringen die Kinder doch oft gern in Wohnortnähe unter. Allerdings gibt es einige Betriebs-LENA-Gruppen in Kooperation mit weiteren Krankenhäusern und Firmen. Wir planen auch eine neue Kita im Nordpark und bieten Kooperationen gemeinsam mit der WFMG an.

Wie ist die Versorgungsquote in Mönchengladbach, und gab es bereits Klagen?

Steins Letztes Jahr lagen wir - je nachdem, ob die Flüchtlingskinder berücksichtigt wurden oder nicht - bei 96 beziehungsweise 98 Prozent bei den Drei- bis Sechsjährigen. Bei den unter Dreijährigen waren es 36 beziehungsweise 38 Prozent. Vor allem bei der U3-Betreuung gibt es noch Wartelisten. Wir gehen bisher davon aus, dass der Bedarf in etwa bei 41 Prozent liegt.

Schall Wir brauchen noch mehr Kitaplätze, aber Klagen gab es noch keine. Für dringende Fälle stehen ja auch die LENA-Gruppen zur Verfügung. Wir warten auf die Ergebnisse einer aktuellen Elternbefragung. Diese fließt in die anstehende Bedarfsplanung ein.

Immer öfter müssen die Kitas den Kindern Deutsch beibringen. Wie schaffen die Erzieherinnen das? Brauchen Sie mehr Fördermittel?

Steins Es geschieht viel, aber es reicht noch nicht. Wir haben jede Fördermöglichkeit bei Land und Bund genutzt. Wir werden im Februar den Sachstand noch einmal aufbereiten.

Schall Das ist übrigens kein Problem, das alleine auf die Flüchtlinge zurückzuführen ist. Bei den Kitas haben wir keine Zahlen, aber in den Schulen schon. In den Seiteneinsteigerklassen liegen Kinder mit Fluchthintergrund zahlenmäßig an siebter oder achter Stelle. Es kommen auch viele andere in die Stadt. Durch Santander zum Beispiel viele Spanier, deren Kinder auch erst Deutsch lernen müssen.

Haben wir genug Erzieherinnen?

Schall Erzieherin ist inzwischen sicher ein Mangelberuf. Wir schneiden als Stadt noch ganz gut ab, aber es wird immer schwieriger. Erzieher sind ja auch in Jugendeinrichtungen gefragt.

Thema Hilfen zur Erziehung: Die Stadt zahlt in diesem Jahr fast 66 Millionen für Hilfen zur Erziehung. Die Ausgaben steigen immer weiter und Sie rechnen laut Haushalt selbst mit weiter steigenden Fallzahlen. Was läuft falsch?

Schall Also zum einen gehören zu den Hilfen zur Erziehung auch Beratungsangebote oder die Möglichkeit, Kinder unterzubringen, wenn das alleinerziehende Elternteil zum Beispiel ins Krankenhaus muss. Aber es ist richtig, es gibt auch sehr dramatische Fälle und man kann eigentlich nur auf Prävention setzen. Das tun wir auch mit der "Frühen Hilfe" oder dem HOME-Projekt. So sollen Probleme gar nicht erst entstehen. Das hilft den Menschen und ist auch noch wirtschaftlich.

Steins Auch die Familienzentren gehören zu diesen Angeboten. Es ist sinnvoll, dort die Angebote zu organisieren, denn die Kitas haben den Kontakt zu den Eltern und kennen den Bedarf. Der Gedanke der Familienzentren ist die Grundlage für das HOME-Projekt.

Was, glauben Sie, ist das größte Erziehungsmanko in Mönchengladbach?

Schall Es ist gut, dass wir Kinder heute als kleine Menschen ansehen, aber Eltern überfordern die Kinder, wenn die Kinder die Familie dominieren. Kinder brauchen Halt.

Steins Zum einen sind es die bekannten Rahmenbedingungen mit hoher Arbeitslosendichte, vielen Alleinerziehenden im SBG II-Bezug, der Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss und so weiter. Es gibt zwei weitere Schwerpunkte. Zum einen sind junge Eltern überfordert, zum anderen treten die Erziehungsprobleme bei den 13- bis 14-Jährigen auf, und zwar auch in gutsituierten Elternhäusern. Hier wird oft zu spät Hilfe gesucht.

Wie viele Kinder haben Sie 2016 in Obhut genommen, das heißt, aus den Familien herausgenommen? 2015 waren es 291, 2010 225 Kinder.

Steins Die Zahlen bewegen sich auf gleichem Niveau wie 2015.

Werden Ihre Mitarbeiter in diesen Fällen bedroht oder gar attackiert? Einen solchen Angriff gab es 2015.

Steins Es gibt natürlich Supervisionen und die Möglichkeit, das Erlebte individuell aufzuarbeiten. Vorbereitet werden die Mitarbeiter zum Beispiel mit Deeskalationstrainings.

Schall Sozialarbeiter ist ein anspruchsvoller Beruf. Die Verantwortung für das Leben anderer lastet auf den Sozialarbeitern. Wir wollen deshalb auch die Personalführung verändern. Sozialarbeiter, die im Allgemeinen Sozialen Dienst beginnen, bekommen nicht sofort Fallverantwortung, sondern werden neun Monate eingearbeitet.

Gibt es denn genug Sozialarbeiter?

Steins Wir haben leider eine hohe Fluktuation. Viele erfahrene Kräfte wechseln in die Prävention. Wir machen uns da selbst Konkurrenz.

Schall Es gibt einen bundesweiten Bedarf. Auch an Sozialarbeitern herrscht Mangel. Als Gesellschaft brauchen wir Menschen, die Verantwortung übernehmen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ANDREAS GRUHN, GABI PETERS, ANGELA RIETDORF UND DENISA RICHTERS.

(arie)
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