"Ich wäre gern der Hofnarr der Gladbacher Politik"

Mönchengladbach · Norbert Krause, Mönchengladbacher Künstler und Gestalter, über die zukunftsfähige Stadt, Straßen fürs Leben, den Angriff der Kastanienritter und was Kaffeewägelchen mit einer schönen Stadt zu tun haben.

 Norbert Krause ist bekennender Radfahrer. Wenn's sein muss, schultert er auch schon mal seinen Drahtesel.

Norbert Krause ist bekennender Radfahrer. Wenn's sein muss, schultert er auch schon mal seinen Drahtesel.

Foto: Detlef Ilgner

Herr Krause, Sie sind Künstler und leidenschaftlicher Radfahrer. Ist Radfahren in Mönchengladbach eine Kunst?

Krause (lacht) Immer weniger. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, es wird besser. Allerdings ist es noch nicht so selbstverständlich wie 30 Kilometer weiter westwärts in den Niederlanden.

Was hat sich verändert und was muss sich noch verändern?

Krause Definitiv verbessert hat sich das Fahrrad-Klima. Radfahren als Mobilitätsform wurde lange eher belächelt, spätestens seit der Aktion "200 Tage Fahrradstadt" hat sich das geändert. Inzwischen gibt es einen Mobilitätsbeauftragten, das Knotenpunktenetz und die Blaue Route.

Über die Blaue Route gibt es aber viele Diskussionen.

Krause Ja, aber auch der Streit zeigt, dass das Thema wichtig ist. Ich sehe das Positive: Mit der Blauen Route ist es besser als vorher, es gibt weniger Autos auf dieser Straße. Es ist ein Zukunftsmodell, von dem wir mehr bräuchten. Ich könnte mir zum Beispiel auch die Lüpertzender Straße als Fahrradstraße vorstellen. Möglich wäre es jedenfalls, die Fliethstraße verläuft ja parallel.

Trotzdem ist Radfahren in Mönchengladbach immer noch ein Abenteuer. Viele Autofahrer reagieren sehr aggressiv. Liegt das an den Gladbachern? Fehlt das Bewusstsein?

Krause Das ist sicher kein reines Gladbacher Problem. Kölner Radfahrer werden auch über aggressive Autofahrer klagen. Ich glaube, es liegt nicht so sehr am Menschen als am System. Die Straßen im Innenstadtbereich können nicht breiter werden, aber der Verkehr nimmt zu. Deshalb steigt die Aggressivität. Wir müssen die Straßen in einer zukunftsfähigen Stadt entspannter gestalten. Dazu gehört allerdings auch ein Rückbau. Man muss den Autos etwas wegnehmen und den nachhaltigen Mobilitätsformen mehr Raum geben. Und dann so ungefähr drei Monate lang den Aufschrei aushalten. Perspektivisch werden dann auch mehr Leute Rad, ÖPNV und die Füße nutzen.

Wie sieht Ihre Vision für ein ideales Mönchengladbach aus?

Krause Die attraktivsten Städte verbannen Autos immer mehr aus ihren Zentren. Wir müssen die Straße fürs Leben zurückgewinnen. Wir könnten mit der Bismarckstraße anfangen. Sie hat ein hohes Entwicklungspotenzial, funktioniert jetzt aber gar nicht gut. Wenn man sie einspurig macht, hat man viel Platz für Grün und einen Radweg. Das schafft Aufenthaltsqualität. Es würde eine ganz andere Stimmung entstehen.

Und wohin mit den Autos?

Krause Das mittelfristige Ziel ist natürlich, dass weniger Menschen das Auto benutzen. Es gibt fast keine deutsche Stadt in unserer Größenordnung, in der so viel Auto gefahren wird.

Sie sind in Mönchengladbach als Künstler sehr bekannt, haben mit aufsehenerregenden Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Zum Beispiel mit dem "StraßenFREIraum" auf der Bismarckstraße, dem "Miniatourfieber", Sie waren als Blaumacher für das Textiltechnikum unterwegs und haben das Museum von Kastanienmännchen angreifen lassen. Was verbindet diese Aktionen?

Krause Es geht mir darum, eine bestehende Situation so umzuinterpretieren, dass Bedarfe sichtbar werden und Veränderung angestoßen wird. Ich habe auch mal auf der Brache, auf der später der Margarethengarten entstand, ein paar Quadratmeter umgegraben, Erde und Kiesel geerntet, in Gläser gefüllt und dem damaligen OB Norbert Bude zum Kauf angeboten. Da ging es darum, Bewusstsein für das Thema Zwischennutzung zu schaffen. Und gleichzeitig einen bestimmten Ort wieder sichtbar zu machen.

Wie sind Sie auf die Aktion mit den Kastanienmännchen gekommen, die das Museum angreifen?

Krause Gefühlt war das Museum damals sehr isoliert, hatte wenig Bezug zur Stadt. Die 100 Kastanienritter haben verlangt, die Kunst tiefer zu hängen, so dass sie auch für kleine Wesen sichtbar ist.

Was ist dann passiert?

Krause Na ja, sie wurden weggeräumt, und mir wurde gesagt, ich könne sie abholen. Aber dann hätten sie ja am nächsten Tag wieder da gestanden (lacht). Wir haben uns dann darauf geeinigt, ein niedrig hängendes Bild mit einem Kastanienmännchen zu fotografieren. So sind wir in einen regen Austausch geraten.

Humor und Kunst scheinen für Sie keinen Gegensatz darzustellen.

Krause Nein, ganz und gar nicht. Ich denke, Humor ist ein guter Informationsträger und schafft eine positive Grundstimmung. Allerdings geht es nicht nur um Unterhaltung, es sollte auch noch etwas nachkommen.

Sie sind gebürtiger Mönchengladbacher, haben in Düsseldorf und Krefeld studiert. Wollten Sie nie weg?

Krause Doch, ich saß schon mal auf gepackten Koffern und wollte der Liebe wegen nach Stockholm. Das hat sich dann zerschlagen und ich bin geblieben. Seltsamerweise hat sich dadurch meine Einstellung zu Mönchengladbach gewandelt. Vorher war es eine Hassliebe. Dann habe ich mich entschlossen, das, was ich nicht mag, als Potenzial zu sehen. Auslöser war da auch die neue Wohnung, die exakt spiegelverkehrt zu einer vorherigen Wohnung war. Das wirkte anscheinend inspirierend auf mich (lacht).

Wie sehen Sie jetzt die Stadt? Empfinden Sie die viel beschworene Aufbruchsstimmung?

Krause Es hat sich viel verändert in den vergangenen zehn Jahren, aber ich sehe die Gefahr der Überschätzung. Wir sind noch nicht so weit, wie manche meinen, weil wir sehr weit im Minus angefangen haben. Wir mussten viel abarbeiten, um auch nur auf Null zu kommen. Die Stadt hat schöne Seiten, aber die sind oft nicht so offensichtlich wie in anderen Städten. Schöne Orte sollten Besucher anspringen und sich nicht verstecken. Manchmal sind es aber auch Kleinigkeiten, die einen an sich hässlichen Ort zu etwas Schönem machen. Coffeebikes zum Beispiel.

Coffeebikes? Was ist das?

Krause In Bonn gibt es Kaffeewägelchen, die stehen irgendwo auf einem Platz, und man trifft sich dort und trinkt einen Kaffee. Das ist einfach nett. Wir denken immer noch zu viel in Beton. Ein Kaffeewägelchen kann den Unterschied machen.

Sie sind ein kreativer Kopf. Haben Sie eine Idee für die Problematik der Oberstadt?

Krause Dort oben braucht man einen Frequenzbringer. Die Stadtbibliothek wäre sehr gut an der Stelle gewesen. Ich könnte mir auch so etwas vorstellen wie das Unperfekthaus in Essen mit Ateliers, Besprechungsräumen, einer bunten Mischung von Angeboten. Auch ein autonomes Elektrowägelchen, das die Hindenburgstraße rauf und runter fährt, würde sich anbieten. Eine Innenstadt sollte mehr sein, als eine Aneinanderreihung von Geschäften. An dieser Stelle lohnt es sich, mutig zu sein.

Würden Sie gern die Politik beraten? Sollten nicht Politiker und Künstler mehr miteinander reden?

Krause Kreativschaffende können sich Potenziale besser vorstellen und kommen oft zu ungewöhnlichen Lösungen. Das gehört zum Beruf. Das Hofnarrprinzip beschäftigt mich schon länger. Hofnarren durften immer Verbotenes aussprechen. Kunst kann das auch. Ich wäre gern der Hofnarr der Gladbacher Politik.

Sie haben eine kleine Tochter. Hat sich Ihre Kunst durch den Familienstand verändert?

Krause Nachhaltigkeit war immer schon ein Thema für mich, sie ist es jetzt noch mehr. Vermehrt in den Fokus rückt aber auch die Geschlechtergerechtigkeit. Denn von einer Gleichberechtigung sind wir leider immer noch sehr weit entfernt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN INGE SCHNETTLER, DENISA RICHTERS UND ANGELA RIETDORF.

(RP)
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