Mönchengladbach Im Namen der Hose

Mönchengladbach · Man könnte die Geschichte von Gardeur so nüchtern herunterbeten, wie man sich einen Hosenkauf vorstellt: Hier eine Problemzone, da passt die Größe mal nicht ganz, irgendwann kommt man ins Schwitzen und verliert vorübergehend die Lust - bis irgendwann doch die perfekte Passform gefunden ist und sich der Aha-Effekt einstellt. Viel besser lässt sich die Geschichte aber an einem Menschen erzählen, für den das Unternehmen seit Jahr und Tag perfekt passt - in diesem Fall ist das Renate Schatto, die "gute Seele" von Gardeur. Intern nennt man sie auch schon mal den "Vierzehnender" - das ist so ziemlich der kapitalste Hirsch, den man sich vorstellen kann, was bei ihr aber selbstverständlich ausschließlich auf die Erfahrung gemünzt ist. Denn Schatto wird im April seit 44 Jahren bei dem Hosenspezialisten beschäftigt sein und hat dementsprechend sämtliche Entwicklungsphasen des Unternehmens hautnah miterlebt. "Ich bin mit Gardeur erwachsen geworden", sagt Schatto, die als 20-Jährige zunächst in der Chefassistenz begonnen hatte. Über eine Stellenanzeige in der Rheinischen Post kam die gelernte Versicherungskauffrau an ein Vorstellungsgespräch - "und ich habe mich vom ersten Satz an wohlgefühlt".

 Hier geht es um Hosen - das zeigt sich bereits an der Eingangsfront.

Hier geht es um Hosen - das zeigt sich bereits an der Eingangsfront.

Foto: Gardeur GmbH

Damals hieß lediglich die Hosenmarke Gardeur, das 1920 gegründete Unternehmen selber aber noch Dieter Janssen & Co. Hosenfabrik. Die Marke war 1969 eingeführt worden. "Damals waren wir sehr klassisch unterwegs, mit zwei, drei Modellen für den gesetzten, älteren Herren", erinnert sich Schatto. "Wenn wir zu Messen fuhren, zogen wir Frauen Herrenhosen an, um zu zeigen, dass wir uns mit dem Unternehmen identifizieren." Erst ab 1980 kamen auch Damenhosen dazu, "für alle ein Kraftakt", sagt Schatto. Sie gründete damals eine Familie, kam aber bereits nach acht Wochen für halbe Tage zurück ins Unternehmen: "Das war damals nicht selbstverständlich."

Die 80er waren auch die Zeit, in denen Gardeur sich im Bereich Sportsponsoring einen Namen machte. Die Tennisstars Ivan Lendl und Gabriela Sabatini waren damals Markenbotschafter, Schatto erinnert sich noch, wie der "ganze Sabatini-Clan" regelmäßig zur Alsstraße kam, um sich mit Kleidung einzudecken. Von 1989 bis 2009 sponserte man die Borussia, den Arag World Team Cup in Düsseldorf ebenso wie das Tennis-Jugendturnier am Bunten Garten. 1996 in Atlanta war Gardeur offizieller Ausstatter der deutschen Olympiamannschaft.

 Mirko-Armin Bucksch betreut seit Anfang des Jahres den neuen Gardeur-Showroom im "Gelben Haus" an der Rather Straße in Düsseldorf.

Mirko-Armin Bucksch betreut seit Anfang des Jahres den neuen Gardeur-Showroom im "Gelben Haus" an der Rather Straße in Düsseldorf.

Foto: Schnettler Jan

In Tunesien, wo das Unternehmen beginnend mit dem Jahr 1974 zwei eigene Produktionsstätten unterhält, ist Schatto zwar noch nie gewesen. Aber sie erinnert sich noch, wie die Unternehmensleitung sich in den 70ern mit einem Renault R 4 in Richtung Genua aufmachte, um sich dort für die Überfahrt nach Nordafrika einzuschiffen. "Wir haben in Tunesien mit Wellblechhütten angefangen", sagt Schatto. Heute erfüllten die beiden Werke sämtliche Qualitätsansprüche sowie soziale, ethische und ökologische Standards, sagt Geschäftsführer Gerhard Kränzle.

Bis Anfang der 2000er galt Gardeur als Marktführer, der Umsatz lag bei 170 Millionen Mark. Doch dann schlug, wie anderswo genauso, die Krise der Textilindustrie zu. Fatalerweise hatte sich das Unternehmen zugleich eine gewisse Patina zugelegt - es ging bergab. Auch für Renate Schatto eine schwierige Zeit. "Die zwei Tiefpunkte in all den Jahren waren zum einen, als der Senior sich zurückzog - und zum anderen, als die Inhaberfamilien das Unternehmen verkauften." Letzteres war 2008, eine Beteiligungsfirma übernahm. Schatto rechnete bereits mit dem vorzeitigen Ruhestand: "Ich dachte, der Kreis schließt sich." Doch im Unternehmen wollte man auf ihre Erfahrung und ihr Know-how nicht verzichten - sie wechselte in die Personalabteilung und ist dort bis heute, für noch mindestens zwei weitere Jahre.

 Dieses Luftbild zeigt, wie groß - nämlich 35.330 Quadratmeter - das Areal von Gardeur ist, vorne das Empfangsgebäude an der Alsstraße.

Dieses Luftbild zeigt, wie groß - nämlich 35.330 Quadratmeter - das Areal von Gardeur ist, vorne das Empfangsgebäude an der Alsstraße.

Foto: Gardeur GmbH

Es ging hin und her in den Nullerjahren: Gardeur wurde erst zur AG, später zur GmbH, seit 2012 firmiert man unter dem Namen Atelier Gardeur. Nach der irischen Produktionsstätte, die bereits 1992/93 zugunsten der Produktion in Tunesien geschlossen wurde, war 2011 auch das Qualitäts- und Logistikzentrum im niedersächsischen Augustfehn dran, das böse Wort vom "Sanierungsfall" war irgendwann in aller Munde.

Im November 2010 kam dann Gerhard Kränzle ans Ruder des angeschlagenen Dampfers, zunächst interimistisch. "Ich wollte damals eigentlich ein Sabbatjahr einlegen, aber nach drei Monaten war mir langweilig", erklärt der langjährige Textilmanager und ehemalige Chef-Einkäufer von Wöhrl seine Motivation. Schon in jungen Jahren in seinem Nagolder Bekleidungsgeschäft habe er die Marke Gardeur haben wollen, erinnert sich der gebürtige Memminger - "dafür habe ich das letzte Limit geopfert".

 20 Näherinnen arbeiten in der Musternäherei an der Alsstraße, seit Kurzem wird in dem Beruf auch wieder ausgebildet.

20 Näherinnen arbeiten in der Musternäherei an der Alsstraße, seit Kurzem wird in dem Beruf auch wieder ausgebildet.

Foto: Gardeur (6), Zitex, Jan Schnettler

Mit der Langeweile war es dann schnell vorbei - sechs Wochen nach seinem Amtsantritt begann der Arabische Frühling, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Produktion in Tunesien. Es folgten: Sanierungsplan, Neufinanzierung, erneuter Investorenprozess, als 2012 der Investor ausstieg. Kränzle gelang es, einen Beteiligungsfonds der NRW-Bank zum Einsteigen zu bewegen. Der hält heute 49 Prozent, 51 Prozent die Kränzle Beteiligungs GmbH - der CEO war und ist damit zugleich Mehrheitseigentümer, der Betrieb kann sich wieder als Familienunternehmen bezeichnen.

 Im Jahr 1976 freute man sich in Mönchengladbach über die millionste Hose unter dem Markennamen Gardeur.

Im Jahr 1976 freute man sich in Mönchengladbach über die millionste Hose unter dem Markennamen Gardeur.

Foto: Gardeur GmbH

Seitdem hat Kränzle Gardeur auf Vordermann gebracht. Die Markenbotschafter Jan-Josef Liefers und Anna Loos wurden ins Boot geholt, die Marke geschärft, mit Passform als oberstem Credo, der Auftritt entstaubt. Mit Modeschöpfer Thomas Rath entstand eine eigene Produktlinie, mal punktet Gardeur mit einer Hosenstudie, mal mit einer Ausstellung zur Geschichte des Beinkleids. Im "Gelben Haus" an der Rather Straße in Düsseldorf gibt es seit Januar einen schicken neuen Showroom.

Mönchengladbach: Im Namen der Hose
Foto: Gardeur GmbH

Und auch für die Zukunft hat Mehrheitseigentümer Kränzle einiges vor mit Gardeur, jetzt, da die so lange negativen Vorzeichen endlich wieder umgedreht wurden. "Dieses Unternehmen hat eine gewachsene Geschichte, die man erzählen kann, nicht zuletzt auch über die Mitarbeiter", sagt er.

Mitarbeiter wie Renate Schatto. Der bewegendste Moment in ihrer langen Berufslaufbahn, sagt sie, sei ihr 40. Betriebsjubiläum gewesen. Aktuell organisiert sie ein Treffen ehemaliger Mitarbeiter. Davon sind im Laufe der Jahre auch einige zusammengekommen. Aktuell hat Gardeur rund 2000, die meisten davon in Tunis. Doch auch in der Zentrale an der Alsstraße arbeiten 250 Menschen. Dort zeigt Gardeur, das einen Exportanteil von 54 Prozent hat und in 50 Länder liefert, auf mehr als 35.000 Quadratmetern Fläche, dass es einer der wenigen verbliebenen vollstufigen Anbieter ist. Von der Designabteilung über die Modellnäherei mit 20 Näherinnen bis hin zur Wäscherei, zur Qualitätssicherung, zum Zentrallager und zum Vertrieb werden sämtliche Arbeitsschritte abgebildet. Sogar eine eigene Zollstation gibt es.

Heute ist übrigens der "Internationale Tag der Hose". Ausgerufen - natürlich von Gardeur. Weil die Marke am 11. März 1969 eingetragen wurde - als seinerzeit erstes deutsches Hosen-Label.

(tler)
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