Analyse In der Malerei hat er sein Glück gefunden

Mönchengladbach · Porträt Josef Reidmacher ist ein Schuhmachermeister mit Leidenschaft fürs Malen und Zeichnen. In seiner Werkstatt in Giesenkirchen spürt er alten und jüngeren Meistern wie Rembrandt, Gauguin, Renoir und August Macke nach.

 Josef Reidmacher an der Staffelei in seinem Atelier in Giesenkirchen-Stähn.

Josef Reidmacher an der Staffelei in seinem Atelier in Giesenkirchen-Stähn.

Foto: Detlef Ilgner

Schusterahle, Leder, Absätze, Dreifuß, Nähmaschine - aber auch Pinsel und Leinwand. So hat es in Josef Reidmachers Werkstatt einmal ausgesehen. Damals, in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der 84-Jährige ist Schuhmacher mit Meisterbrief. Aber seine Liebe gehört seit jeher dem Zeichenstift und den Farben: "In der schlechten Zeit nach dem Krieg war man erst mal froh, wenn man einen guten Beruf hatte", sagt er. Wann immer ihm die Zeit blieb, hat er in der Schuhmacherschürze an der Staffelei gesessen.

Schon in der Schule war er ein Talent an den Buntstiften: "Immer wenn was war, musste ich an die Tafel." Das eigentliche Erweckungserlebnis hatte er noch als Schüler: "Da hat direkt vor unserem Haus in Stähn ein Maler seine Staffelei aufgebaut. Ich war fasziniert. Später hat er dann gefragt, ob er seine Arbeit für eine Nacht bei uns unterstellen dürfe. Die Ansicht der Häuser hat er dann an unseren Nachbarn verkauft. Für 400 Mark und einen Sack Weizen." Es sei kein besonders gutes Bild gewesen, wie Reidmacher heute sagt: "Ich habe die gleiche Ansicht dann später selbst eingefangen." Es war eines seiner ersten Ölbilder. Und stimmiger als das des Malers, meint er. Gemalt auf Papier, das er auf einen härteren Untergrund aufgeklebt hat: "Es gab damals ja kaum ein Geschäft, in dem man Farben oder Leinwände hätte kaufen können."

Mühsam hat sich Josef Reidmacher die Grundlagen und die Techniken des Malens selbst beigebracht, Bildaufbau, Farbenlehre, Grundierung der Leinwände. Einen Experten habe er nicht fragen können und damals auch keine Kunstbücher gehabt, aus denen er sein Wissen und sein Handwerkszeug hätte zusammentragen können: "Getrieben hat mich die Neugier." Sein Wissen hat er gerne weitergegeben. Er erinnert sich an Harald Meier, Sohn eines Landwirts am Bahner: "Der Junge kam zum Malen zu mir in die Werkstatt. Ich habe dann an Schuhen gearbeitet und ab und an mal geschaut, was er macht, habe korrigiert, Tipps gegeben."

Reidmacher hat von Beginn an am liebsten die Alten Meister kopiert. Rembrandt, van Gogh, Renoir zum Beispiel. Entweder originalgetreu. Oder er hat lediglich Teile kopiert und das Übrige nach eigenen Vorstellungen gestaltet. Und immer hat er wissen wollen, wie die Tiefe und der Ausdruck in die Bilder kommen, wie Licht und Schatten zusammenspielen. Andere Vorbilder lieferten ihm Gauguin oder August Macke.

Wer Reidmachers Geschäft und das Wohnhaus am Sternenfeld betritt, wähnt sich in einem Museum. Überall stehen und hängen Bilder. Alte und neue Meister. Klein- oder Großformat. Modern oder traditionell gerahmt. Ungerahmt. Öl und Aquarell. (Fluss-)Landschaften, idealisiert, aber auch echter Niederrhein. Wie etwa Liedberg oder die Gegend um Waat, Wey, Hoppers. Portraits. Viele Stillleben, fein ausgearbeitet. So meint man die Äpfel, Blumen oder auch ein Buch greifen und aus dem Bild nehmen zu können. Reidmacher deutet in die Runde: "Das ist mein Lebenswerk. Manchmal wundere ich mich selbst", sagt der bescheiden auftretende Mann, dem seine Kunst nicht in die Wiege gelegt wurde.

In seinem künstlerischen Schaffen habe es mehrere Phasen gegeben, so der Stähner Maler, der deutlich mehr ist als Hobbykünstler: "Ich habe mal Seebilder gemalt. Brandung, Wellen auf offener See. Die Arbeiten von Patrick von Kalckreuth haben dafür Pate gestanden." Eine Zeit lang hat Reidmacher Hühner, Enten und Gänse gemalt. Vorbild sei hier Alexander Koester, "auch Entenmaler Koester genannt. Zuletzt hat mich die Anatomie interessiert und so sind eine Reihe Akte entstanden." Zum Teil mit Ölfarben auf Ölpapier. Ganz im Gegensatz zu den kräftigen Farben, die er nutzt, stehen ein paar Bilder, in denen Szenen wie durch einen Nebel aufscheinen. Wo die Sonne im nächsten Augenblick durchbrechen wird. Blasse Farben: "Das sind die Arbeiten, die mein Inneres widerspiegeln."

Der Maler Josef Reidmacher hat in seiner Kunst sein Glück gefunden. Für etliche Jahrzehnte. "Wer weiß, wo ich ohne die Malerei gelandet wäre", sagt er mit nachdenklicher Miene. Übertragen gesprochen gilt für ihn der Spruch "Schuster bleib bei deinem Leisten" in diesem Fall nicht: Zum Glück!

(akue)
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