Redaktionsgespräch Jeder einzelne Flüchtling hat etwas zu bieten

Mönchengladbach · Zwei Studentinnen von der Initiative "Geflüchtete Menschen" und zwei Flüchtlinge sprechen über die Lage von Asylsuchenden in der Stadt.

Stimmen zur Lage der Asylsuchenden in der Stadt
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Die Initiative Geflüchtete Menschen ist aus einer Initiative des AStA der Hochschule Niederrhein hervorgegangen. Sie engagiert sich mit vielfältigen Angeboten für die Flüchtlinge, die nach Mönchengladbach kommen. Wie erleben Sie die Hilfsbereitschaft der Mönchengladbacher?

Katja Möltgen Es wird viel über Probleme geredet, aber die wirklichen Erfahrungen sind viel positiver als erwartet. Wir rennen oft offene Türen ein.

So viele Flüchtlinge mussten die Städte 2014 neu aufnehmen
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Foto: dpa, jst fdt

Nadége Ribitzki Es sind wirklich viele bereit mitzumachen und zu helfen. Besonders beeindruckt hat mich das Koordinierungstreffen, bei dem die verschiedenen Initiativen und die Verwaltung an einem Tisch saßen. Es waren auch Kirchengemeinden und Nachbarn von Flüchtlingsunterkünften dabei. Eigentlich ging es bei dem Treffen um die neue Unterkunft an der Brucknerallee, deshalb waren auch Anwohner von dort dabei. Sie hatten Heiligabend schon die Flüchtlinge besucht, um Weihnachtslieder zu singen und sie willkommen zu heißen. Sie wollten zum Beispiel wissen, was sie noch weiter tun können. Es herrschte eine sehr positive Stimmung. Es geht im Augenblick oft darum, Kontakte herzustellen und eine gemeinsame Plattform für den Austausch zwischen den Gruppen zu schaffen.

Und wie erleben Flüchtlinge die Stadt und die Aufnahme hier? Sie beiden kommen aus Ghana und Eritrea. Wie empfinden Sie das Leben in Mönchengladbach?

Das Leben im Asylbewerberheim Luisental in Mönchengladbach
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Zekarias Senay Mönchengladbach ist so friedlich, die Menschen hier sind so höflich. Ich liebe diese Stadt. In anderen Städten, in Dresden, hätte ich vielleicht Angst, beispielsweise jemanden um Feuer zu bitten, aber hier nicht. Ich würde aber gern noch viel mehr Deutschunterricht haben, möglichst dreimal in der Woche. Denn es ist schwierig, sich in einem Land zurechtzufinden, in dem man die Sprache nicht spricht. Ich hatte zu Anfang sogar Probleme, im Supermarkt den Joghurt zu finden und habe nach "Drei-Tage-Schlafen-Milch" gefragt.

Efe Efehosa Für mich besteht die Schwierigkeit darin, dass ich immer nur sechsmonatige Duldungen bekomme. Ich kann so nicht für die Zukunft planen. Ich würde mir wünschen, dass schneller entschieden wird. Auch die Unterbringung hat es mir zu Anfang schwergemacht, mich willkommen zu fühlen. So etwas sagt schon viel darüber aus, wie Flüchtlinge gesehen werden. Das war wirklich nicht in Ordnung. Jetzt bin ich woanders untergebracht, das ist eine große Verbesserung.

Was ist das größte Problem für die Flüchtlinge in dieser Stadt?

Misshandlungs-Vorwürfe: das Flüchtlingsheim in Burbach
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Foto: dpa, fg jhe

Efehosa Wir können nicht arbeiten. Nichts zu tun ist quälend. Wir bringen doch viele Fähigkeiten mit, wir können einen Beitrag leisten. Und wir wollen das auch. Aber es fehlt an Informationen, wo man etwas tun kann. Man geht zum Sozialamt und bekommt Geld, aber keinen Hinweis, wo es Arbeitsangebote gibt. Überhaupt fehlt es oft an Informationen. Es gibt zum Beispiel kein Orientierungsprogramm, das den Flüchtlingen sagt, wie die Stadt funktioniert und wie man hier erfolgreich lebt. Ich erlebe das als einen Mangel an Kommunikation.

Senay Arbeit zu haben, damit der Tag eine Struktur hat, wäre sehr wichtig. So hängen viele die ganze Nacht vor dem Fernseher und schlafen den ganzen Tag. Und das geht dann im schlimmsten Fall ein bis zwei Jahre so. Das bringt doch niemandem etwas. Viele Flüchtlinge haben das Gefühl, in einem dunklen Raum zu sein, alleine und fremd ein Leben im Schatten zu führen. In der Kombination dieser Zusammenhänge könnte auch durchaus der Grund für gewisse kriminelle Entwicklungen liegen.

Möltgen Wir vergessen bei der Flüchtlings-Thematik, welch großes Potenzial da schlummert. Es könnte viel Neues entstehen, wenn die Fähigkeiten der Flüchtlinge genutzt würden. Das wäre wie ein frischer Wind für unsere Gesellschaft. Alle würden profitieren.

Efehosa Jeder Flüchtling hat etwas zu geben, etwas zu bieten. Ich glaube, die allerwenigsten sind wegen des Geldes nach Deutschland gekommen. Aber dafür muss man mit uns reden, uns informieren, auf uns zukommen, nicht anders herum. Denn wir leben oft in einem Kreislauf von Unwissenheit und Verwirrung. Bisher nehmen wir einmal im Monat den Bus zum Sozialamt und bekommen unser Geld, das ist es dann. Aber hinter einem Sozialamt muss doch mehr stecken, mehr als Verwaltung, oder? Sozialarbeit? Wir sind doch in erster Linie Menschen, keine menschlichen Ressourcen.

In Jüchen gibt es das Angebot für Flüchtlinge, für einen Euro am Tag zu arbeiten. Meist geht es um einfache Jobs wie Fegen. Wäre das ein Angebot, das Flüchtlinge auch in Gladbach annehmen würden? Oder würden Sie sich ausgenutzt fühlen?

Efehosa Ich würde es annehmen. Es geht dabei gar nicht um das Geld als solches, sondern um den Beitrag, den man leisten kann. Ich arbeite jetzt zum Beispiel beim Volksverein. Ich sehe viel und lerne dabei.

Senay Ich glaube, wir würden alle gern solche Jobs annehmen. Man müsste nur wissen, wo es sie gibt, wie man daran kommt.

Ribitzki Das Gesetz, nach dem Flüchtlinge arbeiten dürfen, gibt es erst seit November. Es fehlt noch an der Umsetzung. Bei der Stadt sind alle überlastet. Das ist gar kein Vorwurf, aber es hat niemand Zeit zum Nachdenken. Wir brauchen Menschen mit Ideen und Strukturen, die sich für Flüchtlinge öffnen.

Sie haben von vielen positiven Erfahrungen gesprochen. Was funktioniert denn besonders gut?

Möltgen Da kann man an erster Stelle die Deutschkurse nennen. Das ist ein zentraler Punkt: Die Flüchtlinge lernen die Grundlagen der Sprache. Hier bringen sich sehr viele Menschen ehrenamtlich ein, zum Teil auch Deutschlehrer. Es wird dabei auch vieles über das Leben in Deutschland vermittelt. Kultur und Sprache sind ja für die Flüchtlinge fremd, sie rennen oft gegen unsichtbare Mauern, weil sie die Strukturen nicht verstehen.

Senay Ich hätte, wie gesagt, gern noch viel mehr Deutschunterricht. Einmal in der Woche ist gut, aber es reicht nicht. Bei einem Termin pro Woche vergisst man alles wieder.

Woran fehlt es am meisten? Die Initiative bat neulich um Kleiderspenden. Wird so etwas gebraucht?

Möltgen Die Resonanz war riesig. In diesem Bereich brauchen wir nichts mehr. Worüber wir nachdenken müssen, ist ein Kommunikationssystem, das die Menschen erreicht. Zum einen die Flüchtlinge, zum anderen aber auch die Bürger.

Ribitzki Es wird derzeit über eine Plattform nachgedacht, auf der sich die verschiedenen Initiativen austauschen können, damit nicht jeder für sich das Rad neu erfinden muss.

Efehosa Es mangelt an einer Aufgabe - und an Kommunikation. Es wäre gut, wenn die Behörden die modernen Kommunikationswege mehr nutzten. Wenn das Sozialamt zum Beispiel per SMS mit den Flüchtlingen in Kontakt tritt. Oder dafür das Internet genutzt wird - Facebook, Whats App. Die meisten Flüchtlinge haben Internet auf dem Handy. Das Sozialamt braucht dafür aber mehr Partner, die sich einbringen, aus dem Bereich Technologie und Kommunikation zum Beispiel.

Ist es ein Problem, wenn Menschen mit so vielen verschiedenen kulturellen Hintergründen, Sprachen und Religionen gemeinsam untergebracht werden?

Senay Das Zusammenleben ist oft schwierig, weil man gar nicht miteinander reden kann. Ich weiß von einem Jugendlichen, der allein geflüchtet ist und fast in die Psychiatrie eingewiesen worden wäre, weil er immer nur da saß und vor sich hin starrte. Aber er konnte sich einfach nur mit niemandem verständigen. An der Brucknerallee sind jetzt nur Flüchtlinge aus Eritrea untergebracht. Alle sprechen dieselbe Sprache, das funktioniert gut.

Efehosa Es ist in der Tat ein Problem, weil viele auch kein Englisch können. So kann man sich zum Beispiel kaum darauf einigen, wer wann das Badezimmer sauber macht. Es ist sinnvoll, bei der Unterbringung den kulturellen Hintergrund mehr zu berücksichtigen. Das geschieht in Mönchengladbach neuerdings auch.

Gibt es eigentlich Kontakt der verschiedenen Flüchtlingsunterkünfte untereinander?

Efehosa Nein, und das ist auch so ein Problem. Gäbe es zum Beispiel einen monatlichen Bericht, in dem steht, wie sich die Unterkünfte entwickeln, ob es vielleicht Fortschritte und Verbesserungen gibt, dann könnte man sich daran orientieren und sagen: Hey, bei denen klappt das und das besser. Lass uns das hier bei uns auch versuchen. Aber es gibt nicht einmal Hinweise zur richtigen Mülltrennung, wodurch wir dem Hausmeister die Arbeit erleichtern könnten. Es mangelt einfach immer wieder an Kommunikation.

Welche Hoffnungen und Pläne haben Sie für die Zukunft?

Efehosa Das Planen ist wie gesagt schwierig, weil ich immer nur sechs Monate übersehe. Ich bringe aus Ghana Erfahrungen im Bereich Marketing und Personalmanagement mit. Aber ich könnte mir auch vorstellen, hier im sozialen Bereich zu arbeiten. Ich kann gut mit Menschen umgehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, eine verantwortungsvolle Rolle bei der Betreuung anderer Flüchtlinge zu übernehmen. Am liebsten aber würde ich studieren.

Senay Ich möchte lernen. Ich interessiere mich zum Beispiel für Computergrafik.

Wenn Bürger sich einbringen und Flüchtlingen helfen möchten, wohin können sie sich wenden?

Möltgen Am besten, indem sie zum Runden Tisch "Flüchtlinge in Mönchengladbach" kommen. Das nächste Treffen ist am Montag, 2. Februar, von 19 Uhr bis 21 Uhr an der Bettrather Straße 22. Anmeldungen bitte per E-Mail an m.offermann@skm-ry.de.

ANGELA RIETDORF, LAURA SCHAMEITAT UND JAN SCHNETTLER FÜHRTEN DAS INTERVIEW IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE.

(arie)
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