Ulrich Clancett "Junge deutsche Gotteskrieger machen mir Sorgen!"

Mönchengladbach · Regionaldekan Ulrich Clancett über Weihnachtsstress, das Leben in einer pluralen Gesellschaft und über kirchliches Arbeitsrecht.

 Ja, Regionaldekan Ulrich Clancett ist auch im Weihnachtsstress, oder besser gesagt, im Vorweihnachtsstress. An den Festtagen selbst ist das anders.

Ja, Regionaldekan Ulrich Clancett ist auch im Weihnachtsstress, oder besser gesagt, im Vorweihnachtsstress. An den Festtagen selbst ist das anders.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Herr Clancett, sind Sie im Weihnachtsstress? Oder sind die Geschenke schon gekauft und die Predigt ist schon geschrieben?

Clancett Ja, klar bin ich im Weihnachtsstress. Weihnachten kommt ja auch immer so plötzlich (lacht). Es sind tausend Dinge zu erledigen, viele hängen mit dem Jahresende zusammen. Und dann gibt es natürlich auch noch den Jüchener Weihnachtsmarkt rund um und in der St.-Jakobus-Kirche, bei dem die Kirchengemeinde mit der Planung des Programms in der Kirche beschäftigt ist. Da kommt also einiges zusammen, aber Weihnachten ist für mich kein Stress. Eine Predigt schreibe ich nicht, ich gehöre nicht zu denen, die sich an den Schreibtisch setzen und formulieren. Die Predigt entwickelt sich dynamisch im Gottesdienst. Manchmal dreht es sich auch spontan um ein Thema wie vor Jahren, als der Spiegel ein Titelbild veröffentlichte, auf dem die Krippe leer war.

 "Geschenke müssen im Beschenkten etwas bewegen."

"Geschenke müssen im Beschenkten etwas bewegen."

Foto: malte CHristians

Wie halten Sie es mit Weihnachtsgeschenken?

Clancett Weihnachtsgeschenke mache ich natürlich. Da ist es mir wichtig, dass es Geschenke sind, die im Beschenkten etwas bewegen. Es muss nicht teuer sein, aber es muss passen wie zum Beispiel eine CD mit der Kölschen Weihnacht. Die enthält wunderbare Texte mit Tiefgang.

Welche Rolle spielen die klassischen Weihnachtslieder heute noch? Beherrschen die Kinder sie überhaupt noch?

Clancett In den Kindergärten und Schulen wird wenig gesungen und in den Familien überhaupt nicht mehr. In meiner Familie wurde und wird gesungen, aber das gemeinsame Singen in den Familien ist im deutschsprachigen Raum weitgehend verschwunden. Ich habe vom Leipziger Thomaskantor gehört, dass schon die Fähigkeit zu singen, bei den Bewerbern sinkt. Schade, denn es gibt auch sehr schöne neue Weihnachtslieder.

Ist die katholische Kirche zu Heiligabend voll oder merken Sie auch da schon den Schwund an Gemeindemitgliedern?

Clancett Die Kirche ist voll, aber man merkt, dass die Menschen sich ganz bewusst für einen Gottesdienst entscheiden. Da kommt es zum Beispiel auf die musikalische Gestaltung an. Wir haben in Jüchen am ersten Weihnachtsfeiertag das Hirtenamt wieder eingeführt, einen Gottesdienst um 8 Uhr morgens mit musikalischer Begleitung durch Alphorn und Orgel. Das ist wunderschön und die Leute kommen zum Teil extra aus Mönchengladbach. Das ist dann natürlich ein Publikum, das bewusst und mit vollem Verstand dem Weihnachtsgeheimnis nachspürt. Die Christmette dagegen ist eher Treffpunkt und auch das anschließende Turmblasen. Und hinterher sind die Kneipen rammelvoll. Das war früher auch undenkbar.

Kennen Sie die aktuellen Zahlen der Katholiken in Mönchengladbach? Gibt es einen Trend zu Kirchenaustritten?

Clancett In der Region Mönchengladbach leben etwa 160 000 Katholiken. Es gibt immer wieder Anlässe, die größere oder kleinere Austrittswellen auslösen, die Missbrauchsfälle beispielsweise, die Diskussion um Tebartz-van Elst oder aktuell die Kapitalertragssteuer. Die Menschen treffen dann eine bewusste Entscheidung zu gehen, aber es kommen auch Leute zurück, die entdecken, dass Kirche positiv etwas bewirkt. Wir müssen uns aber damit abfinden, dass wir als Kirche keine gesellschaftsprägende Kraft mehr sind. Früher war jeder irgendwie konfessionell gebunden, entweder katholisch oder evangelisch. Und die Gastarbeiter, die kamen, waren griechisch-orthodox. Das ist vorbei. In Ostdeutschland gibt es ganze Landstriche, die entchristlicht sind. Da haben vierzig Jahre DDR ihre Spuren hinterlassen.

Bekenntnisschulen sollen in NRW jetzt schneller umgewandelt werden können als bisher. Rot-Grün will, dass nicht mehr eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sondern eine einfache Mehrheit der Elternstimmen ausreicht. Die Kirchen sollen damit einverstanden sein. Wie sehen Sie das?

Clancett Mir ist egal, was an der Tür einer Schule steht. Der Geist ist entscheidend. Der gute Kontakt zwischen den Schulen und den Kirchengemeinden ist wichtiger als ein Schild mit der Aufschrift Bekenntnisschule. Nur so können wir eine plurale Gesellschaft mit Werten bereichern.

Das kirchliche Arbeitsrecht ist in letzter Zeit in die Diskussion geraten. Was halten Sie davon?

Clancett Das kirchliche Arbeitsrecht wird zurzeit überarbeitet, und das ist auch richtig so. Nehmen wir ein Krankenhaus wie St. Georg in Leipzig. Dort findet man keine Bewerber, die den katholischen Vorgaben entsprechen. Oder in einem katholischen Krankenhaus im Rheinland gab es jetzt den Fall, dass sich vier Mediziner um den Chefarztposten in einem katholischen Krankenhaus beworben haben. Drei waren nicht gut qualifiziert, einer war ein Top-Mann, und der war Moslem. Er hat den Posten dann auch bekommen.

Im Augenblick wird wieder viel über den Islam diskutiert: Junge Dschihadisten aus Deutschland ziehen nach Syrien, und auf den Straßen wird von Bewegungen wie Pegida und Hogesa gegen die sogenannte Islamisierung des Abendlandes demonstriert. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?

Clancett Es ist seltsam: In Dresden demonstrieren 10 000 Menschen gegen die Islamisierung des Abendlandes, aber dort gibt es kaum Muslime. Wogegen wird dort eigentlich demonstriert? Es gibt eine diffuse Angst. Die hängt damit zusammen, dass, wenn man Menschen mit einer anderen Weltanschauung begegnet, sich die Frage nach der eigenen Identität stellt. Warum lebst du eigentlich, wie du lebst? Diese Frage macht Angst, weil die Menschen verunsichert sind. Sie haben keinen Rückhalt. Die identitätsstiftenden Einheiten wie zum Beispiel Kirchengemeinden haben sich aufgelöst. Was mir Sorge macht, sind die jungen Gotteskrieger, die von Deutschland aus in den Dschihad ziehen. Wenn man sich mit ihren Lebensgeschichten beschäftigt, merkt man, dass es oft junge Menschen sind, die in unserer Gesellschaft gescheitert sind und Halt suchen. Ihnen wurde immer nur gesagt, dass sie nichts sind und nichts können. Darum müssen wir uns kümmern. Auch das mangelnde Sprachvermögen der Jugendlichen macht mir Sorge. Sie können sich nicht ausdrücken und sprachlich mit Problemen auseinandersetzen. Welch ein Aggressionspotenzial wächst da heran. Es entsteht eine explosive Mischung, an die nur jemand die Lunte legen muss.

Wie kann man denn Ihrer Meinung nach den Tendenzen der Entkirchung und Bindungslosigkeit entgegenwirken?

Clancett Wir müssen unsere gute Botschaft zeigen und uns davor hüten, die Regeln über die Botschaft zu stellen. Wir haben die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes anzubieten. Regeln und Gesetze, so richtig und theologisch fundiert sie sein mögen, stehen nicht über dieser Botschaft.

GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort