Analyse Kinderarmut und ihre Folgen

Mönchengladbach · "Hilfen zur Erziehung" nehmen Gladbachs Sozial- und Finanzpolitiker seit Jahren in den Blick. Die einen suchen nach dem besten präventiven Konzept, die anderen nach einem Rettungsweg, wie die explodierenden Kosten verringert werden können.

Der Begriff "Hilfen zur Erziehung (HzE) klingt harmloser, als er tatsächlich ist: Eine Erziehungshilfe kann das nett gemeinte Gespräch einer Erzieherin in einem Kindergarten sein. Eine Erziehungshilfe ist aber auch die oft mehrjährige Unterbringung von Kindern in einem Heim. In fast allen NRW-Kommunen sind die "Hilfen zur Erziehung" auch aus finanzieller Hinsicht ein besonderer Merkposten: Denn sie sind mit hohen Unsicherheiten verbunden, weil besondere Eingriffe einen Haushalt verhageln können.

Gladbachs ehemaliger Stadtkämmerer Bernd Kuckels kann ein Lied davon singen: Er musste zum Beispiel in den klammen Haushalt des Jahres 2007 rund 35 Millionen Euro für "Hilfen zur Erziehung" als Ausgabenposten berücksichtigen. Zehn Jahre später zahlte die Stadt bereits mehr als 53 Millionen Euro, weil Familien mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und deshalb Unterstützung benötigen.

Nicht zuletzt deshalb nehmen Gladbachs Politiker, die HzE in den Blick. Denn Mönchengladbach ist eine Stadt mit schwierigen Sozialindikatoren. Die Zahl der Menschen, die Hartz IV-Leistungen beziehen, ist überdurchschnittlich hoch, die der Alleinerziehenden, der jungen Arbeitslosen und der Verschuldeten ebenso. Wenn man die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss betrachtet, gehört Mönchengladbach zu einer unrühmlichen Spitzengruppe. Und auch das ist typisch für die Stadt: Unter den Hartz-IV-Empfängern sind besonders viele deutsche Familien, die teilweise über Generationen kein strukturiertes Leben kennen. "Man kann den Zusammenhang zwischen dem Bezug von Hartz IV und den Hilfen zur Erziehung statistisch nachweisen. Kinderarmut führt zu einem erhöhten Bedarf bei den Hilfen zur Erziehung", sagte der neue Jugendamtsleiter Klaus Röttgen in einem Interview mit unserer Redaktion. Er mahnte aber auch: "Die Kosten steigen bundesweit. Es ist ein Trend, den man abbremsen, aber nicht komplett stoppen kann. Man kann darüber nachdenken, wie man die Kostensteigerung abbremst, aber man darf nicht vergessen, dass dahinter Menschen stehen."

Am Montagabend beschäftigte sich der Jugendhilfeausschuss mit den "Hilfen zur Erziehung". Die Tatsache, dass die Kosten im Vergleich zum Ansatz im 2017er Haushalt um rund 463.000 Euro niedriger ausfielen (die Ausgaben von rund 7,7 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind nicht berücksichtigt, weil das Land diese erstattet), war eine gute Nachricht. Und auch der Anteil der betreuten Kinder und Jugendlichen, die stationär in Heimen untergebracht werden mussten, ist inzwischen rückläufig: von 51,6 Prozent (2015) auf 48,9 Prozent (2016). Da die Gesamtzahl der stationären Hilfen im Vorjahr sehr moderat anstieg (von 1574 im Jahr 2016 auf 1578), ist hier kein Ausreißer zu erwarten. Stattdessen nimmt die Zahl der Mädchen und Jungen zu, die nicht ins Heim müssen, sondern stattdessen in einer Pflegefamilie unterkommen (von 43,3 Prozent des Jahres 2015 auf 46,9 Prozent 2016).

Aber Mönchengladbach hat im Vergleich zu anderen Kommunen in anderer Hinsicht einige Werte, die nachgebessert werden können. Das ergeben Vergleichsdaten mit den Städten Aachen, Bonn, Düren, Iserlohn, Krefeld, Lüdenscheid, Mühlheim, Neuss, Oberhausen und Solingen. Es geht auf die Initiative der Gladbacher aus dem Jahr 2004 zurück, dass sich die elf Kommunen bei der HzE miteinander vergleichen. Die mit dem Benchmarking beauftragten Gutachter stellten zum Beispiel jüngst fest, dass Gladbacher Kinder und Jugendliche deutlich länger als die Betroffenen in den Vergleichsstädten in Heimen bleiben und in Gladbach weniger Heimfälle als im Durchschnitt aller Mitgliedsstädte beendet werden.

Interessant ist vor diesem Hintergrund das Projekt "Home". Dabei handelt es sich um eine Kurzform, die für Hilfe und Orientierung für Mönchengladbacher Eltern steht. Ziel ist es, Eltern in Problemlagen - etwa bei Scheidung, Trennung, Arbeitslosigkeit, Suchtgefahren und psychischen Erkrankungen - zu helfen. "Home" will auch dafür sorgen, dass überbordende Kosten für Hilfen zur Erziehung gesenkt werden. In Rheydt orientiert sich die Stadt bei "Home" neu und greift auf Erfahrungen zurück, die in Marl gemacht wurden. Da hat man das Projekt, für das es erhebliche Zuschüsse des Landes gibt, auf ein Projektgebiet konzentriert. Das wird künftig in Rheydt-Ost ebenso probiert: Das Projektgebiet hier umfasst Schloss-Rheydt, Bonnenbroich-Geneicken, Rheydt-Zentrum, Grenzlandstadion und Mülfort.

(biber)
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